Energiewende:Münchens Klimaziele sind in Gefahr

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Bis 2035 soll die gesamte Stadt klimaneutral sein, doch Corona bringt das ehrgeizige Ziel ins Wanken - ein herber Dämpfer für Grün-Rot.

Von Thomas Anlauf

Die Münchner Energiewende ist in Gefahr. Denn die Corona-Pandemie hat nun auch die Umbaupläne der Stadtwerke München (SWM) für das Heizkraftwerk Süd ins Stocken gebracht. So musste bereits der für vergangenes Jahr vorgesehene Baubeginn für die neuen Gas- und Dampfturbinenanlage an der Schäftlarnstraße auf dieses Jahr verschoben werden, weil wesentliche Teile der Anlagen nicht rechtzeitig geliefert werden konnten: Herstellerwerke in Frankreich, Italien und China waren wegen des Lockdowns geschlossen. Außerdem fehlt es an Montagepersonal aus dem Ausland, das wegen der Pandemie nicht einreisen darf. Die Verzögerungen haben gravierende Folgen. So können die Stadtwerke wohl erst mit jahrelanger Verzögerung auf umweltfreundlichere Technologien umstellen. Dazu droht nun auch noch, dass den SWM Fördergelder in Millionenhöhe entgehen, die zeitlich befristet waren.

Die Ziele des Münchner Stadtrats waren hoch gesteckt: Im Dezember 2019 rief München den Klimanotstand aus, spätestens 2035 soll die gesamte Stadt klimaneutral sein, bereits im Jahr 2030 soll die Verwaltung emissionsfrei arbeiten. Entsprechend ehrgeizig geben sich seit Jahren auch die Stadtwerke. Bis 2025 wollen sie so viel Ökostrom in eigenen Anlagen produzieren, wie ganz München benötigt. Der Münchner Bedarf an Fernwärme soll CO₂-neutral, überwiegend aus Geothermie, gedeckt werden. Doch ausgerechnet hier könnte es nun auch zu Verzögerungen kommen. Der Start für Deutschlands größte Geothermieanlage wird sich wohl verschieben, weil pandemiebedingt Facharbeiter aus dem Ausland fehlen. Wegen der Terminverschiebungen sind den Stadtwerken nach eigenen Angaben "Mehrkosten in Millionenhöhe" entstanden. Zeitpläne für die Gas- und Dampfturbinenanlagen sowie für die Kälteerzeugung mussten "optimiert beziehungsweise beschleunigt" werden. Auch der Bau des geplanten Wärmespeichers musste nun verschoben werden.

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Die Verantwortlichen der Stadtwerke hoffen nun, dass wenigstens die verschiedenen Förderprogramme vom Bund, die bei den SWM fest einkalkuliert waren, wegen der pandemiebedingten Verzögerungen weiter ausgezahlt werden. "Abhilfe könnte ein Aufschub für die Stichtagsregelung um zwölf Monate für nachweislich coronabedingt verzögerte Projekte leisten", sagt Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der SWM. Ein solches Moratorium sei europarechtlich unbedenklich und gleichzeitig "klimapolitisch, energiepolitisch sowie ordnungspolitisch sinnvoll und geboten". Denn nicht nur das Münchner Energieunternehmen sei von den Verzögerungen durch Lieferengpässe und Personalmangel betroffen. Es betreffe mehrere deutsche Städte, die derzeit auf klimafreundlichere Energien umrüsten. Deshalb würden nicht nur die Münchner Klimaziele, sondern auch die deutschen und europäischen gleichermaßen "im Feuer stehen", teilten die Stadtwerke mit.

Für die grün-rote Koalition im Münchner Rathaus ist diese Entwicklung natürlich ein herber Dämpfer in der Klimapolitik. "Wir werden uns auf Bundesebene dafür einsetzen, dass es ein Moratorium für die Stichtagsregelung gibt", sagt SPD-Stadträtin Simone Burger, die Fraktionssprecherin im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft ist. Mit den örtlichen Bundestagsabgeordneten sei die Fraktion deshalb bereits im Austausch. Schließlich könne es nicht sein, dass die Umrüstung auf klimaneutrale oder weniger klimaschädliche Anlagen gefährdet sei, "wenn Lieferketten unterbrochen werden". Der Draht zu verschiedenen Bundestagsabgeordneten und Bundesinstitutionen gilt bei den Stadtwerken als gut. Deshalb hofft auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Dominik Krause, darauf, dass "der Appell an den Bund gehört wird".

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Krause, der auch im Aufsichtsrat der Stadtwerke ist, befürchtet, dass die Folgen der Pandemie viele Bereiche des Klimaschutzes treffen könnte, bei denen entweder das Geld knapp wird oder es zu monatelangen oder gar jahrelangen Verzögerungen kommen dürfte. "Wir wollen aber in München definitiv nicht, dass bei uns beim Klimaschutz gespart wird", sagt der Grünen-Politiker. So soll noch voraussichtlich im April das Klimaschutzbudget stehen, über das auch das neu geschaffene Klimareferat mit Referentin Christine Kugler verfügen kann. Denn die Zeit drängt.

Um tatsächlich die selbst gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen, bleiben der Stadt nur noch wenige Jahre. Und ein für das Sommer erwartetes Gutachten, das die Stadt selbst in Auftrag gegeben hat, könnte für unliebsame Überraschungen sorgen. Darin soll dargelegt werden, ob München es mit den bisherigen Anstrengungen überhaupt schaffen kann, bis 2035 klimaneutral zu werden. Bereits im Jahr 2017 stellte das Öko-Institut aus Freiburg fest, dass München seine Klimaziele bis dahin verfehlt hat. So rechneten die Gutachter im Herbst 2017 vor, dass München theoretisch seit Juni 2019 überhaupt keine Emissionen mehr ausstoßen dürfe. Die Realität sieht jedoch anders aus. Und die Bauverzögerungen bei den Stadtwerken werden die Klimabilanz Münchens sicherlich auch nicht verbessern.

© SZ vom 30.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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