Krankenversicherung ist Pflicht, so steht es im Gesetz. Wer sich aber mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Clearingstelle Gesundheit des Vereins Condrobs unterhält, bekommt den Eindruck: Krankenversicherung ist Privileg. Wer einmal durchs Raster fällt, hat es schwer. Und wird es spätestens dann zu spüren bekommen, wenn medizinische Hilfe nötig ist.
Bei Rubito war es eine Herzklappe. Eines Tages sei sie kaputt gewesen, erzählt der heute 61-Jährige in einem Büro der Clearingstelle. Sein richtiger Name? "Das ist nur ein Meldeamtsname", sagt er. Er will bloß Rubito genannt werden, so würden ihn alle nennen. Das mit der Herzklappe sei 2022 gewesen, er habe nicht mehr richtig atmen können, es sei ihm schlecht gegangen, dann sei er umgekippt, erzählt er.
Ein Notarzt habe ihn in ein Münchner Krankenhaus gebracht, man sagte ihm, er habe auch noch Wasser in der Lunge und müsse schnellstmöglich operiert werden. Als herauskam, dass er nicht krankenversichert war, habe es geheißen: "Oh ne, den behandeln wir nicht." Dann sei er rausgeschmissen worden, so erinnert sich Rubito. Ein sehniger Mann mit einem Herrenhut und einer locker sitzenden Anzugweste, die Augen strahlend blau.
Heute spielt er, so wie schon sein ganzes Leben, wieder Gitarre. Manchmal auch einfach auf der Straße. Sein Künstlername, El Rubito de Granada, verrät die Stadt, in der er als Rom geboren wurde. Er ist wieder soweit gesund, dass er nur noch regelmäßig zu Kontrollterminen muss. Und er ist wieder krankenversichert.
So wie Rubito, stehen auch viele andere Menschen in München vor dem Problem, dass sie nur eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem haben, weil sie keine Krankenversicherung haben. Die Clearingstelle Gesundheit von Condrobs kümmert sich um diese Leute. Wie viele es genau sind, wird nicht zentral erfasst. Die meisten sind nirgendwo in Deutschland gemeldet oder haben keine deutsche Staatsbürgerschaft, leben aber schon seit Jahren hier und schlagen sich etwa auf dem Schwarzmarkt oder auf der Straße irgendwie durch. "Die bewegen sich ständig außerhalb des Systems", sagt Dragan Milakovic. Er arbeitet als Sozialversicherungsfachangestellter in der Clearingstelle.
Clearing steht im Englischen für Klärung. Das Ziel ist es also, für möglichst viele Betroffene die Situation zu klären und sie wieder in eine Krankenversicherung zu integrieren. Da gäbe es verschiedene Wege, je nachdem, wie der Fall gelagert sei, sagt Milakovic. Bei manchen stelle man fest, dass doch Anspruch besteht, dass man die Versicherung also einfach beantragen muss - dann gehe es aber auch um die Frage, welche Beiträge rückwirkend gezahlt werden müssen und wie das zu stemmen sei. Bei manchen gehe es darum, Ansprüche auf Sozialleistungen zu prüfen. Oder zu ermitteln, ob es bereits einen Anspruch auf eine Krankenversicherung im EU-Ausland gibt.
1551 Beratungskontakte seien es seit Gründung der Stelle im Mai 2020 bis März 2023 gewesen, sagt der Leiter der Clearingstelle Robert Limmer. Und der Bedarf wachse weiter. Insgesamt hatten sie bis jetzt fast 800 Clearingfälle. Bei 52 Prozent war man erfolgreich: Diese Menschen konnten wieder krankenversichert werden. 388 Personen bekamen eine medizinische Behandlung dank eines Gesundheitsfonds, den die Stadt München eigens für solche Fälle etabliert hatte, und den die Clearingstelle verwaltet. Er sei froh, dass die Stadt München beschlossen hat, die Clearingstelle nun dauerhaft zu finanzieren. Das sei deutschlandweit einzigartig, andere ähnliche Stellen im Land seien bloß Projekte oder komplett ehrenamtlich organisiert.
Kürzlich weihten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Empfang ihre neuen Räume in der Corneliusstraße 2 ein. Mit ihnen zusammen sitzt dort auch die Migrationsberatung von Condrobs. Denn sehr häufig sind die Klientinnen und Klienten von der Clearingstelle gleichzeitig Migrantinnen und Migranten. Hier werden sie dabei unterstützt, sich ein neues Leben aufzubauen. Oft geht es dabei auch um Wohnfragen.
Ein Monat im Krankenhaus
Auch Rubito ist jetzt bei der Migrationsberatung, er habe nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, erzählt er. "Die ganze Sache mit meiner Wohnlage steht jetzt an", sagt er. Lange Jahre habe er in einer Wohnmobilsiedlung gelebt, dann sei er obdachlos gewesen. Derzeit miete er ein Zimmer ohne Zugang zu Bad oder Küche in einem Wohnhaus in Schwabing. Er berichtet von Streitigkeiten zwischen ihm und dem Vermieter, das belaste ihn sehr.
Rubito war auch einer derjenigen, denen die Stadt mit dem Gesundheitsfonds eine medizinische Behandlung ermöglicht hat. Nach seinem Zusammenbruch 2022 lag er einen Monat im Krankenhaus. Rubito ist nach seiner Ablehnung im ersten Krankenhaus zur Sprechstunde der Clearingstelle gekommen, die vermittelte ihn weiter.
"Wie lange waren Sie davor nicht beim Arzt?", fragt ihn Limmer nun. Ach, lacht Rubito, das müsste 1990 gewesen sein. "Ich war ja auch nie krank." Auch das sei ein großes Problem, sagt Limmer. Die Menschen, die lange keine Krankenversicherung haben, riskieren, dass sich Krankheiten verschlimmern. "Da geht mehr kaputt, als bei Menschen, die regelmäßig zum Hausarzt gehen."