Biedersteiner Fasching:Mehr als nur Party feiern

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Vor dem Wohnheim: Damit es drinnen nicht so voll wird, wurden draußen Shots serviert. (Foto: Catherina Hess)

Für viele gehört der Fasching im Biedersteiner Studentenwohnheim zu München wie der Englische Garten und die Isar. Die Party verheißt Exzess, Entgleisung, Ekstase. Doch warum ist die Feier geschrumpft? Ein Besuch.

Von Max Fluder

Um kurz vor halb eins steht Leon, eine gut angeheiterte bärtige Nonne, an der Bar und rempelt leicht. Er schaut einem in die Augen, stellt sich vor. Er nennt auch seinen Nachnamen, ist aber so dermaßen im Suff, dass man diesen ihm zuliebe nicht schreibt. Und dann schreit er: "Bier, Bier, Bier!" Davon hatte er schon viel, und davon will er noch viel mehr. Bevor er wieder abzischt Richtung tanzende Bienen und Pumuckl, verabschiedet sich Leon noch höflich und richtet sein Habit.

Verkleidete Studierende und Alkohol. Damit ist schon viel gesagt über den Biedersteiner Fasching, der aber doch so viel mehr ist als das. Für die Bewohnerinnen und Bewohner des Biedersteiner Wohnheims, einem Studentenwohnheim in Schwabing, ist der Fasching der Höhepunkt des Jahres. Dann laufen Hunderte Verkleidete durch ihre Gänge, spielen junge Münchner Live-Bands in ihren Gemeinschaftsräumen und alle packen an, um dem Chaos noch irgendwie gerecht zu werden. Mit dem, was sie am Fasching verdienen, gestalten sie ihr Wohnheimleben. Biederstein, das ist aber auch ein München-Mythos, eine Erzählung vom Loslassen und Ausbrechen. Die Studierenden des Wohnheims pflegen diesen Mythos, doch das wird ihnen zunehmend schwerer gemacht - und sie fragen sich, wie lange der Fasching noch so bleiben kann, wie er schon immer war.

Vier Bands sind dieses Jahr auf dem Biedersteiner Fasching aufgetreten. Sie alle kommen aus München und der Region. (Foto: Catherina Hess)

Es ist Samstagabend und die Luft ist klar und kalt. Vor dem Wohnheim steht eine Schlange von mehreren Hundert Menschen. Sie kommen als Schlumpf, als Donald Duck und - man ahnt zu wissen, woher die Inspiration kam- als Barbie und Ken. Ein Gast hat bereits um 14 Uhr vorbeigeschaut. Da konnte er dann den Studierenden beim Dekorieren des Geländes und Aufbauen der Shotbox zuschauen. Die Shotbox, das ist ein zur Bar umgebauter Container. Serviert werden ausschließlich Kurze.

In der Schlange vor der Shotbox trifft man kurz vor Mitternacht Fiona. Weil sie gerade ihr Lehramtsstudium abgeschlossen hat und nicht möchte, dass ihre Schüler wissen, wo sie feiern geht, nennt sie ihren Nachnamen nicht. Sie ist heute als Chocolatier Wonka aus dem gleichnamigen Kinofilm verkleidet. Zylinder, Anzug, alles in Lila. Auch Schokolade hat sie dabei. Sie war schon öfter beim Biedersteiner Fasching, bereits vor der Pandemie, fand es immer gut. Sie sagt aber auch: "Ich finde es schade, dass es so viel kleiner ist als früher, so viele Floors nicht aufhaben."

Es stimmt: Der Biedersteiner Fasching ist geschrumpft. Statt wie früher zwei getrennte Partys, den Atriums- und den Kellerfasching, zu feiern, gibt es jetzt nur noch eine Party, die an den ersten beiden Wochenenden im Februar stattfindet. Der berüchtigte verwinkelte Keller ist mit Ausnahme des Fahrradkellers tabu, dabei sind viele der Räume dort unten Mehrzweckräume und halten ausdrücklich auch zum Feiern her. Doch die Brandschutzdecke ist kaputt. Auch wegen der Partys, in vielen Räumen erkennt man bierbecherrunde Löcher in der Beschichtung. Vermutlich stammen sie von tanzenden Gästen. Die Feiern sind allerdings nicht der einzige und nicht der entscheidende Grund: Selbst im Sportraum, in dem auf Partys nie getanzt wurde, löst sich der Brandschutz ab. Das Studierendenwerk (Stuwerk) hat den Bewohnern deshalb das Feiern im Keller verboten, sagt Horst Volling, seit 35 Jahren Hausmeister des Wohnheims und dessen wandelndes Geschichtsbuch. Die Konsequenz: Statt der ehemals fast 1000 Gäste pro Party sind es nur noch wenige Hundert. Nichtmal eine Stunde nach Beginn gibt es schon einen Einlassstopp. Viele Dutzend Kostümierte müssen vertröstet werden.

Der Andrang war so groß, dass viele Menschen weggeschickt werden mussten. (Foto: Catherina Hess)

Markus Stadler ist dieses Jahr einer der Verantwortlichen für die Partys. Der Fasching, sagt er, sei etwas, das nur durch das Engagement der Studierenden funktioniere. Doch die Motivation dafür schwinde, einerseits weil wegen des Brandschutzes schlicht Großteile der Party abhandenkämen und sie vom Stuwerk keine Aussage bekämen, wann in den Räumen wieder gefeiert werden könne. Und andererseits weil die Fluktuation im Wohnheim so hoch sei, die Wartelisten für Wohnheimplätze zu lang. Stadler sagt: "Wir haben das Problem, dass die Leute so spät einziehen, dass sie sich kaum mehr engagieren können. Wissen geht verloren. Hier stirbt das studentische Leben." Martin Bader, ein weiterer Bewohner, sagt: "Fasching ist mehr als nur Party feiern."

Auf dem Fasching ist eine Gruppe aus einem Dutzend Leute unterwegs, sie alle haben ihr Kostüm aufeinander abgestimmt. Sie gehen als eine "Sekt-ä", eine Sekte, aber mit viel Sekt. Und alle sind ehemalige Biederstein-Bewohner. Valeria Dobler ist eine von ihnen und sie sagt: "Das Biedersteiner, das war München für uns." Doch seit 2021 in der Studentenstadt eine Studentin durch einen Brand ums Leben kam, sei das Verhältnis zwischen Stuwerk und Studierenden schwierig geworden. Eine weitere Ehemalige, Susi Kratzer, sagt, dass das Schöne am Biedersteiner Wohnheim sei, dass man auch als Ehemalige immer wieder gerne zurückkehrt, selbst Jahrzehnte nach dem Studium noch. "Doch gefühlt verändert es sich so, dass das in 20, 30 Jahren nicht mehr möglich ist."

Beliebtes Kostüm dieses Jahr: Ken aus dem Barbie-Film. (Foto: Catherina Hess)

Jemand, der den Mythos Biederstein am Leben hält, ist Horst Volling, der Hausmeister. In einer Schublade in seiner Werkstatt hat er alte Zeitungsberichte aufbewahrt, Plakate und Flyer. Auf vielen stehen die Preise noch in D-Mark. Volling ist auch DJ auf dem Fasching: "Ich mache aber nur noch die Afterhour", sagt der Mitt-Sechziger. Dieser Fasching wird sein letzter sein. Wie es danach weitergeht? Das werden die Studierenden sehen.

Um kurz nach drei steigt Volling hinters DJ-Pult und beginnt aufzulegen. Praktisch jeder Quadratzentimeter des Bodens klebt inzwischen. Im Raum steht die Luft, sie riecht nach Schweiß und Alkohol. Viele der Gäste sind schon weg, und was bleibt, sind die Bewohner, die vollkommen frei zum letzten Sekt schunkeln.

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