Oktoberfest-Alternative:Ungeklärte Fragen zum "Sommer in der Stadt"

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Die Hilfsaktion für Schausteller und Standbetreiber kommt gut an - doch die Realisierung scheint sich schwieriger zu gestalten, als gedacht. So reagieren die Münchner Bezirksausschüsse auf die Pläne.

Von Jutta Czeguhn, Ilona Gerdom, Nicole Graner, Hubert Grundner, Stefan Mühleisen und Patrik Stäbler

Der Wirtschaftsreferent sah keinen Anlass, den improvisierten Charakter des Projekts zu beschönigen: "Das ist mit heißer Nadel gestrickt", erklärte Clemens Baumgärtner in der Markus-Kirche, wo sich die Mitglieder des Bezirksausschusses (BA) Maxvorstadt zu ihrer ersten Sitzung nach der Kommunalwahl versammelt hatten. Der Chef des Referats für Arbeit und Wirtschaft war gekommen, um die Aktion "Sommer in der Stadt" vorzustellen - und, um zur Eile zu drängen: "Wir hoffen auf ihre Unterstützung und ihre Vorschläge, denn wir bekommen das nur hin, wenn wir schnell agieren."

Ein Behördenchef wirbt persönlich für sein Konzept "Sommer in der Stadt", welches der Stadtrat bereits Mitte Mai einstimmig beschlossen hat: Es geht darum, den Münchner Schaustellern über den Sommer hinweg auf Plätzen in den Stadtvierteln die Möglichkeit zu geben, ihre Buden, Stände und Fahrgeschäfte aufzubauen. Denn die Akteure haben durch die coronabedingten Absagen der Auer Dulten, des Frühlingsfestes und der Wiesn drastische Einnahmeverluste zu beklagen. Von der "Bespielung einer hohen zweistelligen Zahl von öffentlichen und privaten Plätzen" in der Stadt sprach Baumgärtner im Stadtrat - und in der Maxvorstädter Kirche betonte er, dass das Konzept in enger Kooperation mit den Lokalgremien durchgezogen werden soll, wo diese bei der Ausweitung der Freischankflächen nichts mitzureden hätten.

Es zeigt sich nun: Prinzipiell stößt die Aktion auf viel Wohlwollen in den Stadtviertelgremien. "Ziemlich großartig" nannte etwa die Maxvorstädter BA-Chefin Svenja Jarchow (Grüne) die Initiative. So ganz wohl ist mehreren Politikern dennoch nicht bei der Ruck-Zuck-Suche nach geeigneten Standorten. Vor allem deshalb, weil nicht absehbar ist, welche Schausteller das Wirtschaftsreferat für welche Plätze aussuchen wird. "Ein Riesenrad am Königsplatz fände ich nicht so gut", formulierte Ruth Gehling (Grüne).

Nach Oktoberfest-Aus
:Stadtrat beschließt als Alternative den "Sommer in der Stadt"

Statt der Wiesn sollen Schausteller mit kleinen, dezentralen Veranstaltungen unterstützt werden. An vielen Orten könnten einzelne Stände oder kleinere Fahrgeschäfte aufgebaut werden. Was über das Konzept bislang bekannt ist.

Von Franz Kotteder

Baumgärtner machte deutlich, dass es eine Zwangsbeglückung mit womöglich riesigen Fahrgeschäften keinesfalls geben soll. Schon deshalb, weil etwa für einen Fünfer-Looping ein 400-Kilowatt-Stromanschluss nötig sei. Doch er betonte auch: Je mehr Ausschlusskriterien die Gremien vorgäben, desto schwieriger werde es; die Anmeldung von "Präferenzen" sei aber erwünscht. "Wir wollen kein Oktoberfest in den Stadtvierteln. Das ganze soll Freude und ein bisschen Spaß bringen und in den Vierteln akzeptiert werden", sagte der Behördenchef. Standbetreiber sollen nicht in Konkurrenz zu lokalen Geschäften stehen, "also keine Würschtelbude neben dem Metzger."

Das ist auch den Mitgliedern des Bezirksausschuss Altstadt-Lehel ein großes Anliegen. Sie werden noch Vorschläge machen, welche Plätze in der Innenstadt sie gerne bespielt hätten. BA-Vorsitzende Andrea Stadler-Bachmaier (Grüne) lobt "Sommer in der Stadt" grundsätzlich, damit "renne man offene Türen" im BA ein. Besonders wichtig sei es aber, die umliegenden Gastro-Betriebe in das Konzept mit einzubeziehen, und ebenso Kulturangebote. Anliegen der Altstädter ist es aber auch, dass die großen Plätze in dieser Zeit nicht "dauerhaft" zu Magneten werden.

An schönen, beliebten Plätzen herrscht auch im Stadtbezirk Au-Haidhausen kein Mangel. Geht es nach dem dortigen Bezirksausschuss, wo Clemens Baumgärtner ebenfalls vorstellig wurde, dann wird der "Sommer in der Stadt" dort einen Hauch von Wiesn-Flair bringen. "Wir sollten hier weniger die Probleme sehen, sondern vor allem die Möglichkeiten", sagte Martin Wiesbeck (Grüne) in der jüngsten Sitzung.

Dieser Auffassung schloss sich das Gros der Mitglieder an, weshalb nun eine lange Liste mit möglichen Standorten für Buden und Fahrgeschäfte ans Rathaus geht. Außen vor ließ der BA allein den Wiener, Pariser und Max-Weber-Platz. Bei letzterem sehe er "keine Möglichkeit, irgendwo etwas hinzustellen", erläuterte Andreas Micksch (CSU), Vorsitzender des Unterausschusses Wirtschaft, der die Standortvorschläge der Stadt durchgearbeitet hatte. Die anderen zwei Plätze seien schon jetzt sehr stark genutzt. Sehr wohl vorstellen kann sich der BA den "Sommer in der Stadt" dagegen im Nordteil des Mariahilfplatzes, vor dem Gasteig, auf den befestigten Flächen von Bordeaux- und Johannisplatz, auf einem Teil des Orleansplatzes, im äußeren Halbrund des Weißenburger Platzes und auf der Nordseite des Rosenheimer Platzes. Überdies brachte das Gremium die Fläche vor der Gasteig-Kirche St. Nikolai sowie den Tassilo- und den Haidenauplatz ins Spiel.

Auch in den weniger zentrumsnahen Stadtbezirken wie etwa Ramersdorf-Perlach ist die Bereitschaft groß, den Schaustellern und Marktkaufleuten unter die Arme zu greifen. Den Beschluss, sich am "Sommer in der Stadt" zu beteiligen, verabschiedete das Gremium in seiner jüngsten Sitzung einstimmig. Groß war allerdings auch die Ratlosigkeit, die sich in der Debatte offenbarte. Josef Kress-del Bondio (SPD) brachte es auf den Nenner: "Ein Konzept ist bislang nicht erkennbar." Zu viele Details seien noch offen. Etwa jenes, wie sich der Widerspruch lösen lässt, auf der einen Seite den Schaustellern ein möglichst großes Publikum zu bescheren, auf der anderen Seite aber infektionsschutzrechtliche Auflagen einzuhalten.

Auch dürfte es schwierig sein, im Einzelfall geeignete öffentliche und private Plätze zu finden, die sich etwa von Fahrgeschäften bespielen ließen. Nicht zuletzt müssten die Bedürfnisse der Anlieger berücksichtigt werden. Entsprechend hofft man nun, dass Vertreter des RAW möglichst schnell in den BA kommen und die Lokalpolitiker informieren.

Im Westen der Stadt, im Gremium von Pasing-Obermenzing, hatte man mit Ilse Gebauer schon eine Mitarbeiterin des Referats zu Gast, die zur Projektgruppe von "Sommer in der Stadt" gehört. Allerdings betonte sie, nicht als Vertreterin des RAW, sondern als Privatperson, als Pasingerin, zu sprechen. Gebauer hörte nun in der Sitzung, wie die Fraktionen munter an die 40 Standorte benannten, vom großen Volksfestplatz, wo in normalen Jahren die Pasinger Vorwiesn stattfindet, über den belebten Bahnhofsplatz, dem Pasinger Marienplatz, Bereichen vor dem Westbad oder der Blutenburg bis hin zu abgelegeneren Grünflächen. Ilse Gebauer schien angesichts der Fülle etwas schwindelig zu werden. Sie schilderte den enormen Zeitdruck, unter dem die Projektgruppe stünde, müsse doch jeder Standort geprüft werden: ob es einen Stromanschluss gibt, wie er erreichbar ist et cetera. Das sei angesichts der knappen Personaldecke eine Herausforderung. Da wäre es, so Gebauer, eine große Arbeitserleichterung, wenn nur solche Plätze benannt würden, die realisierbar seien. "Unsere Liste bedeutet ja keine Forderungen", beschwichtigte BA-Chef Frieder Vogelsgesang (CSU). Aber man wolle es den Fachleuten überlassen, geeignete Standorte auszuwählen, schließlich habe man ja keine Ahnung, um welche Schausteller es gehe. "Wir täten uns auch leichter, wenn wir wüssten, dass drei Kinderkarussells, eine Geister- oder Achterbahn unterzubringen sind."

Gegen die lange Wunschliste aus dem Westteil der Stadt erscheinen die Stadtortwünsche aus Trudering-Riem geradezu bescheiden. Insgesamt einigten sich die Mitglieder auf sechs Orte im Stadtteil, die Schaustellerinnen und Schaustellern bespielen könnten. Dazu zählen das Kopfbau-Areal, der Parkplatz der Messe München, Freiflächen am Riemer See, das Hofgut Riem, der Willy-Brandt-Platz und der Festplatz an der Wasserburger Landstraße, Ecke Feldbergstraße. Wichtig sind den Mitgliedern aber auch soziale Aspekte des Sommerprogramms. So wurde auf Antrag der SPD-Fraktion beschlossen, dass man 2500 Euro aus dem Stadtbezirksbudget zur Verfügung stellen will. Das Geld soll in Gutscheine investiert werden, die finanziell schwachen Familien, Kindern und Jugendlichen zugutekommen, damit auch sie ein wenig Wiesn-Feeling beim "Sommer in der Stadt" genießen können.

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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