Kultur:Ertrinkt da einer? Nein, das ist Kunst

Lesezeit: 2 min

Flagge zeigen, am Fuße des Maxmilianeums im Wasser der Isar. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Bildhauer Christian Schnurer hat vor dem Landtag, mitten in der eisigen Isar, einen einsamen Kämpfer für Europa versenkt. Passanten staunen: "Der Patriot" ragt nur mit Arm und Flagge aus den Wellen.

Von Susanne Hermanski, München

Flagge zeigen. Das ist eine anstrengende Angelegenheit. Aber gleich so? Wer derzeit in der Nähe der Maximiliansbrücke die Isar entlang spaziert, sieht einen starken männlichen Arm aus dem Wasser ragen, der die Europa-Fahne hoch hält. Lebensecht. Unbeirrt von Atemnot. Passanten müssen sich keine Sorgen machen, jedenfalls nicht unmittelbar. Hier ertrinkt niemand, der Arm ist naturgetreu dem Arm des Münchner Künstlers Christian Schnurer abgeformt. Ertrunken wird andernorts, auch das deutet Schnurer damit an.

Die Kunstinstallation unterhalb des Maximilianeums trägt den Titel "Der Patriot" und ist ein Selbstportrait Schnurers, der sich mit dieser Arbeit "als überzeugter Europäer outet", wie er sagt. Ein Patriot also, der nicht ein einziges Heimatland mit Inbrunst liebt, oder wenn, dann doch als Teil eines größeren Ganzen, als dessen Idee, als Ideal. Freilich schwimmt dieser ungewöhnliche Kämpfer nicht von ungefähr direkt unterhalb des Maximilianeums, also vor dem Bayerischen Landtag gegen den Strom. Schnurers Arbeit ist hier eingesetzt als künstlerischer Kommentar zum Jahrestag der Bayerischen Verfassung, der sich am 8. Dezember zum 75. Mal jährte. Und ebenfalls bemerkenswert: Die Anregung zu dieser Installation erwuchs auch aus den Kreisen des Landtags heraus.

Künstler Christian Schnurer zeigt seine Installation "Der Patriot" vor dem Bayerischen Landtag. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Er bezieht sich auf Artikel 3a der Bayerischen Verfassung, die ihr 75. Jubiläum feiert

Die Fraktion der Grünen, insbesondere deren kulturpolitische Sprecherin Sanne Kurz, selbst Dokumentarfilmerin von Beruf, hatte zum Jubiläum im Sommer zur Aktion "Sachverständigenanhörung Kunst trifft Verfassung" aufgerufen. An dieser hat sich neben vielen anderen Kreativen auch Schnurer beteiligt. Sein künstlerischer Kommentar ist nun der erste, der sichtbar wurde - mit Hilfe des Honorars, das die ausgewählten Sachverständigen erhalten haben. Fast wie bei einem Wettbewerb, aber eben doch nicht ganz. Pandemiebedingt werden erst vom 30. April an noch viele weitere Arbeiten und Projektideen der Aktion im Landtag ausgestellt sein. Sie alle beleuchten Verfassungsparagrafen. Im Falle des Patrioten ist dies der Artikel 3a: "Bayern bekennt sich zu einem geeinten Europa..."

"Der Patriot" nennt der Künstler Christian Schnurer seine Installation, die bis Mitte Januar in der Isar schwimmt. Sämtliche Genehmigungen für dieses Kunstprojekt im Öffentlichen Raum gingen übrigens von Seiten der Behörden in Rekordzeit vonstatten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Christian Schnurer ist bekannt für seine auf Irritation zielenden Aktionen im Öffentlichen Raum. Sein "Patriot" ist zum Wandern angelegt, auch in andere Flüsse und Zeiten dieser Welt. Doch bei den aktuellen Temperaturen um den Gefrierpunkt kann der Betrachter kaum anders, als an die frierenden Flüchtlinge in belarussischen Wäldern und in den Schlauchbooten in der Ägäis zu denken. "Während die Europäische Idee außerhalb der EU als Hoffnung auf Demokratie, eine bessere Zukunft und garantierte Menschenrechte verstanden wird, verrät Europa diese Werte an seinen Außengrenzen", sagt Schnurer.

Die Skulptur schwimmt bis 11. Januar 2022 in der Isar unterhalb der Maximiliansbrücke.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTrompeter Till Brönner
:"Eigentlich sind der Zynismus und die Absurdität nicht zu überbieten"

Deutschlands prominentester Jazzmusiker Till Brönner spricht über sein neues Weihnachtsalbum, seinen pandemischen Zorn und die Vorfreude auf die Isarphilharmonie.

Interview von Oliver Hochkeppel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: