Flagge zeigen. Das ist eine anstrengende Angelegenheit. Aber gleich so? Wer derzeit in der Nähe der Maximiliansbrücke die Isar entlang spaziert, sieht einen starken männlichen Arm aus dem Wasser ragen, der die Europa-Fahne hoch hält. Lebensecht. Unbeirrt von Atemnot. Passanten müssen sich keine Sorgen machen, jedenfalls nicht unmittelbar. Hier ertrinkt niemand, der Arm ist naturgetreu dem Arm des Münchner Künstlers Christian Schnurer abgeformt. Ertrunken wird andernorts, auch das deutet Schnurer damit an.
Die Kunstinstallation unterhalb des Maximilianeums trägt den Titel "Der Patriot" und ist ein Selbstportrait Schnurers, der sich mit dieser Arbeit "als überzeugter Europäer outet", wie er sagt. Ein Patriot also, der nicht ein einziges Heimatland mit Inbrunst liebt, oder wenn, dann doch als Teil eines größeren Ganzen, als dessen Idee, als Ideal. Freilich schwimmt dieser ungewöhnliche Kämpfer nicht von ungefähr direkt unterhalb des Maximilianeums, also vor dem Bayerischen Landtag gegen den Strom. Schnurers Arbeit ist hier eingesetzt als künstlerischer Kommentar zum Jahrestag der Bayerischen Verfassung, der sich am 8. Dezember zum 75. Mal jährte. Und ebenfalls bemerkenswert: Die Anregung zu dieser Installation erwuchs auch aus den Kreisen des Landtags heraus.
Er bezieht sich auf Artikel 3a der Bayerischen Verfassung, die ihr 75. Jubiläum feiert
Die Fraktion der Grünen, insbesondere deren kulturpolitische Sprecherin Sanne Kurz, selbst Dokumentarfilmerin von Beruf, hatte zum Jubiläum im Sommer zur Aktion "Sachverständigenanhörung Kunst trifft Verfassung" aufgerufen. An dieser hat sich neben vielen anderen Kreativen auch Schnurer beteiligt. Sein künstlerischer Kommentar ist nun der erste, der sichtbar wurde - mit Hilfe des Honorars, das die ausgewählten Sachverständigen erhalten haben. Fast wie bei einem Wettbewerb, aber eben doch nicht ganz. Pandemiebedingt werden erst vom 30. April an noch viele weitere Arbeiten und Projektideen der Aktion im Landtag ausgestellt sein. Sie alle beleuchten Verfassungsparagrafen. Im Falle des Patrioten ist dies der Artikel 3a: "Bayern bekennt sich zu einem geeinten Europa..."
Christian Schnurer ist bekannt für seine auf Irritation zielenden Aktionen im Öffentlichen Raum. Sein "Patriot" ist zum Wandern angelegt, auch in andere Flüsse und Zeiten dieser Welt. Doch bei den aktuellen Temperaturen um den Gefrierpunkt kann der Betrachter kaum anders, als an die frierenden Flüchtlinge in belarussischen Wäldern und in den Schlauchbooten in der Ägäis zu denken. "Während die Europäische Idee außerhalb der EU als Hoffnung auf Demokratie, eine bessere Zukunft und garantierte Menschenrechte verstanden wird, verrät Europa diese Werte an seinen Außengrenzen", sagt Schnurer.
Die Skulptur schwimmt bis 11. Januar 2022 in der Isar unterhalb der Maximiliansbrücke.