Dialog für Demokratie und gegen Rechtsextremismus:"Sei ein Mensch!"

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Auf dem Plakat der neuen Kampagne ist der neue Slogan zu lesen. "Sei ein Mensch!" Diesen Satz sagte Marcel Reif zum Tag der Befreiung von Auschwitz während einer Rede im Deutschen Bundestag. (Foto: Florian Peljak)

Die Stadt startet eine Kampagne für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, zusammen mit Institutionen aus Gesellschaft und Wirtschaft. Eine der Forderungen an die Politik lautet: verbal abrüsten.

Von Bernd Kastner und Leon Lindenberger

Der Slogan soll Programm und zugleich Aufruf sein: "Sei ein Mensch!" Zusammen mit zahlreichen Institutionen aus Politik und Gesellschaft startet die Stadt München eine Kampagne für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Zum Auftakt hat sich Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Montagabend mit rund 40 Vertreterinnen und Vertretern relevanter Organisationen und Unternehmen getroffen, zu einem "Dialog für Demokratie".

Dass sie alle ins Rathaus gekommen sind, zeigt, wie ernst sie die Bedrohung der Demokratie durch Rechtsextremismus nehmen. Vertreter der Wirtschaft sind da, von BMW, Siemens, MAN; Repräsentanten der großen Religionen sind gekommen, ebenso führende Vertreter des Sports, vom FC Bayern wie vom Alpenverein; anwesend sind Menschen, die sich in Kultur, Zivilgesellschaft und Wissenschaft engagieren, von Fridays for Future über Lichterkette bis zu Volkshochschule und Kammerspiele. Politiker der demokratischen Stadtrats-Parteien sind da, ebenso Vertreterinnen aus dem Sozialbereich. Das nicht öffentliche Treffen dauert zweieinhalb Stunden.

"Es braucht mehr denn je Tatkraft und Optimismus": Reiter macht sich in seinem anschließenden Statement diesen Satz von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, zu eigen. Es schließt eine Mahnung an: "Unisono" sei es Wunsch der Zivilgesellschaft, dass die Politik verbal abrüste. Über Sachthemen zu streiten sei notwendig, man dürfe sich aber nicht beschimpfen und verunglimpfen.

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In der Erklärung wird die Vielfalt Münchens betont, man stehe gemeinsam gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, gegen die "völkische Ideologie der extremen Rechten". Die Gesellschaft wird aufgerufen, München als demokratische und tolerante Stadt zu erhalten.

Für die Demokratie-Kampagne hat das Rathaus ein Logo entworfen: vor den Frauentürmen ein Herz und eine Kette bunter Strichfiguren, Hand in Hand. Dazu in roter Schrift der Aufruf: "Sei ein Mensch!" Diese Mahnung sprach der Sportmoderator Marcel Reif in seiner Rede vor dem Bundestag zum Holocaust-Gedenktag. Er zitierte seinen eigenen Vater, einen Überlebenden des Nationalsozialismus. In diesem "kleinen Satz" habe ihm sein Vater all das mitgegeben, was ihm wichtig gewesen sei - als Ratschlag, Warnung und Tadel. Diesen Satz nun als Motto des "Dialogs für Demokratie" zu verwenden, sei mit Reif abgesprochen, sagt Reiter.

Auf Nachfrage äußert sich der OB auch zu einer Eventlocation am Olympiapark, die seit 2020 zu einem zentralen Treffpunkt der rechtsradikalen Szene wurde. Es sei wichtig, die Zivilgesellschaft zu vernetzen, sagt Reiter, sodass niemand mehr sagen könne: "Das habe ich gar nicht gewusst, was passiert denn da?" Er begrüßt, dass die Betreiber erklärten, keine Veranstaltungen rechter politischer Gruppierungen mehr zuzulassen.

Rund 40 Personen aus verschiedenen Bereichen der Münchner Stadtgesellschaft diskutierten am Montagabend nach Einladung durch Oberbürgermeister Dieter Reiter im Rahmen des "Dialogs für Demokratie und gegen Rechtsextremismus". (Foto: Michael Nagy/Presseamt München)

Mit dem "Dialog" hat Reiter eine Art Neuauflage des "Bündnis für Toleranz" gestartet, das der damalige Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) 1998 gegründet hatte und bis zum Ende seiner Amtszeit 2014 regelmäßig einberief. Zuletzt wurden Rufe laut, dieses Bündnis zu reaktivieren. "Ich hab's nicht einschlafen lassen", entgegnet Reiter auf Kritik. Vielmehr seien damalige Partner nicht mehr zur Teilnahme bereit gewesen; wer dies gewesen sei, sagt er nicht. Zugleich begründet er seinen neuen Anlauf: Inzwischen habe sich die Bedrohung von rechts außen durch die AfD verändert, dies erfordere einen neuen Ansatz im Engagement für Demokratie. Er könne, sagt Reiter, "ganz locker damit leben, dass der Organisator von damals vielleicht nicht ganz glücklich ist". Damit meint er seinen Amtsvorgänger und Parteifreund Ude; ihr Verhältnis gilt als zerrüttet.

Forderung auch nach mehr Schutz vor Islamfeindlichkeit

Nach der Sitzung meldet sich Imam Benjamin Idriz vom Münchner Forum für Islam, der für die muslimische Community ins Rathaus kam. Er lobt das Treffen: "Ich hoffe, dass dieser Dialog fortgesetzt wird, in welcher Form auch immer." Zugleich kritisiert er, dass in der Erklärung der Kampf gegen Islamfeindlichkeit nicht erwähnt sei. Viele der mehr als 200 000 Muslime seien angesichts von Vetreibungs-Fantasien in radikal rechten Kreisen stark verunsichert, für sie wäre ein Signal aus Politik und Gesellschaft wichtig. Idriz sagt, seine beim Treffen formulierte Bitte, Muslime und das Engagement gegen Islamfeindlichkeit zu berücksichtigen, habe OB Reiter abgelehnt. Das sei enttäuschend, sagt Idriz. Viele Muslime, die sich als Ziel von Aggression sähen, fragten sich: "Was ist mit uns?"

Schon beim Treffen, sagt Reiter, habe er die Teilnehmenden aufgefordert, den Dialog fortzusetzen und die gemeinsame Erklärung zu ergänzen und zu schärfen. Ihm sei jedoch wichtig gewesen, sofort ein Statement zu veröffentlichen. Auf Fragen der SZ am Dienstag erklärt ein Rathaus-Sprecher: Reiter habe in der Sitzung ausdrücklich erklärt, dass er Idriz' Ergänzungswunsch sehr gut nachvollziehen könne. Dies gelte auch für viele weitere Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie etwa Antiziganismus, Diskriminierung von queeren Personen oder Menschen mit Behinderung. Der OB habe gebeten, die Formulierungen der Erklärung kurz zu halten. Um alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einzuschließen, wende sich die Erklärung gegen Rassismus "in jeder Form" und Ausgrenzung aus jedweden menschenfeindlichen Gründen; sie betone die Unterstützung aller Menschen, die von der extremen Rechten bedroht werden.

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