SZ-Serie: Die Stadt im Klimawandel:Es geht um jedes Zehntelgrad

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Immer wieder freitags: Die Klima-Aktivisten von "Fridays for Future" fordern seit Dezember 2018 immer wieder mehr Klimaschutz ein. (Foto: Robert Haas)

München hat sich beim Klimaschutz ambitionierte Ziele gesetzt. Streit gibt es aber noch darum, ob es schnell genug vorangeht. Mancher erkennt bisher nur Trippelschritte auf dem Weg zur CO₂-neutralen Stadt.

Von Anna Hoben

München ist wegen der Versiegelung und der Bebauungsdichte eine Wärmeinsel - und bis zu sieben Grad wärmer als das Umland. 2020 war das zweitwärmste Jahr seit 1881, außerdem das mit den wenigsten Schneetagen und der geringsten Schneemenge seit 1955. Starkregenereignisse nehmen dagegen zu: An nur 20 Tagen fiel 2020 die Hälfte des gesamten Niederschlags eines Jahres in München. Zugleich belegt 2020 den dritten Platz der Jahre mit der geringsten Anzahl an Regentagen. Die Folgen des Klimawandels sind längst in München angekommen. Und damit nicht genug: "Als Wärmeinsel ist München besonders stark vom Klimawandel betroffen." So heißt es in einer Faktensammlung des städtischen Referats für Klima- und Umweltschutz, das die Daten und Zahlen zusammengetragen hat. "Zeit zu handeln!" steht darüber.

Beim Klimagipfel im schottischen Glasgow geht es in diesen Tagen um das große Ganze. Um das 1,5-Grad-Ziel, um die eklatante Ungerechtigkeit gegenüber ärmeren Staaten; darum, wann und wie die Welt klimaneutral werden kann. Doch wie sieht es im Kleinen aus, in München, diesem Pünktchen auf der Erdkugel? Das will die SZ in einer Serie beleuchten. Wie kann die Wende gelingen, bei Energie, Verkehr, Klimaanpassung und Ernährung? Es ist vor allem die Politik, die Antworten auf diese Fragen finden muss. Und dennoch geht es immer auch um individuelles Verhalten. Deshalb stellen wir auch eine Familie vor, die versucht, klimaneutral zu leben.

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Fast drei Jahre ist es her, dass Jugendliche in München zum ersten Mal für mehr Klimaschutz auf die Straße gegangen sind. Es war der 14. Dezember 2018, knapp 90 Schülerinnen und Schüler demonstrierten am Max-Joseph-Platz. "Ein Streik macht Schule" stand tags darauf in der SZ. Die Klimastreiks, gestartet von einem Mädchen in Schweden, waren dabei, sich zur weltweiten Bewegung zu entwickeln. Sie zeigten Wirkung, auch in München. Ende 2019 rief der Münchner Stadtrat den Klimanotstand aus. Die Lokalpolitiker beschlossen damals auch, dass die Stadt bereits bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden soll - statt wie zuvor anvisiert bis 2050.

Im Jahr 2008 hatte der damalige Stadtrat das sogenannte Integrierte Handlungsprogramm Klimaschutz in München beschlossen, das erstmals die Aktivitäten der Stadtverwaltung dazu bündeln sollte. 2010 beschlossen die Rathauspolitiker, den Klimaschutz zu stärken - 26 Millionen Euro stellten sie bereit, aufgeteilt auf drei Jahre. Mittlerweile hat das Thema einen deutlich höheren Stellenwert bekommen. Seit Januar treibt ein eigenes Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) unter der Referentin Christine Kugler das Thema voran. Mit ihr besetzten die Grünen eine Schlüsselposition, mit der sie ihre Ziele aus dem Kommunalwahlkampf politisch umsetzen wollen.

Im Juli fasste der Stadtrat einen Grundsatzbeschluss: Demnach hat München als erste deutsche Stadt künftig ein kommunales Klimaschutzgesetz - eine Klimasatzung, in der ihre Ziele festgeschrieben sind. Ein 15-köpfiger Klimarat mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft soll sie dabei kritisch-konstruktiv beraten. Einschlägige Beschlüsse werden zudem künftig auf ihre Folgen auf das Klima überprüft, bevor sie im Stadtrat beraten werden. Und schließlich: Für den Klimaschutz soll es - vorerst bis 2026 - ein Extra-Budget von 100 Millionen Euro im Jahr geben.

Das war eine Ansage, zumal sich im Sommer die durch die Pandemie verursachte desolate Finanzlage noch weitaus düsterer darstellte als jetzt. "Kommunen sind weltweit die Hauptverursacher von Treibhausgasen", sagte Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) bei der Vorstellung des Pakets. "Ob wir die Klimakrise meistern, wird maßgeblich von der Entschlossenheit der Städte abhängen." München nehme diese Verantwortung ernst. Referentin Christine Kugler erkläre, man wolle den Klimaschutzgedanken "in der DNA der Münchner Stadtverwaltung verankern".

Es hat gedauert, aber nun kommt die bereits vor zwei Jahren angekündigte Klimaprüfung in die Gänge. Vor Kurzem habe man den anderen Referaten das Vorgehen vorgestellt, teilt eine Sprecherin des RKU mit. Denn die Prüfung soll in den jeweiligen Behörden stattfinden - dort also, wo auch die Beschlussvorlagen für die Politik entstehen. Geprüft werden sollen Beschlüsse, die "eine potenzielle Klimarelevanz" aufweisen. Das könnten mehrere Hundert Vorlagen im Jahr sein. Auch beim Klimarat geht es voran, auch wenn es ein bisschen geknirscht hat in den vergangenen Wochen. Weil ihnen der Prozess zur Besetzung der zivilgesellschaftlichen Vertreter zu intransparent war, nahmen verschiedene Organisationen die Sache flugs in die eigene Hand. Die Münchner Initiative Nachhaltigkeit initiierte eine Wahl, an der sich 28 Organisationen beteiligten. Die gewählten drei Repräsentantinnen und Repräsentanten samt Stellvertretern präsentierten sie anschließend dem RKU, der Stadtrat übernahm die Vorschläge.

Im Dezember wird der Stadtrat weitere Eckpunkte der Klimastrategie verabschieden

Klara Bosch wird künftig in dem Gremium sitzen. Die 17-Jährige ist seit Mai bei "Fridays for Future" aktiv, sie verfolgt die Klimapolitik im Rathaus genau. Die bisherigen Grundsatzbeschlüsse, vom Klimanotstand bis zu den Maßnahmen, die im Dezember beschlossen werden sollen, seien "auf jeden Fall der richtige Weg", sagt sie. Aber: "Wir sehen schon jetzt, dass es viel zu langsam geht." Etwa bei der Umsetzung des Radentscheids, beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und bei der Energiewende. In Gesprächen mit den städtischen Referaten sähen ihre Mitstreiter und sie zwar ganz klar, dass der Wille vorhanden sei. "Es gab einen Paradigmenwechsel." Eine gute Klimapolitik, das heiße aber vor allem auch: "Tempo, Tempo, Tempo."

Am 19. November kommt der Klimarat zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Im Dezember wird der Stadtrat weitere Eckpunkte der Klimastrategie verabschieden. Dazu soll der Klimarat zum ersten Mal eingebunden werden. Die Vorschläge, welche Projekte dann umgesetzt werden sollen, stammen aus einem externen Gutachten, das untersucht, auf welche Weise die Stadt ihre ehrgeizigen Ziele überhaupt erreichen kann. Es soll demnächst in Teilen vorliegen. Ursprünglich hätte es schon im Sommer so weit sein sollen.

Mit dem Beschluss im Dezember werde man "einen großen Meilenstein geschafft haben", sagt die umweltpolitische Koordinatorin der Grünen, Mona Fuchs, "aber die Umsetzung kommt nicht von selbst". Man schiele jetzt vor allem auf den Koalitionsvertrag im Bund, denn viele Variablen entwickelten sich dort und die Klimaneutralität 2035 sei "ein riesiger Kraftakt, den man als Kommune nicht selber stemmen kann". Wenn sich an den Fördermodalitäten von Bund und Freistaat nichts ändere, sei das ambitionierte Ziel nicht erreichbar.

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Ähnlich äußert sich Julia Schmitt-Thiel, umweltpolitische Sprecherin der SPD. Die anstehenden Beschlüsse seien wichtig, aber die Frage sei auch: "Wie kriegen wir das gut umgesetzt?" Was es aus ihrer Sicht außerdem dringend bräuchte, ist eine transparente Gesamtschau dazu, wo die Stadt beim Klimaschutz stehe. Ein großer Schwerpunkt im nächsten Paket wird wohl auf der Gebäudesanierung liegen. Bei den Sofortmaßnahmen im Sommer stand die Mobilität im Mittelpunkt: So fließen in den kommenden fünf Jahren etwa 91 Millionen Euro in die Elektrifizierung der Busflotte. CSU und ÖDP hatten das Paket kritisiert, als ideenlos, wenig ambitioniert, nichts Neues.

Klimaneutrales München bis 2035? "Da macht man sich was vor."

Ist die Klimawende endlich ganz oben angekommen in der Stadtpolitik? In der Opposition ist sich nicht jeder sicher. Der Fraktionsvorsitzende von ÖDP/München-Liste, Tobias Ruff, sieht noch immer nur "Trippelschritte". Eine klimaneutrale Stadtverwaltung bis 2030? Für ihn "utopisch". Klimaneutrales München bis 2035? "Da macht man sich was vor." Die CSU war da schon immer skeptisch, hatte das Ziel schon vor zwei Jahren "unehrlich" genannt. Was es jetzt brauche, seien Anreize, sagt Sebastian Schall, umweltpolitischer Sprecher der CSU - etwa damit Eigentümer von Öl und Gas auf eine Wärmepumpe umsteigen. Auch von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften erhoffe er sich noch mehr. "Wo wir Einfluss haben, müssen wir Vollgas geben."

Für seinen Kollegen Ruff von der ÖDP kommt es hingegen nicht in Frage, die Zielmarke 2035 aufzugeben. Genauso wie für die Regierungskoalition. "Es ist uns wichtig, daran festzuhalten", sagt Mona Fuchs von den Grünen. Klara Bosch und ihre Mitstreiterinnen von "Fridays for Future" würden sich sonst auch lautstark beschweren. Bosch freut sich, dass sie über den Klimarat Einfluss nehmen können. "Wir werden arg darauf achten, dass das Ziel 2035 erhalten bleibt." Im Großen gehe es bei der Begrenzung der Erderwärmung um jedes Zehntelgrad. "Und hier werden wir um jede einzelne Maßnahme kämpfen."

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