Ausstellung in der Monacensia:Lebe wild und gefährlich!

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Lebe wild und gefährlich? Franziska zu Reventlow, hier mit Sohn Rolf 1900 auf Samos, gilt als eine der berühmtesten Münchner Bohèmiennes. Doch das freie Leben hatte auch seine Schattenseiten. (Foto: Monacensia)

Franziska zu Reventlow, Margarete Beutler und Emmy Hennings: Die Frauen der Münchner Bohème streiften in den Jahren von 1890 bis 1920 die Fesseln bürgerlicher Konventionen ab - und zahlten einen hohen Preis dafür.

Von Antje Weber

Der Beginn haut einen gleich mal um. Zwar wirkt das grüne Banner, das am Eingang der Ausstellung "Frei leben!" wie provisorisch an zwei Haken aufgehängt scheint, verknittert und unscheinbar. Im Text darauf jedoch geht es zur Sache: "Ich schreibe schon die Bedingungen für eine neue Welt", lässt die Dichterin Emmy Hennings da 1918 ihren Lebensgefährten Hugo Ball wissen. Ihre Vorschläge: "Sich nicht bedienen lassen! Und selbst nicht dienen! Ehre weg! Ehrgeiz weg! Anonym bleiben! Honorare weg! Alles selbst machen! Und sich verschenken, anstatt zu verkaufen. Voilà!"

Was für eine Setzung, welch ein Schwung! Und was für ein Programm, das, wenn es jemand ernst nähme, die Welt tatsächlich von Grund auf verändern könnte. Doch die Ideen von Frauen wurden im Laufe der Geschichte bekanntlich selten ernst genommen. Und den Frauen der Bohème zwischen 1890 und 1920 im Münchner Umfeld, denen sich nun eine Ausstellung der Monacensia widmet, erging es da nicht anders.

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Drei Schriftstellerinnen hat das Literaturarchiv ausgewählt, um im Rahmen des fünfjährigen Projekts #Female Heritage "weibliches Kulturerbe ins Gedächtnis zu holen", wie Monacensia-Leiterin Anke Buettner sagt: Anhand der Biografien und der Werke von Franziska zu Reventlow (1871 - 1918), Margarete Beutler (1876 - 1949) und Emmy Hennings (1885 - 1948) haben die Kuratorinnen Laura Mokrohs und Sylvia Schütz mehrere Themenfelder herausgearbeitet, die neben den individuellen Schicksalen und Werken auch die spezifischen Probleme von Frauen damals wie heute sichtbar werden lassen; im Laufe des Rundgangs entsteht ein vielstimmiges und dabei in sich stimmiges Bild.

Und es entsteht noch einiges mehr. Über die lange Laufzeit eines Jahres sollen Blogeinträge und Videos ein digitales Magazin anreichern, ob mit Beiträgen junger Autorinnen oder des Archivs der deutschen Frauenbewegung in Kassel; zwei Publikationen sind in Vorbereitung, eine Reihe im Berliner Literaturhaus. Das Ganze ist eine "gigantische Aufgabe", wie Buettner sagt. Mit der Ausstellung in der Monacensia ist jedenfalls ein kraftvoller Anfang gelungen - inspirierend, immer wieder auch erschreckend.

"Mein einziger Beruf ist, das zu erlernen, was ich bin": Die Schriftstellerin Emmy Hennings um 1912. (Foto: Schweizerisches Literaturarchiv)

Eine ungeheure Energie, um zunächst das Positive zu betonen, ein Schwung des Aufbruchs ist allen drei Schriftstellerinnen zu eigen, deren Weg in der Monacensia begleitet wird. Franziska zu Reventlow, deren Nachlass in der Monacensia liegt, ist wohl die bekannteste, Margarete Beutler bisher ziemlich unbeachtet. Die spätere Dadaistin Emmy Hennings wiederum ist in neuen Facetten zu entdecken - die Kuratorinnen haben, eine hilfreiche Entscheidung, in dieser Ausstellung ganz auf wertende, oft genug abwertende Männerstimmen jener Zeit verzichtet. Und lieber die Texte der Autorinnen selbst in einen neuen Kontext gestellt, in Archiven nach Spuren und Querverbindungen gesucht.

Ob es ein Zufall ist, dass Emmy Hennings, Margarete Beutler und Franziska zu Reventlow alle im Norden aufwachsen, in Flensburg, Husum, Naugard? Alle drei jedenfalls versuchen, sich konsequent von den Fesseln zu befreien, die ihre Familien und Konventionen ihnen auferlegen. Alle drei ringen um eine Unabhängigkeit, die für sie nicht im Lebensplan vorgesehen ist. Sie retten sich als junge Frauen in Lehrerinnenseminare (Reventlow und Beutler), nach dem Motto: immer noch besser als gar keine Ausbildung. Sie brechen mit ihrer Familie (Reventlow), schließen sich einem Wandertheater an (Hennings). Und landen alle früher oder später in München, um die Jahrhundertwende einer der wichtigsten Sammelplätze der Bohème.

Was diese Bohème eint? Vor allem die Sehnsucht nach einem anti-bürgerlichen, schrankenlosen Leben. Wie wird es Emmy Hennings in ihrem Roman "Das Brandmal" später trotzig formulieren: "Mein einziger Beruf ist, das zu erlernen, was ich bin." Und anschaulicher als Franziska zu Reventlow hat wohl kaum jemand den unbedingten Wunsch nach Selbstbestimmung beschrieben. "Ich will und muss einmal frei werden; es liegt nun einmal tief in meiner Natur, dieses maßlose Streben, Sehnen nach Freiheit", ist von ihr auf einem der grünen Banner in der Monacensia zu lesen: "Ich muss gegen alle Fesseln, alle Schranken ankämpfen, anrennen". Wie schwer das ist, weiß Reventlow, sie klagt: "Und dann dieser kleinliche, unaufhörende Druck aller Verhältnisse."

Sie sei "nicht für eine Dauerehe geschaffen", schrieb Margarete Beutler, hier mit einem ihrer Söhne, 1903 in ihrer Selbstbiografie. In der Ausstellung sind erstmals Dokumente von ihr aus dem privaten Familienarchiv zu sehen. (Foto: Familie Freksa)

Mit diesen Verhältnissen hadern sie alle, insbesondere mit der einschnürenden Form der Ehe. Sie heiraten trotzdem, mehr oder weniger berechnend, mehr oder weniger glücklich. Zur Bohème gehört auch die Suche nach neuen Lebensformen, Reventlow gründet eine Wohngemeinschaft, Margarete Beutler denkt über das Prinzip "Lebenskameradschaft" nach. Und dann ist da noch die Frage, wie eine Frau in Zeiten, die nicht-eheliche Sexualität als "Unzucht" brandmarkt, unehelich gezeugte Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen aufziehen soll. Eigentlich sieht das Gesetz einen Vormund vor. Doch Reventlow ist nicht die einzige, die eine andere Antwort findet: "Mein Kind soll keinen Vater haben, nur mich."

Doch ganz alleine schafft es keine. Da kann sich etwa Reventlow noch so viele Nächte um die Ohren schlagen, um für den Verleger Albert Langen für lausiges Geld zu übersetzen - es reicht nicht. Immer wieder bleibt ihr nur der Ausweg, sich zu prostituieren, wie auch Emmy Hennings, die sogar drei Monate im Gefängnis landet, weil sie angeblich einen Freier bestohlen hat. "Hab keinen Karakter, ich hab bloss Hunger", schreibt sie im anrührenden Gedicht "Mädchen am Kai", das als Typoskript in einer Vitrine zu lesen ist. Krankheiten bleiben bei einem solchen Leben nicht aus; engagierte Ärztinnen wie Hope Bridges Adams Lehmann sind in München eine Ausnahme. Immer wieder landet etwa Reventlow mit unzureichend behandelten Unterleibsentzündungen im Krankenhaus; ein Foto der erschöpften Patientin im Josephinum sowie ihre Fieberkurve legen beredtes Zeugnis ab. Der Preis, den diese Frauen für ihre kühnen Lebensentwürfe zahlen, er ist hoch.

Erschöpft und krank: Franziska zu Reventlow 1895 im Münchner Josephinum. (Foto: Monacensia)

Doch sie sind bereit, ihn zu zahlen. Was Emmy Hennings zum Beispiel auch politisch auf beeindruckende Weise zeigt: Wie andere Autorinnen sieht sie im Kabarett eine Möglichkeit zum Geldverdienen und tritt von 1911 an im "Simplicissimus" auf - bis sie sich 1914 weigert, patriotische Lieder zu singen, und Auftrittsverbot bekommt. Ja, sie meint es ernst mit der Unabhängigkeit. Doch natürlich haben sie und die anderen Autorinnen ihre Netzwerke, sie schreiben für literarische Zeitschriften wie Strandgut oder Jugend und pflegen Freundschaften, von denen die Ausstellung einige schlaglichtartig beleuchtet.

So tauchen am Rande Frauen wie die Kabarettistin Marietta di Monaco auf oder die Puppenkünstlerin Lotte Pritzel. Einiges wäre hier noch aus der Vergangenheit zu erzählen, zu erforschen - nicht zuletzt, um auch die Gegenwart besser zu verstehen, was den Monacensia-Macherinnen wichtig ist. Erste Annäherungen sind in der Ausstellung zu sehen, die übrigens auch in ihrer klaren, typografisch vom Jugendstil inspirierten Gestaltung (Büro Alba) eine Brücke zwischen Gestern und Heute schlägt. Atmosphärische Kontrapunkte setzen Videos zu den drei Hauptfiguren, von Annette Paulmann von den Kammerspielen beigesteuert.

Eine ganz unverschnörkelte Anbindung an die Gegenwart liefern in einem Nebenzimmer Statements heutiger Schriftstellerinnen. Nicht nur da wird deutlich, wie aktuell das alles ist, unter welchen Mühen die Rechte und Freiheiten von Frauen errungen wurden und wie gefährdet sie nach wie vor sind. Jovana Reisinger etwa kritisiert den "sexistischen Literaturbetrieb" und schreibt kämpferisch: "Wir fordern Aufmerksamkeit". "Es ist Zeit, unsere Körper zurückzuerobern", schreibt wiederum Mareike Fallwickl: "Es ist Zeit, die alten Standards aufzubrechen. Es ist Zeit, zu tanzen." Ja, und es ist Zeit, all diese Themen im Laufe des kommenden Jahres zu vertiefen. Um es mit Margarete Beutler zu sagen: "Ich weiß nur, dass ich ... eine große Zukunfts-Neugierde in mir trage."

"Frei leben!" Die Frauen der Boheme 1890-1920 . Bis 31. Juli 2023, Monacensia, Maria-Theresia-Str. 23

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