Fahrverbote:Dürfen Euro-5-Diesel weiter in die Münchner Innenstadt fahren?

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Der Stadtrat richtet Anfang des Jahres ein Dieselfahrverbot ein, verzichtet aber auf die geplante Verschärfung im Oktober. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Nach den Grünen verabschiedet sich auch die SPD von dem Plan, das Dieselfahrverbot im Herbst zu verschärfen - die Luft sei sauber genug. Die Opposition wertet das als durchschaubares Wahlkampfmanöver.

Von Heiner Effern und Joachim Mölter

Die Koalition im Rathaus ist entschlossen, das Dieselfahrverbot im Herbst nicht auszuweiten, sofern die Luft an der Landshuter Allee nicht wieder schmutziger wird. Nach den Grünen bekannte sich auch die SPD am Mittwoch dazu, die zweite Stufe am 1. Oktober 2023 nicht wie geplant zu zünden. Demzufolge dürften nach den Euro-vier-Dieseln auch Fahrzeuge mit der Abgas-Norm fünf nicht mehr auf und innerhalb des Mittleren Rings fahren. Über die Motive für die Abkehr der Rathauskoalition von weiteren Verschärfungen ist eine politische Debatte entbrannt.

"Für mich ist das wenig überraschend. Ich habe bereits vor einigen Monaten gesagt, dass ich es für sehr wahrscheinlich halte, dass wir die nächste Stufe der Maßnahmen, also ein Verbot für Euro-fünf-Diesel, gar nicht brauchen. Ich freue mich, dass das jetzt auch die Grüne Bürgermeisterin und die Grüne Fraktion so sehen", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Grund für die aktuelle Entwicklung sind die Stickstoffdioxid-Messungen aus dem ersten Quartal 2023. Der Mittelwert an der Tegernseer Landstraße und vor allem an der Landshuter Allee ist im Vergleich zum Jahresmittel 2022 gefallen.

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Beide Hauptverkehrsrouten liegen zwar noch über dem erlaubten Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, doch die Überschreitungen waren in den ersten zwölf Wochen nur noch gering. Die Tegernseer Landstraße lag bei 42, die Landshuter Allee bei 44 Mikrogramm. "Sollte es nur um minimale Überschreitungen gehen, wäre die zweite Stufe des Fahrverbots nicht mehr verhältnismäßig", sagt die SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner.

Das Dieselfahrverbot in drei Stufen hatten Grüne und SPD nicht aus eigener Motivation verhängt, sondern wegen drohender Niederlagen vor Gericht. Die Deutsche Umwelthilfe hatte auf Einhaltung der Grenzwerte geklagt; nach Darstellung der Stadt stand sie vor einem Sieg, der ein sofortiges radikales Dieselfahrverbot mit sich hätte bringen können. Die Koalition handelte den dreistufigen Kompromiss aus, der nun zu Fall kommen könnte.

Die erste Stufe startete am 1. Februar und verbannte Euro-vier-Diesel aus der Innenstadt bis inklusive dem Mittleren Ring. Im Vergleich zum ersten Quartal 2022 sank der Messwert an der Landshuter Allee nun von 50 auf 44 Mikrogramm. "Der Luftreinhalteplan wirkt. Münchens Luft wird sauberer", bilanzierte Bürgermeisterin Katrin Habenschaden am Montag.

Gegen dieses Dieselfahrverbot klagen wiederum Autobesitzer, weil sie es unverhältnismäßig finden. Ein Kläger, der CSU-Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper, erklärte jüngst, dass er noch vor dem Herbst einen deutlichen Hinweis der Richter auf den Ausgang des Verfahrens erwarte. Brannekämper wertete die Ankündigung der Koalition als "Eingeständnis, dass man offensichtlich von Anfang an falsch lag. Die Messwerte verbessern sich bereits seit Jahren kontinuierlich".

Die Grünen behielten sich am Montag vor, erst dann auf die Ausweitung des Fahrverbots zu verzichten, wenn ein Gutachten im Sommer den Rückgang der Stickstoffdioxid-Werte bestätigt. Doch selbst wenn das nicht so käme, könnte die zweite Stufe gestoppt werden. Grünen-Stadtrat Florian Roth brachte ein Fahrverbot für Diesel im betroffenen Abschnitt der Landshuter Allee und eventuell der Tegernseer Landstraße ins Gespräch. Für die Opposition im Rathaus zeigt die Initiative der Grünen vor allem eins: dass die Umweltpartei vor der Landtagswahl am 8. Oktober ein unpopuläres Thema abräumen will.

Um die Luftqualität zu verbessern, wurden an Landshuter Allee bereits mächtige Filter zur Abgasreinigung aufgestellt. (Foto: Robert Haas)

"Ein Wahlkampf-Wunder ist geschehen: Die Grünen rücken von ihrem eigenen Diesel-Fahrverbot ab", sagte Sebastian Schall, Umweltexperte der CSU-Stadtratsfraktion. Dass die Grünen sich für die Luftverbesserung rühmen, will er nicht stehen lassen: "Nach drei verregneten Monaten von einem funktionierenden Verbot zu schwärmen, ist unseriös." Die Werte seien schon vorher gefallen. Die Stadt müsse nun sofort verbindlich den Verzicht auf die zweite Stufe erklären, hieß es von der CSU. "Wenn die Grünen es ernst meinen mit ihrer Kehrtwende, sollen sie sofort klare Verhältnisse schaffen. Münchens Dieselfahrer müssen wissen, worauf sie sich einstellen sollen", sagte Fraktionschef Manuel Pretzl.

Für die kleineren Oppositionsparteien im Stadtrat hat das Bremsmanöver der Grünen ebenfalls keinen sachlichen Hintergrund, sondern einen politischen. "Das hat nichts mit Luftreinhaltung zu tun, sondern mit den momentanen Umfragewerten und der kommenden Landtagswahl", findet Tobias Ruff von der Fraktion ÖDP/München-Liste. Auch Linken-Sprecher Stefan Jagel glaubt, dass die Grünen gerade "alles dafür tun, um sich hübsch zu machen", eventuell sogar für eine Regierungsbeteiligung in Bayern.

Die Überlegungen, das Dieselfahrverbot auszusetzen, hält Ruff jedenfalls für verfrüht, weil die gesunkenen Messwerte ja auch auf das aktuelle Regenwetter zurückgeführt werden können: "Man muss erst mal sehen, wie's bei einer längeren Hitzeperiode ist, wenn die Luft steht." Jagel fordert ebenfalls: "Man muss die Werte schon genauer anschauen."

Grüne und SPD verweisen darauf, dass sie das Verbot aussprechen mussten. Man wolle die Stadt umgestalten und weniger Autos auf den Straßen haben, aber nicht auf dieses Weise, sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Dominik Krause. Sie wollten Anreize setzen wie einen besseren öffentlichen Nahverkehr oder mit den Schanigärten zeigen, wie die Stadt der Zukunft aussehen könne. Die Verkehrswende müsse "sozial verträglich" gestaltet werden. Die Koalition hatte von Anfang an betont, ein Dieselfahrverbot könnte Menschen mit wenig Geld treffen. Deshalb hatte sie etliche Ausnahmen zugelassen.

Allerdings stritten Grüne und Sozialdemokraten auch am Dienstag, wer die wesentlichen Entschärfungen durchgesetzt habe. Der Opposition, insbesondere der CSU, bescheinigte Grünen-Fraktionschef Krause "mehr als Populismus". Wenn die Grünen bei den aktuellen Messwerten nicht reagiert hätten, hätte sie ihnen "ideologische Verbohrtheit" unterstellt; nachdem sie schnell gehandelt hatten, werde nun taktisches Kalkül unterstellt. "Wie man es macht, macht man es falsch."

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