Bilanz des Bürgerbegehrens:Im Zweifel gegen die Grünfläche

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Vor der Vollversammlung des Stadtrats demonstrierten Befürworter des Bürgerbegehrens für den Erhalt von Grünflächen. (Foto: Robert Haas)

Vor einem Jahr hat der Stadtrat die Ziele des Bürgerbegehrens übernommen - doch umgesetzt wurde davon bisher fast nichts, klagen die Initiatoren. Wie geht es nun weiter?

Von Joachim Mölter

In aller Früh ist Tobias Ruff am Mittwoch mit einem kleinen Radlader vor dem Rathaus vorgefahren; lange, bevor er als Fraktionssprecher von ÖDP und München-Liste in die Vollversammlung des Stadtrats musste. Am westlichen Ende des Marienplatzes rollte er um acht Uhr einen grünen Kunststoffteppich vor die Schaufel des Fahrzeugs; auf dem schmalen Streifen drapierten er und seine Helfer Zweige, Sand, Schäufelchen und allerlei Tierfiguren. Das Ensemble stand symbolisch für die durch Baufahrzeuge bedrohten Münchner Grünflächen, die es nicht nur nach Meinung von Ruff zu schützen gilt.

Mehr als 50 Vertreter von rund einem Dutzend Organisationen hatten sich an diesem Morgen vor dem Rathaus getroffen, um noch einmal für ihr Bürgerbegehren zu demonstrieren - "Grünflächen erhalten". Kommunalpolitiker von ÖDP und München-Liste waren darunter, Umweltaktivisten vom Bund Naturschutz und dem Landesbund für Vogelschutz, engagierte Einwohnerinnen und Einwohner, die sich im Bund Münchner Bürgerinitiativen oder anderen Interessengruppen zusammengefunden haben. Auf Plakaten fragten sie: "Wie viel Grün muss noch weichen?". Sie forderten: "Wir brauchen Bäume". Und: "Bürgerwillen ernst nehmen".

Vor allem darum ging es den Demonstrierenden: um das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden mit ihrem Anliegen.

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Am 1. März 2023 hatte der Münchner Stadtrat mit der Mehrheit von Grünen/Rosa Liste und CSU/Freie Wähler die Inhalte des Bürgerbegehrens übernommen, das von rund 60 Organisationen unterstützt und von etwa 60 000 Münchnern unterzeichnet worden war. Nach einem Jahr zogen die Initiatoren nun Bilanz: Umgesetzt hat die Kommune praktisch nichts.

21 Mal habe der Stadtrat in den vergangenen zwölf Monaten über die Bebauung von Grünflächen entschieden, sagt Ruff: "Nur eine ist erhalten worden" - ein alter Baumbestand am Tucherpark. Ansonsten sei in jedem einzelnen Fall argumentiert worden, die Pläne seien schon zu weit fortgeschritten, um sie noch zu stoppen. Weniger zählbaren Erfolg hat wohl noch kein Bürgerbegehren in München gehabt.

"Wir befürchten jetzt, dass nach diesem Jahr noch mehr Beschlüsse fallen gegen das Begehren", sagt Stefan Hofmeir, der wie Ruff als Sprecher des Begehrens fungierte. Hofmeir hat einst für die Unnützwiese in Trudering gekämpft und so die Bürgerinitiative für den Grünflächen-Erhalt in der ganzen Stadt in Bewegung gebracht. Auch Hofmeir steht am Mittwochmorgen auf dem Marienplatz, um zu signalisieren, dass Engagement und Einsatz nicht enden, im Gegenteil.

Der Beschluss gilt laut OB unbefristet

Die Fraktion ÖDP/München-Liste hat einen Dringlichkeitsantrag in die Vollversammlung des Stadtrats eingebracht, in dem sie forderte, dass sich das Gremium auch weiterhin dem Ziel und der Intention des Bürgerbegehrens verpflichtet fühlt. So wie es auch beim Hochhaus-Entscheid der Fall war, bei der Ablehnung der dritten Startbahn am Flughafen und beim Ausstieg aus der Steinkohle. "Wir wollen noch mal eine Positionierung", bekräftigt Ruff: "Ist das Thema abgeräumt oder erkennt man die Wichtigkeit an?"

Erwartungsgemäß wurde der Antrag abgelehnt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) widersprach dabei auch Ruffs Meinung, nach einem Jahr laufe die Zeit ab, in der die Stadt an das Bürgerbegehren gebunden sei. Diese Frist gelte nur für Begehren, welche die Stadt nicht übernehme, erklärte Reiter; wenn der Rat sich dem Ansinnen aber anschließe, sei das wie ein unbefristet gültiger Stadtratsbeschluss.

Das Thema bleibt also auf der Tagesordnung. "Wir pochen darauf, weiter jede einzelne Grünfläche zu erhalten", sagt Ruff. Er kritisiert, wie die Rathaus-Mehrheit die positive Besetzung von Grundstücken gegeneinander ausspiele: "Da, wo Grünflächen wegfallen, sollen Kitas hinkommen, Senioren- oder Flüchtlingsheime. Man würde bei Grünflächen nie sagen, da kommt ein Gewerbegebiet drauf."

Hofmeir verweist darauf, dass München bereits jetzt die am meisten versiegelte Großstadt in Deutschland sei. Er fordert: "Das Bürgerbegehren muss langfristig vom Stadtrat auch gelebt werden." Die Demonstrierenden auf dem Marienplatz sind sich einig, dass die Bedeutung von unversiegeltem Boden zunehme für die Lebensqualität in der Stadt, für die Naherholung, aber auch für die Abmilderung von Folgen des Klimawandels. "Die nächsten Tropennächte kommen bestimmt", sagt Hofmeir, "und da hilft dann kein begrüntes Flachdach. Da helfen nur Grünflächen."

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