Pandemie:"Jetzt gibt es nur noch Corona, Corona, Corona"

Lesezeit: 4 min

Das öffentliche Leben in München wird immer weiter eingeschränkt - und könnte bald stillstehen. In den Kneipen und an der Isar ist in den Tagen zuvor noch einiges los. Ein Streifzug durch eine Stadt, die sich herunterfährt.

Von Linus Freymark

Die Scheinwerfer tauchen als erstes in der Dunkelheit auf. Dann biegt der Rest des Zuges in die Bahnhofshalle ein. Waggontüren springen auf, Passagiere hasten zum Ausgang. Szenen, wie es sie jeden Mittwochabend gibt, 20.25 Uhr, München Hauptbahnhof, Gleis elf. EC 86 aus Venedig ist da, verkündet die Anzeige am Gleis. Aber EC 86 kommt nicht aus Venedig. Der Zug fährt jetzt nur noch die Strecke München-Innsbruck. Routenkürzung, wegen Corona.

Ein Virus hält große Teile der Welt in Atem, und natürlich hat es längst auch München erreicht. Schulen, Theater und Diskotheken schließen. Täglich gibt es neue Maßnahmen. Das öffentliche Leben - strapaziert von Corona. Und bald dürfte es weitgehend still stehen. Wie am Sonntag bekannt wurde, plant der Freistaat Beschränkungen für Restaurants und Geschäfte, Bars und Clubs sollen geschlossen bleiben. Höchste Zeit für einen Streifzug durch eine Stadt, die sich gerade herunterfährt.

Coronavirus-Newsblog für Bayern
:Personen-Obergrenze für private Partys: Wie viele dürfen noch feiern?

Bayern schließt angesichts steigender Corona-Infektionen neue Auflagen nicht aus. Schon wieder gibt es Probleme bei den Tests an den Autobahnen. Alle Entwicklungen im Newsblog.

Mittwochabend, vor dem strahlend weißen Bau des Theaters am Gärtnerplatz. Die Oper "Tosca" hätte an diesem Abend gespielt werden sollen. Das Plakat hängt noch an der Fassade und wäre wirklich alles wie sonst, wäre gleich Vorstellungsende. Die ersten Theatergäste würden herauskommen. Sie würden die Aufführung besprechen, diskutieren, lachen. Aber jetzt sitzen nur ein paar Jugendliche auf den Treppenstufen, ein Bier neben sich, und unterhalten sich leise. Ein FDP-Stadtratskandidat verteilt Feuerzeuge. "Hoffentlich hat der kein Corona", sagt einer der Jungs, als der Wahlkämpfer weg ist. In der Hand hält er das Feuer des Politikers.

Trotz der rasanten Entwicklungen in den Tagen zuvor bekommt man in dem Moment auch den Eindruck: Für die Münchner ist das Virus noch eher etwas, über das man billige Witze reißen kann, so wie der Junge vor dem Gärtnerplatztheater. Corona, ha-ha! Womit sich die Menschen schwerer tun, sind die Folgen der Pandemie.

Wolfgang Strubel ist aus Frankfurt nach München gereist, um ein Konzert der Philharmoniker im Gasteig zu besuchen. Daraus wurde nichts. (Foto: Florian Peljak)

Donnerstagvormittag, elf Uhr: Oben, unter dem Rathausdach, tanzen die Schäffler beim Glockenspiel, und unten auf dem Marienplatz steht Wolfgang Strubel und schimpft. Wegen des Glockenspiels sei er nicht extra aus Frankfurt gekommen, sagt er. Sondern wegen der Philharmoniker im Gasteig. "Einen Haufen Geld habe ich dafür ausgegeben", poltert er, so energisch, dass auch das weiche Hessisch seinen Ärger nicht verbergen kann. Im Hotelzimmer hat er dann erfahren, dass es mit der Vorstellung nichts wird. Alle Konzerthäuser der Stadt sind geschlossen. Strubel sagt: "Das ist doch blinder Aktionismus."

Wie bei jeder Krise, die alle betrifft, hat auch jetzt jeder seine eigene Wahrnehmung und Meinung. Strubel, der genervt ist, weil er nicht ins Konzert kann. Oder Carina Bullinger und Julian Schmitz, die am Mittag an der Isar spazieren, Hund Mila im Schlepptau, und sich darüber freuen, von zu Hause aus arbeiten zu können. Und nicht nur das: Die Stadt sei leerer, findet Bullinger. Wenn man ein Taxi bestellt, sei es deutlich schneller da als sonst. "Noch ist das für die allermeisten eher ein nettes Thema", sagt auch Schmitz.

Ein Spaziergang an der Isar südlich der Reichenbachbrücke wirkt auf diesem Foto eher einsam. (Foto: Florian Peljak)

Ob am Mittagstisch beim Italiener im Westend oder dem Vietnamesen im Glockenbach, alle Gespräche drehen sich ums Coronavirus. Wirte und andere Selbstständige haben Angst um die Zukunft, ältere und kranke Menschen vor einer Infektion, und die Jungen diskutieren, ob es eine Chance gibt, dass ihr Lieblingsclub am Wochenende noch geöffnet hat. Begleitet werden die Diskussionen von den Schlagzeilen an den Zeitungskästen. "Corona - die Gefahr im Alltag", liest man dort am Donnerstag. Am Freitag heißt es an den stummen Verkäufern dann: "München sperrt zu!"

Sibylla Meckel dagegen hat gerade erst aufgemacht. Meckel betreibt ein Design-büro in der Einsteinstraße, helle Räume, helle Apple-Bildschirme. Gestern hat sie eine neue T-Shirt-Kollektion ins Schaufenster gestellt, "Please Wash Your Hands" steht darauf, Bitte waschen Sie Ihre Hände. Daneben liegen mehrere Mundschutz-Masken. 35 Euro kostet das T-Shirt, der Mundschutz 25 Euro. Meckel hat erst seit einer knappen halben Stunde geöffnet, trotzdem ist sie schon zwei Shirts losgeworden, der Mundschutz ist so gut wie ausverkauft. Textilien als Satire auf die Hysterie. "Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen", sagt Meckel. Aber klar, natürlich müsse man nun sehen, wie sich die Situation weiter entwickele. Freitagabend in Schwabing.

Reinhard Lörch lässt die Würfel in seinem Becher klappern, dann schiebt er ein paar Steine auf dem Spielbrett umher. Seit 20 Jahren gehört Lörch die Kneipe Grünes Eck in der Marktstraße, seit 20 Jahren spielt er hier mit seinen Gästen und Freunden Backgammon, nebenbei diskutieren sie das aktuelle Weltgeschehen. "Früher haben wir hier über Frauen und Fußball geredet", sagt Lörch. "Jetzt gibt es nur noch Corona, Corona, Corona." Würfelklappern. "Und natürlich merkt man das am Umsatz." Am Montag etwa, beim Kneipenquiz, seien es 20 Prozent weniger Besucher gewesen, erzählt Lörch. Für die nächsten Wochenenden wären drei Geburtstage im Grünen Eck geplant gewesen - alle haben abgesagt. Und wenn jetzt noch die Lokale zumachen müssen wie in Italien oder Frankreich, sagt Lörch, "dann wird es ganz, ganz schwierig für mich".

Ein Schluck Weißbier, das nächste Würfelklappern. Es würde bedeuten, dass er das Grüne Eck gleich mit dichtmachen kann. Touristen und Münchner, die für einen schönen Abend nach Schwabing fahren, kommen sowieso nicht mehr, die Menschen am Tresen sind alles Stammgäste. Werner, 60 Jahre alt, jedes Wochenende im Grünen Eck, macht sich schon ein bisschen Sorgen. "Immerhin gehöre ich zur Risikogruppe", sagt er. Aber zu Hause allein sein wolle er auch nicht, deshalb ist er trotzdem da. Neben ihm sitzt ein Lehrer, der gerade seine "Befreiung von der Betreuungspflicht" begießt, wie er die Schulschließungen nennt, und deshalb seinen Namen nicht verraten will. Seine größte Sorge sei es, irgendwann überhaupt nicht mehr raus zu dürfen, keine Einkäufe mehr machen zu können. Alles, was er noch zu Hause habe, sei eine Flasche Portwein.

Am Tag darauf, am Samstag, wird er besichtigen können, was passiert, wenn auf einmal alle losziehen, um sich einzudecken: Klopapier, Milch, Eier, Nudeln, Mehl - vieles ist in vielen Supermärkten nur noch schwer zu bekommen, weil viele hamstern.

Wieder klappern die Würfel. Wenn das alles hier vorbei ist und es das Grüne Eck dann noch gibt, sagt Lörch, wollen er und die anderen es so machen, wie einst die Schäffler nach der Pest und einen Corona-Tanz auf dem Viktualienmarkt aufführen. Seinen Humor will er sich vom Virus nicht nehmen lassen.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Menüs zum Abholen
:Wie Münchner Restaurants mit der Corona-Krise umgehen

Die Gäste sind verunsichert und viele bleiben lieber zuhause. "Unsere Betriebe kämpfen unverschuldet ums nackte Überleben", sagt die Dehoga-Präsidentin. Manches Restaurant findet eine kreative Lösung.

Von Franz Kotteder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: