Einzelhandel in München:"Die Innenstadt darf sich nicht nur über Konsum definieren"

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Einzelhandel in der Sendlinger Straße: Seit der Umwandlung in eine Fußgängerzone gibt es hier eine hohe Fluktuation. Neu ist der Adidas-Terrex-Shop, wo es Bekleidung für den Bergsport gibt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Passanten kommen nur zögerlich zurück, traditionsreiche Geschäfte müssen schließen - die Einkaufsstraßen im Zentrum haben während der Pandemie ihr Gesicht verändert. Was muss passieren, damit die Fußgängerzone lebendig bleibt?

Von Catherine Hoffmann

Das Schreibwarengeschäft Kaut-Bullinger verschwindet nach mehr als 200 Jahren aus der Münchner Innenstadt, Spielwaren Obletter macht zu, die Parfümeriekette Douglas verringert die Zahl ihrer Filialen. Viele Einzelhändler schließen in der Pandemie ihre Geschäfte. "Verödet die Münchener Innenstadt?", wollte deshalb der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) in Bayern wissen und lud zum Gespräch im Presseclub ein.

"Mir ist bewusst, dass viele Münchner Unternehmen in der Innenstadt durch eine sehr schwere Zeit gegangen sind", sagt die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne). Ihr tue jede Corona-bedingte Schließung sehr weh. Und Wolfgang Fischer, Geschäftsführer City-Partner München, erklärt: "Ja, wir haben Leerstände, aber ganz selten ist Corona der alleinige Grund."

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Handelsexperten haben den Innenstädten schon vor Ausbruch der Pandemie ein Ladensterben vorhergesagt: Durch den Siegeszug des Onlinehandels verliere der stationäre Handel an Bedeutung. Doch so schwarz-weiß ist es nicht. Viele Münchner Traditionshäuser wie Feinkost Dallmayr, Sport Schuster oder das Modehaus Lodenfrey haben sich auch mit Hilfe ihrer Webshops durch die Krise gerettet. "Wer einen veritablen Onlineshop hat, hat in der Krise einen enormen Anstieg der Kundenzahlen erlebt", sagt Michaela Pichlbauer, Vorstand der Rid Stiftung zur Förderung des Einzelhandels. Mit ihrem Einkauf im Internet hätten viele Kunden ihre Treue bewiesen.

Und: "Sobald man öffnen durfte, sind die Kunden wieder in die Läden gekommen", sagt Pichelbauer. Es stimmt eben nicht, dass die Münchnerinnen und Münchner sich so sehr an Homeoffice und Lieferdienste gewöhnt haben, dass sie nicht mehr zum Bummeln, Shoppen, Kaffeetrinken, Leutetreffen in die Innenstadt kommen. Sobald die Corona-Maßnahmen gelockert wurden, nahmen die Besucherzahlen in der Fußgängerzone zu. "Die Innenstadt erholt sich gerade, das zeigen aktuelle Erhebungen zur Passantenfrequenz", sagt Habenschaden. "Wir kehren langsam zurück zu urbaner Normalität", sagt auch Fischer.

Er verweist darauf, dass nicht nur Läden schließen, sondern auch neue öffnen: Der Spielzeughersteller Lego will in München seinen größten Store in ganz Deutschland aufmachen. Adidas hat seinen europaweit ersten Terrex-Laden für Outdoorbekleidung in der Sendlinger Straße eröffnet. Novartis mietet alle Büroflächen in der Alten Akademie, während die Max-Planck-Gesellschaft mit einem Institut in das Gebäude des ehemaligen Karstadt Sports zieht. "Es steht nicht so schlecht um die Münchner Innenstadt, wie mancher Zeitungsbericht suggeriert", sagt Habenschaden.

Sie vertraut auf die bewährte Mischung aus Tradition und Moderne und lobt ein Diskussionspapier des Wuppertal Instituts für die "Post-Corona-Stadt". Punkt eins: "Die Innenstadt darf sich nicht nur über Konsum definieren, sie muss multifunktional genutzt werden", sagt Habenschaden. Dazu gehörten auch Arztbesuche, Kaffeetrinken, ein Abend im Theater oder ein Kurs in der Tanzschule und Raum fürs Co-Working.

Zweitens müsse die Innenstadt mehr Aufenthaltsqualität bieten. "Wir brauchen mehr Räume zum Verweilen, mehr Sitzflächen, mehr Grün", so Habenschaden. Drittens müsse die städtische Verwaltung agiler werden, wenn es um Zwischennutzung oder Nutzungsänderungen gehe. Mit Freischankflächen, Schanigärten, Sommerstraßen sei ein Anfang gemacht. "Ohne Corona wären wir jetzt nicht so weit", so Habenschaden.

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