"Biotopia ist das Revolutionärste, was es zur Zeit gibt, weltweit einmalig", so zitierte Benedikt Grothe, Vorsitzender des internationalen Biotopia-Beirats, Fachleute aus der Branche und warnte: "Und wenn es jetzt nicht kommt, werden noch mal 50 Jahre vergehen." Es war (beinahe) das Schlusswort einer in Unterthemen gegliederten Online-Podiumsdiskussion, zu der die örtliche CSU am Donnerstagabend geladen hatte, die drei Stunden dauerte und gut 150 Zuhörer hatte.
Seit zehn Jahren wird an dem neuen Naturkundemuseum für Bayern geplant, seit sieben Jahren steht der Sieger des Architektenwettbewerbs, das Berliner Büro Staab, fest. Doch plötzlich kommen Attacken aus Münchner CSU-Kreisen, massive Bedenken am Standort im nördlichen Seitenflügel von Schloss Nymphenburg. Leo Agerer, seit einem Jahr CSU-Stadtrat, hat jüngst die Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke ins Gespräch gebracht - "ein gar nicht blauäugiger Vorschlag", wie er betont. Er habe nämlich schon mal beim Investor vorgefühlt, ob der sich das vorstellen könnte. Da derzeit der Bebauungsplan für das Areal erarbeitet werde, müsste die Integration eines Museums aber fix passieren.
"Gefährdet Biotopia Schloss Nymphenburg?" Unter dieser Überschrift solle heute "fair" geredet werden, leitete Agerer den Abend ein. Biotopia-Gründungsdirektor Michael John Gorman und Michael Apel, Leiter des Museums Mensch und Natur, mussten sich jedoch des öfteren um Gehör bemühen. Ihnen saßen vier Kontrahenten gegenüber, eigentlich stehe es sogar fünf zu zwei, merkte der stets höfliche Gorman an, denn Agerer interpretierte seine Moderatorenrolle etwas eigenwillig. Regelmäßig wurde im Begleitchat die "frustrierend einseitige", die "parteiische" Moderation kritisiert, etwa wenn Agerer Gorman einseitige Argumentation attestierte, ihm vorwarf, die erwarteten Besucherzahlen zu schönen, die Kosten nicht sauber zu rechnen - und schließlich auch die Daumen hoch/Daumen runter-Reaktionen der Zuhörer rügte. "Das ist störend und unverschämt", schloss sich der CSU-Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper an. Ja, warum sei der Chat dann freigeschaltet, fragte eine Zuhörerin zurück.
Thema Denkmalpflege: Für den Kunstgeschichte-Studenten Neven Denhauser und seine Mitstreiter von der Bürgerinitiative "Gemeinsam für Schloss Nymphenburg" ist der Neubau ein unverzeihlicher Stilbruch im barocken Schlossensemble. Er plädierte dafür, das leer stehende, zum Abriss vorgesehene, den südlichen Schwaige-Flügel so vorbildlich spiegelnde und wider alle Behauptungen als Teil des Denkmal-Ensembles "sehr wohl geschützte" Uni-Institut aus den Sechzigerjahren zu sanieren und fürs Museum zu nutzen. Das alte Laborgebäude sei völlig ungeeignet, erwiderte Apel. Er und Gorman verwiesen auf die mehrmalige Umplanung der Neubau-Fassade, die sich "hervorragend einpasse", alles in enger Abstimmung mit den obersten Denkmalpflegern. Wesentliche Änderungen seien nicht mehr möglich. Hubertus Günther, der beantragt hat, das Schloss auf die "rote Liste" des Kunsthistoriker-Verbandes aufzunehmen, störte sich überdies daran, dass der Haupteingang "da hinten, am äußersten Eck der Anlage" geplant sei. Gorman rühmte den Standort: "Wo in München gibt es einen besseren Platz für ein der Biodiversität, dem Arten- und Klimaschutz gewidmetes Museum als zwischen Schlosspark und Botanischen Garten?"
Thema Verkehrsbelastung: Schon heute ist der große Parkplatz im Schlossrondell, vor allem am Wochenende, gestopft voll. Wie also soll das bei künftig 400 000 statt der bisher 200 000 Museumsbesucher gehen? Wie sollen auswärtige Schulklassen vom Hauptbahnhof aus das Museum erreichen? Wo bitte bleibe das Verkehrskonzept einschließlich der Baustellen-Logistik, wollte Gudrun Piesczek, CSU-Mitglied im Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg, wissen. "Das ist doch keine Abenteuerreise, zu uns zu kommen", wunderte sich Apel, "Sie reden die öffentliche Anbindung schlecht." Er verwies auf die Tram 17, die vom Bahnhof zum Schloss fährt, auf die Expressbus-Haltestelle, die die MVG am Schloss einrichten will. An der Tram-Haltestelle Maria-Ward-Straße, der Ausstiegsstelle zum künftigen Museumseingang, schafften es jeden Morgen hunderte Mädchen, "gesund zur Schule zu kommen". Im Übrigen stellten Museumsbesucher nur einen Teil der mit dem Auto anreisenden Schloss-Touristen und Parkbesucher. Der Verkehr, bilanzierte Agerer, sei "ein riesenfettes Hausaufgaben-Paket", das unbedingt, forderte Piesczek, in enger Zusammenarbeit mit dem Bezirksausschuss gelöst werden müsse. Frieder Vogelsgesang (CSU), Chef des Nachbar-Bezirksausschusses, äußerte sich zuversichtlich, dass man die Baustellenlogistik, auch die über die Amalienburgstraße in Obermenzing abrollenden Laster, in den Griff bekommen werde. Und schob etwas später im Chat sein Befremden nach, "wie meine Partei ein Leuchtturmprojekt kaputt redet".
Thema Kosten: Vermutlich nach der Sommerpause wird der Haushaltsausschuss des Landtags über die Finanzierung von Biotopia beraten. "Das Geld ist knapp nach Corona", sagte Brannekämper, "wir müssen entscheiden, was notwendig und was wünschenswert ist." Mit der Sanierung des Klinikums Großhadern, des Hauses der Kunst, der Musikhochschule, einer neuen Physik-Fakultät stünden millionenteure Projekte an, er also finde es "äußerst schwierig", zu diesem Zeitpunkt ein neues Museum zu bauen, für das sich die Kosten von einst 70 über 140 auf 200 Millionen Euro gesteigert haben. Gorman hielt dagegen, dass man inzwischen bei der Darstellung von Baukosten die Indexkosten sowie einen Risikopuffer von 15 Prozent einbeziehen muss. Wenn man die wieder herausrechne, "sind wir bei 148 Millionen." "200 sind realistischer", gab Moderator Agerer zurück.
Thema Museum Mensch und Natur: Wird überhaupt etwas übrig bleiben vom Geist dieses einst für seine Zeit so fortschrittlichen Naturkundemuseums? Dorothea Böhm, Co-Vorsitzende des Förderkreises, klagte, im ehrgeizigen Biotopia-Konzept fehle "die Seele unseres kleinen, originellen, bürgernahen Museums". Auch dessen Mitbegründer und langjährige Leiter Hans-Albert Treff, von Agerer an dieser Stelle zu einer Wortmeldung aufgefordert, monierte, dass die umfangreichen Sammlungsbestände keinen Platz finden würden: "Das wird kein Museum, sondern eine Science Gallery." Stimmt nicht, gab Gorman zurück, es werde Platz für Sammlungen geben. Chat-Zwischenruf: Ein nun 30 Jahre altes Konzept könne doch auch modernisiert werden. "Wir hatten vor 100 Jahren mit dem Deutschen Museum einen Leuchtturm für Technik", warb Gorman noch einmal für Biotopia, "aber jetzt leben wir im Zeitalter der Bio-Wissenschaften, und Wissenschaftskommunikation war nie wichtiger als heute."