Corona-Pandemie:Wie das Abwasser gegen Viren helfen kann

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Die Analyse von Abwasserproben soll Erkenntnisse über die Verbreitung des Coronavirus liefern. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Frühwarnsysteme sollen neue Infektionswellen möglichst effizient vorhersehen. Dafür setzen die Mediziner vor allem auf eine Ressource.

Von Nicole Graner

Schnell, effizient und vor allem rechtzeitig: Frühwarnsysteme sollen helfen, neue Infektionswellen durch Sars-CoV-2, aber auch durch andere Erreger, zu erkennen und vorauszusehen. Dazu gehört die Untersuchung von Patientenabstrichen, aber auch die von Abwasserproben. Zum Schutz der Bevölkerung soll das Überwachungsnetzwerk "BayVoc" zur Beurteilung des Infektionsgeschehens weiter ausgebaut und bis 2024 gefördert werden. Das hat der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetscheck (CSU) am Freitag im Gen-Zentrum Großhadern klar gemacht. Zehn Abwasser-Probenahme-Punkte gibt es in Bayern. In jedem Bezirk solle jetzt ein weiterer hinzukommen.

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Das freut besonders Andreas Wieser, den Leiter des Sars-CoV-2 Labors in der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Denn was im April 2020 als Forschungsprojekt in München begann, ist nun als Frühwarnsystem nicht mehr wegzudenken. Die Sars-CoV-2- Viren gelangen über die Ausscheidungen der Menschen und zum Beispiel auch über das Zähneputzen ins Abwasser. Die Viruslast ist darin messbar. "Die Ergebnisse stimmen mit den Inzidenzen genau überein", sagt der 38-Jährige. Die Omikron-Variante BA.5 gehe derzeit deutlich nach oben. "Die Welle rollt an, keine Frage." Allerdings könne man die Wellen nicht mehr knapp drei Wochen im Voraus vorhersehen, so wie das noch bei der Alpha- und Delta-Variante möglich war. Der Prognose-Zeitraum habe sich auf knapp eine Woche verkürzt. "Omikron verläuft einfach schneller", erklärt Wieser, "der Scheitelpunkt ist sehr viel früher erreicht."

Die Sequenz der Entnahme von Abwasserproben habe man erhöht, so Wieser. Zweimal die Woche würden nun Proben an Standorten wie der Gyßling- und der Schenkendorfstraße in Schwabing, dem Schmidbartlanger in Freimann sowie an einer Kläranlage entnommen - entweder manuell oder seit Kurzem auch mit einem automatischen Probe-Entnehmer. "Der hat den Vorteil, dass er alle paar Stunden Abwasser entnimmt und es auch kühlt." Damit werde dem Verfall der Viren vorgebeugt. Der Haken: Das automatische Entnahmegerät kann verstopfen. "Echt viel Müll schwimmt da im Abwasser herum", erklärt Wieser.

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Derzeit werde auch untersucht, wie sich die Viruslast im Abwasser nach Massenveranstaltungen wie zum Beispiel dem Christopher Street Day entwickelt. "Genau an diesem Tag haben wir Proben entnommen, Ergebnisse liegen aber noch nicht vor."

Wenn sie entnommen sind, werden die Abwasserproben zunächst aufbereitet. Anschließend wird die gesamte RNA extrahiert und in DNA umgewandelt. Im Labor beginnt dann die Sequenzierung. Zum Beispiel im Labor 1 des Genzentrums: Dort liegen kleine Fließzellen herum, die aussehen wie Mini-Kassetten. Ein Tröpfchen der Probe wird hineingegeben und die Zelle in den Sequenzierer gelegt. Das gesamte Sars-CoV-2-Genom, das aus etwa 30 000 Buchstaben besteht, wird untersucht. Die Ergebnisse sind für geübte Forscheraugen schnell auf dem Computerbildschirm zu sehen, auch wenn der Vorgang bis zu 24 Stunden dauern kann. 200 bis 400 Proben werden auf diese Weise pro Woche im Labor untersucht - mit verschiedenen Techniken: Einer schnellen, die aber nur wenige Proben in einem Durchlauf prüft, und einer langsamen, die dafür viele Proben gleichzeitig schafft.

Auch andere Krankheitserreger werden im Abwasser nachgewiesen

Im Abwasser sind nicht nur Corona-Viren zu finden, sondern auch andere Krankheitserreger. Auch darin liegt die Zukunft des Abwasser-Monitorings als Überwachungsmethode. Darmerkrankungen wie Giardien-Infektionen oder der Norovirus können so nachgewiesen werden. Ob das auch bei Influenzaviren funktioniert? Da ist sich Andreas Wieser nicht sicher. "Diese werden deutlich weniger über den Darm ausgeschieden."

Aber ein anderes Virus glaubt der Facharzt für medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene in nächster Zeit vermehrt im Abwasser zu finden: den der Affenpocken. 38 bestätigte Fälle gibt es laut Gesundheitsreferat bereits in München.

Der Herbst naht. Bis dahin soll das Überwachungsnetzwerk "Bay Voc" weiter ausgebaut sein. Patientenproben, Abwasserproben aber auch die Zusammenarbeit mit Sentinelpraxen - Praxen, die Eckdaten über die Aktivität akuter Atemwegs- oder Influenzaerkrankungen erfassen - sollen das Überwachsungssystem in Bayern stärken. "Denn es wird ohne Zweifel immer neue Varianten geben", erklärt Oliver Keppler vom Genzentrum der LMU. "Und immer neue Herausforderungen."

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