Das hätte dumm ausgehen können, glaubt Hans Huber (Name geändert). Die Erfahrungen, die er in den vergangenen Tagen gemacht hat, lassen ihn daran zweifeln, dass Behörden und Ärzte die Ausbreitung des Coronavirus tatsächlich eindämmen können. "Hätte ich das Virus", sagt der Münchner, "dann hätte ich vermutlich etliche Menschen angesteckt, bis das amtlich gewesen wäre." Huber hat nicht Covid-19, sondern irgendeinen Allerweltsinfekt, er hustet und schnieft. Wenn man so will, ist Huber ein Patient, der durchs Raster fällt. Ein vermutlich nicht ganz seltener Fall.
Huber war nicht in einem Risikogebiet. Und er hatte auch keinen Kontakt zu einem positiv getesteten Erkrankten. Damit wäre eigentlich klar, was er zu tun und zu beachten hätte: nämlich nichts. Oder wie es auf der Internetseite des Münchner Gesundheitsreferats heißt: "Personen, die nicht in einem der Risikogebiete waren und keinen Kontakt zu einem am neuartigen Coronavirus Erkrankten hatten, müssen keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen beachten." Falls Erkältungs- oder Grippesymptome auftreten, sollten die Betroffenen - wie sonst auch üblich - zu Hause bleiben.
Drei Tage bevor es mit dem Husten und dem Schniefen anfing, hatte Huber jedoch ein Meeting mit drei Kunden gehabt. Alle drei sind zuvor in Norditalien gewesen. Und alle drei sind krank geworden. Ob sie das neue Virus haben, weiß Huber nicht. Aber vorsichtshalber informiert er am vergangenen Montag seinen Arbeitgeber.
Beraten lassen, rät der Arbeitgeber. Passenderweise fährt Huber gerade durch den Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen, dort gibt es zu diesem Zeitpunkt 65 bestätigte Fälle - und eine Notfallnummer. Huber ruft an, landet am Ende dann aber doch telefonisch beim Münchner Gesundheitsamt. Und bekommt dort, so schildert er es, die Empfehlung, vorsichtshalber Kontakt zu einem Arzt oder zum Tropeninstitut aufzunehmen. Bei der vierten Praxis, die er anruft, hat er schließlich Erfolg: Er könne gleich zum Abstrich kommen, heißt es.
Huber erzählt, dass er beim Arzt einfach ins Wartezimmer geschickt wurde - mitten unter alle anderen Patienten. Die Ärztin habe keine Schutzkleidung getragen, ihr Mundschutz habe locker am Kinn gebaumelt. Nach dem Test wurde er nach Hause geschickt.
Huber informiert seinen Arbeitgeber erneut, dass bisher nichts klar sei. Daraufhin weist der Arbeitgeber Hubers direkte Kollegen an, die gerade auf Dienstreisen sind, in ihren Hotels zu bleiben und keine Kunden zu besuchen. Nach 48 Stunden Warten hat Huber dann Gewissheit: Das Labor teilt ihm mit, der Test sei negativ gewesen.
Von einem anderen Fall berichtet ein niedergelassener Arzt in Schwabing. Einer seiner Patienten ist in den vergangenen zwei Wochen in einem Risikogebiet gewesen und danach erkrankt. Ein klarer Verdachtsfall also. Doch die Ärztin beim Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) leitet offenbar keinen Labortest in die Wege. Sie meldet nach Darstellung des Schwabinger Arztes den Fall auch nicht - was Pflicht wäre - ans Gesundheitsamt. Stattdessen soll sie dem Anrufer lapidar erklärt haben: Er solle zu Hause bleiben und sich vom Hausarzt für eine Woche krank schreiben lassen. "Ich hoffe sehr, dass das ein Einzelfall ist", schreibt der Arzt an die SZ.
Auf der Homepage der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) ist klar formuliert, was in einem derartigen Fall eigentlich passieren müsste: "Bei entsprechender Notwendigkeit wird ein diensthabender Arzt den Patienten in seinem häuslichen Umfeld aufsuchen und den entsprechenden Test durchführen." Die KVB bietet nämlich einen Hausbesuchsdienst an: Patienten, bei denen der Verdacht auf eine Infektion besteht, sollen sich telefonisch an die Rufnummer 116117 wenden und nicht ohne vorherige Rücksprache die Praxen der niedergelassenen Ärzte oder Bereitschaftspraxen aufsuchen. "Wenn eine Testung als notwendig erachtet wird, dann wird ein Fahrzeug, das auch die notwendige Schutzausrüstung mit an Bord hat, mit einem Arzt geschickt, der den Test in häuslicher Umgebung durchführt", teilt die KVB mit. Wartezeiten seien freilich unvermeidlich.
Und was gilt als begründeter Verdacht? Wer kümmert sich um Menschen, die ein erhöhtes Risiko und Krankheitssymptome haben, ohne aber direkten Kontakt mit erwiesenen Infizierten gehabt zu haben? Da zeigen sich, wie etliche Betroffene der SZ berichten, auch Beratungsstellen in diesen Tagen oft recht ratlos.
Es gibt trotz aller Informationen jede Menge Unsicherheit, auch bei manchen Ärzten, umso mehr natürlich bei scheinbar oder möglicherweise Betroffenen. Hunderte Menschen suchen in diesen Tagen Rat beim städtischen Bürgertelefon. Unter 089/ 23 34 47 40 werden dort täglich von acht bis 18 Uhr Fragen zum Coronavirus beantwortet. Zwei Ärzte sind laut Johannes Mayer, Sprecher des Kreisverwaltungsreferats (KVR), "ständig vor Ort und können kurzfristig bei medizinischen Detailfragen unterstützen".
Das Bürgertelefon werde von KVR-Mitarbeitern beantwortet, die nach einer vom Gesundheitsamt erstellten Liste vorgehen, erklärt Mayer. Zunächst werde gefragt, ob sich der Anrufer in einem Risikogebiet aufgehalten hat oder mit einer positiv getesteten Person in Kontakt war. "Werden diese Fragen verneint, erfolgt die Empfehlung, sich telefonisch an seinen Hausarzt zu wenden", so Mayer weiter.
Wie bei Hans Huber. Dem gesagt wurde, er solle einfach vorbeikommen und sich ins Wartezimmer zu all den anderen Menschen setzen. Man darf davon ausgehen, dass er nicht der einzige Anrufer ist, dem so etwas geschehen ist. Er war ein Zweifelsfall, der im Zweifel andere hätte anstecken können.