Wohnen in München:Akute Notlage für Geringverdiener

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Ein Hochhausblock in München Neuperlach. Wegen der Corona-Krise fürchten immer mehr Menschen ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können. (Foto: Stephan Rumpf)

Wegen der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie können sich viele Menschen ihre Miete nicht mehr leisten. Vor allem Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, droht wegen der Corona-Krise der Verlust der Wohnung.

Von Thomas Anlauf

Musa L. weiß nicht mehr weiter. Dabei hat er schon so viel geschafft in seinem Leben: Hat immer gearbeitet und Geld verdient, das er seiner Frau und den fünf Kindern nach Accra geschickt hat. Der 53-jährige Mann aus Ghana hat viele Jahre in Italien am Flughafen gearbeitet, auch in Murano in einer Glasbläserei. Vor vier Jahren kam er nach München. Und jetzt steht er vor dem nichts. Musa L. braucht schnell Hilfe, deshalb sitzt er in einem kleinen Büro des Evangelischen Hilfswerks in Schwabing und holt einige Papiere aus seiner Tasche. Da ist ein aktueller Mietvertrag mit einem Wirt, der seit 15. Oktober gilt. Als Untermieter teilt er sich ein Zimmer mit Suleman M.. 600 Euro zahlen die beiden Männer für das Zimmer in einer Werkswohnung in Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck, davon allein 200 Euro an Nebenkosten monatlich.

Eine Küche gibt es dort keine, das heißt, es gab mal eine. Doch die hat der Gastronom, der die Werkswohnung untervermietet hat, offenbar in ein weiteres Zimmer umfunktioniert, damit noch weitere Menschen in der Drei-Zimmer-Wohnung schlafen können. Schlimm genug. Doch dann holt Musa L. ein weiteres Schreiben aus seiner braunen Umhängetasche. Darin schreibt eine Anwältin aus Olching, dass er illegal in dem Zimmer lebt und er es bis Freitag, 19. Februar, räumen muss.

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Der Mann, der ihm seit 15. Oktober das Zimmer untervermietet, ist seit zweieinhalb Jahren Pächter einer Vereinsgaststätte in Olching, die der Kolpingsfamilie gehört samt Betriebswohnung. Die hat der Wirt offenbar in eine Art Unterkunft mit bis zu acht Bewohnern umfunktioniert und dabei pro Zimmer 400 Euro plus 200 Euro Nebenkosten monatlich verlangt. Das konnte Musa L. nicht wissen, er hatte bis dahin in Sendling mit anderen Leuten in einer Wohnung gelebt und wollte nun auch einmal ein Zimmer, in dem er die Tür schließen kann. Und jetzt soll er raus. "Ich weiß nicht, wo ich hin soll", sagt er. "Ich kann doch nicht auf der Straße schlafen." Erst kürzlich kam er aus dem Krankenhaus, neun Tage lag er dort, schwer an Covid-19 erkrankt. Seinen Job bei einem Münchner Backhaus hat er wegen der Corona-Pandemie auch verloren. Und im März läuft sein Visum für Deutschland aus. "Da kommt gerade alles zusammen", sagt Iuliia Batiukina vom Evangelischen Hilfswerk. Sie versucht nun, kurzfristig eine Bleibe für Musa L. und möglichst auch seine Mitbewohner zu finden, damit sie nicht auf der Straße stehen.

Fälle wie die von Musa L. häufen sich in München. Einige Vermieter nutzen die Notsituationen der Zimmersuchenden aus und bieten ihnen Unterschlupf für überzogene Kosten, oftmals nicht einmal mit legalen Mietverträgen. Gerade in Folge der Corona-Krise verlieren immer mehr Menschen ihre Wohnungen. Das befürchten auch das Münchner Sozialreferat und der Stadtrat. Nun sollen möglichst schnell Tausende Zimmer in Flexiwohnheimen geschaffen werden, um der wachsenden Wohnungslosigkeit entgegenzuwirken. Denn der Verlust der Wohnung trifft zunehmend auch Münchnerinnen und Münchner, die nicht im Niedriglohnsektor arbeiten und sich ohnehin schwer tun, eine Wohnung zu finden. Doch die Ärmsten trifft es meist zuerst.

So wie Iuliia Batiukinas neuer Klient. Der Mann aus Bulgarien lebt seit vier Jahren in München. In den vergangenen zweieinhalb Jahren arbeitete er als Tagelöhner, eine Wohnung fand er nicht. Also ging er in den kostenlosen Übernachtungsschutz der Stadt, wo durchschnittlich täglich 350 weitere Obdachlose schlafen. Das ist natürlich kein Dauerzustand, doch was soll er tun? Sein Job wurde jeden Abend nach getaner Arbeit gekündigt, damit sparte sich der Arbeitgeber Sozialleistungen und machte P. regelrecht abhängig von dem Job. Am 9. April hatte er einen Arbeitsunfall und musste ins Krankenhaus. Seither konnte er nicht mehr arbeiten. "Er hat aber auch kein Krankengeld bekommen für die acht Monate", sagt Iuliia Batiukina. Nach harten Kämpfen hat er nun wenigstens 4000 Euro Schmerzensgeld erhalten. Und seit Dienstag kann er wenigstens in einem von der Stadt angemieteten Pensionszimmer schlafen.

Wie es hingegen mit Musa L. und seinen Mitbewohnern weitergehen wird, ist noch völlig unklar. Iuliia Batiukina vom Evangelischen Hilfswerk versucht derzeit, kurzfristig im Raum Olching eine neue Bleibe für die Männer zu finden. Ansonsten muss auch Musa L. wohl demnächst in den Übernachtungsschutz im Münchner Norden. Dort hätte er wenigstens für die nächste Zeit ein Dach über dem Kopf. Und dann braucht er dringend wieder einen Job. "Ich bin bereit, alles zu tun", sagt er fast flehend. Musa L. will doch nur genügend Geld verdienen, damit seine Familie in Ghana überleben kann und er eines Tages wieder zurück zu seiner Frau kann. "Meine Familie fehlt mir sehr", sagt er.

© SZ vom 18.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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