Wie München die Ernährungswende schaffen kann:So will der Ernährungsrat das Essen revolutionieren

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Überwiegend pflanzlich und aus der Region soll die Ernährung bis 2035 erfolgen. (Foto: Westend61/imago)

Ihm geht es nicht darum, den Menschen allen Fleischkonsum zu verbieten. Vegetarische und vegane Gerichte sollen durch Genuss beim Verzehr begeistern.

Von Franz Kotteder

Wo Räte im Spiel sind, bekommt man es leicht einmal mit einer Revolution zu tun, das weiß man in München spätestens seit der Räterepublik. Und ein bisschen geht es auch diesmal wieder um eine Revolution, und zwar eine beim Essen. Eine sehr aktive Rolle dabei spielt der Münchner Ernährungsrat. Der hat sich so um die 100 Jahre nach der Räterepublik gegründet, möchte aber auf alle Fälle wesentlich nachhaltiger wirken als jene. Und die Chancen dafür, kann man sagen, stehen gar nicht schlecht.

Daniela Schmid arbeitet beim Tollwood-Festival als Projektleiterin für den Bereich "Mensch und Umwelt" und sitzt im sechsköpfigen Vorstand des Ernährungsrats. Von der Ausbildung her ist sie eigentlich weniger Revoluzzerin, sondern vielmehr Geografin und Ernährungsberaterin. Wobei Letzteres ja durchaus auch zu Aufregung führen kann. Zumindest, wenn man das 56-seitige "Strategiepapier für die Ernährung Münchens" durchliest, das der Ernährungsrat im vergangenen Oktober vorgelegt hat, und dann an jenen Teil der Bevölkerung denkt, der auf sein vermeintliches Recht aufs Schweinenackensteak für 59 Cent pocht. Denen sagt Daniela Schmid: "Es geht um die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen." Sollen die noch gut leben können, dann müssten wir unser Verhalten ändern, ganz besonders, was das Essen angeht. "Momentan konsumiert praktisch jeder Mensch in München jeden Tag irgendein Fleisch- oder Wurstprodukt", so Schmid, "und das muss man langfristig reduzieren."

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Schon klar: Die übermäßige Fleischproduktion ist einer der großen Treiber des Klimawandels. Deshalb hat der Ernährungsrat sich als Ziel gesetzt, die Münchner bis 2035 auf überwiegend pflanzliche Ernährung aus der Region umzustellen, "bestehend aus ökologisch, regional, saisonal und fair produzierten Lebensmitteln mit geringem Verarbeitungsgrad", wie es im Strategiepapier heißt. Das geht nur durch entsprechende Vermarktung und Vernetzung, durch Bildungsangebote auf allen Ebenen und auch feste Anlaufstationen, an denen die propagierte Ernährungswende sichtbar und erlebbar wird.

Das sind alles ehrgeizige Ziele, für die man erst einmal viel Unterstützung benötigt. Im Falle des Münchner Ernährungsrats handelt es sich da um etwa 100 Mitgliedsorganisationen und Einzelpersonen, sagt der Vorstand. Tatsächlich gibt es in München schon vergleichsweise viele Vereine und Initiativen, die sich mit dem Thema Essen befassen, von Green City über Slowfood bis zur Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, zum Food Hub und zum Kartoffelkombinat. Auch verschiedene Unternehmen aus dem Bio- und Ökologiesektor sind dabei.

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Man tritt dem Ernährungsrat sicher nicht zu nahe, wenn man sagt: Eine deutliche Nähe zur Partei der Grünen ist nicht zu übersehen. Die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden war auch von Anfang an dabei: "Ich erinnere mich noch sehr gerne an die ersten Sitzungen, so viele ambitionierte Münchnerinnen und Münchner, die sich mehr ökologische Lebensmittel für ihre Stadt wünschen." Aber grüne Inhalte machen ja längst nicht mehr an Parteigrenzen halt, und so sagt zum Beispiel die SPD-Stadträtin Julia Schmitt-Thiel, ebenfalls sehr engagiert in der Ernährungspolitik: "Ich weiß zum Teil gar nicht, in welcher Partei die Leute sind, mit denen wir da zusammenarbeiten, und ob sie überhaupt in einer sind. Die Ziele sind ja praktisch gleich."

Der Münchner Ernährungsrat hat sich nach längerer Vorbereitungsphase 2018 gegründet, da gab es schon entsprechende Pendants in Köln, Berlin und Frankfurt. Der erste Ernährungsrat auf Landkreisebene war kurz zuvor ganz in der Nähe, in Fürstenfeldbruck, entstanden. Die Idee von Ernährungsräten ist allerdings schon viel älter, sie kam Anfang der Achtzigerjahre in den USA auf. Damals hatte das Ganze allerdings mehr einen sozialen Hintergrund, es ging darum, benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die sich ihr Essen nicht mehr leisten konnten, zu unterstützen. Dies geschah dann häufig durch die Gründung von Genossenschaften zur Selbstversorgung. Was damals aus schierer Not erwuchs, gehört heute zu den Prestigeprojekten der Ernährungswende, die viele für nicht machbar, da zu teuer, halten.

Als Gründungsvorstand des Münchner Ernährungsbeirats präsentierten sich 2018 (von links) Gudrun Schweissfurth, Jürgen Müller, Agnes Streber, Albrecht von Schultzendorff , Michael Böhm und Henrietta Larko. (Foto: Stephan Rumpf)

Überhaupt haben die Ernährungsräte mit allerhand Gegenwind zu tun. Kritikern gelten sie als g'spinnerte Ideologen, die den Menschen ihr Essen verbieten, sie umerziehen wollen und nur Verbote kennen. Wenn man mit Schmid spricht, merkt man ihr Bemühen, solche Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen und bloß keine Vorurteile zu bestätigen. "Es geht überhaupt nicht darum, den Fleischkonsum auf Null runterzufahren", sagt sie, und: "Wir wollen die Leute mitnehmen, nicht erziehen." Sie ist überzeugt, dass sich eine gute Idee irgendwann von alleine durchsetzt. "Die Ernährungswende kann ja richtig Spaß machen", findet sie, "mit genussvollen Alternativen, mit tollen vegetarischen und veganen Gerichten haben die Menschen auch Spaß und Freude am Essen."

Freilich, das "Umbegeistern", wie das beliebte Schlagwort für die Hinwendung zu der neuen Form des Essens lautet, muss früh beginnen, am besten schon im Kindergarten. "Der Geschmack der Kinder prägt sich in den ersten sechs Lebensjahren", weiß die Ernährungsberaterin Schmid. In den städtischen Kindergärten ist man da schon seit Jahren dran, der Bioanteil an den dort ausgegebenen Essen beträgt rund 50 Prozent, bald will die Stadt ganz darauf umgestellt haben. Das geht sogar ohne steigende Kosten, wenn man den Fleischanteil reduziert. In vielen Kitas gibt es nur noch ein- bis zweimal die Woche Fleisch oder Wurst, Klagen gibt es bisher angeblich keine. Die Ernährungswende ist also möglich, in den Kitas jedenfalls.

Damit das auch anderswo was wird, will der Ernährungsrat eine "umfassende Fachberatung für alle Betriebe der Außer-Haus-Verpflegung", also für Mensen und Kantinen, aber auch von Gaststätten bis hin zur Imbissbude. Das kann zum Beispiel auch im neuen "Ernährungshaus" stattfinden, das die grün-rote Mehrheit im Stadtrat demnächst einrichten will. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Vermarktung von biologischen und regionalen Lebensmitteln. Denn die Konsumenten müssen ja auch die Gelegenheit bekommen, sie zu kaufen. Angebot und Nachfrage sollten "schnell und unkompliziert zusammenkommen", findet der Ernährungsrat. Das soll möglichst dezentral stattfinden. Der Ernährungsrat will dazu sogenannte "Lebensmittelpunkte" in den Wohnquartieren einrichten, die nicht nur Umschlagplätze für Waren, sondern beispielsweise auch Orte für Kochkurse und Urban Gardening sind. Drei bis fünf solcher Orte sollen als Pilotprojekte entstehen.

Wandel am Teller

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(Foto: Fabian Helmich)

"Dass eine Umstellung zu einer vegetarischen oder mindestens pflanzenbasierten Ernährung für den Erhalt des Planeten notwendig ist, sollte mittlerweile für alle klar sein, auch wenn sich viele Konsument*innen noch dagegen zu sträuben versuchen, als würde man ihnen das Lieblingsspielzeug wegnehmen wollen. Die Notwendigkeit für einen Wandel auf dem Teller wird nicht nur durch die verheerenden Klimafolgen, die mit der Viehzucht weltweit einhergehen, unterstrichen, sondern auch wir Menschen und unsere individuelle Gesundheit werden über unsere Ernährungsweise mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen - ist meine Generation doch die erste, die durchschnittlich nicht so alt werden wird, wie ihre Eltern, sollten wir so weiter konsumieren. Wir haben also sowohl die Zukunft des Planeten als auch die unserer Gesundheit auf dem Teller und müssen nur noch lernen, sie überwiegend pflanzlich, kreativ und genussvoll umzusetzen." Vincent Fricke ist Koch und Mitglied im Vorstand des Ernährungsrats.

Das alles klingt einfacher, als es dann womöglich durchzusetzen ist. "Es gibt eine massiv große Kluft zwischen dem Wollen, was richtig ist", sagt Daniela Schmid, "und dem Tun, was richtig ist. Die Entscheidung fürs Essen ist vermutlich keine ganz bewusste."

Auf die Diskrepanz zwischen Wollen und Tun hatte schon Jürgen Müller, Gründungsvorstand des Kartoffelkombinats und des Ernährungsbeirats, bei einem der ersten Vorbereitungstreffen 2017 hingewiesen: "Bei Umfragen sagen immer alle, dass sie ihre Lebensmittel im Bioladen einkaufen", sagte er damals, "und dann hast du einen Marktanteil von fünf Prozent."

Diese Aussage ist dreieinhalb Jahre alt. Heute liegt der Marktanteil von Biolebensmitteln immerhin bei sieben Prozent.

© SZ vom 31.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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