Erdkröten müssen umziehen:Warum die Deutsche Bahn einen Bach verlegt

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Projektleiterin Michelle Dewald erläutert die Pläne der Deutschen Bahn für die Verlegung des Hüllgrabens. (Foto: Stephan Rumpf)

Im Münchner Osten sollen neue Gleise für Güterzüge gebaut werden, doch durchs Planungsgebiet fließt ein Gewässer: der Hüllgraben. Weil der nicht unter dem Projekt leiden darf, investiert die Bahn viele Millionen in einen neuen Wasserlauf.

Von Patrik Stäbler

Die Erdkröte hat es sich am Hüllgraben im Münchner Osten ebenso bequem gemacht wie Libelle und Laubfrosch. Dazu kommen an den Ufern des Bachs Hartriegel und Pfaffenhütchen sowie im Wasser Rundmäuler und Lachsfische. All diesen Tieren und Pflanzen steht nun jedoch ein Umzug bevor. Sozusagen als Umzugshelfer fungiert dabei die Deutsche Bahn (DB). Sie plant für ihr Großprojekt Daglfinger und Truderinger Kurve, die Verlegung des Hüllgrabens. Dessen Wasser soll künftig ab Höhe der St.-Veit-Straße in Berg am Laim nicht mehr nach Norden fließen, sondern entlang der Gleise nach Osten und am S-Bahnhof Trudering vorbei, ehe der neu geschaffene Wasserlauf in Kirchtrudering in den Truderinger Hüllgraben mündet.

Diese Pläne haben DB-Vertreterinnen um Projektleiterin Michelle Dewald am Donnerstag vorgestellt und dabei auch auf den ökologischen Gewinn verwiesen. Durch die Verlegung schaffe man ein naturnahes Gewässer in einem Wohngebiet sowie Entlastung bei Hochwasser, sorge für eine klimatische Verbesserung und hole den Bach über weite Strecken aus der Tiefe an die Oberfläche. "Wir versuchen", betonte Dewald, "die Verrohrung auf ein Minimum zu reduzieren."

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Bedeutet für Erdkröte, Libelle und Co. also eine Verbesserung ihres Lebensraums, für den die Bahn viel Geld in die Hand nimmt. Die geschätzten Kosten für die Bachverlegung liegen laut der Projektleiterin im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich. Wobei die Bahn diese Summe nicht aus purer Liebe zur Natur aufwendet, sondern wegen handfester Zwänge.

Genauer gesagt ist es die europäische Wasserrahmenrichtlinie, die den Konzern beim Großprojekt dazu verpflichtet, in punkto Gewässer sowohl ein Verschlechterungsverbot als auch ein Verbesserungsgebot zu berücksichtigen. Sprich: Der ökologische Zustand des Hüllgrabens, der die vorhandenen Schienen mehrfach kreuzt und mitten durchs Planungsgebiet fließt, darf sich nicht verschlechtern, sondern muss erhalten oder möglichst verbessert werden.

"Der aktuelle Verlauf des Hüllgrabens ist mit der geplanten Trasse nicht kompatibel", erläuterte Michelle Dewald. Daher habe man sich zu einer Verlegung des Bachs entschieden - "was nicht ganz alltäglich ist für ein Bahninfrastrukturprojekt". Für den neuen Bachverlauf müssen zwölf Bauwerke errichtet werden, vor allem Straßen- und Eisenbahnbrücken.

Der bestehende Hüllgraben soll laut Dewald erhalten bleiben - als Biotop sowie für den Hochwasserschutz. Derweil werde der neue Bachabschnitt naturnah gestaltet, was vor allem für das geplante Neubaugebiet an der Heltauer Straße ein Gewinn sein könnte. Inwiefern dessen künftige Bewohnerinnen und Bewohner den Bach und sein Ufer als Erholungsgebiet nutzen können, werde im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens für das Quartier entschieden, sagte Dewald. "Da liegt der Ball bei der Stadt."

Trotz des Aufwands, den die DB für die Bachverlegung betreibt, sei dies "ein fast schon geringes Problem" im Vergleich zu den Herausforderungen des Gesamtvorhabens Daglfinger und Truderinger Kurve, sagte die Projektleiterin. Das Großprojekt, mit dem die Bahn vor allem den Güterverkehr stärken will, sieht den Bau zweier neuer Verbindungen im Münchner Osten vor. Zum einen die eingleisige Truderinger Kurve zwischen den Bahnhöfen Trudering und Riem, zum anderen die zweigleisige Daglfinger Kurve für den Güterverkehr zwischen den Bahnhöfen Riem und Daglfing. Überdies umfasst das Projekt den zweigleisigen Ausbau im Streckenabschnitt zwischen Daglfing und Trudering.

Die Planungen für diesen Bahnknoten im Münchner Osten laufen schon seit Jahren und werden begleitet von heftiger Kritik vieler Anwohnerinnen und Lokalpolitiker. Sie hatten zwischenzeitlich die Prüfung zweier alternativer Trassenvarianten gefordert. Die Bahn jedoch hält seit Ende 2020 an ihrer Planung fest und ist damit schon recht weit: Im kommenden Jahr, sagte Michelle Dewald, wolle man die Unterlagen für das Genehmigungsverfahren beim Eisenbahn-Bundesamt einreichen.

Die Bahnverbindung im Münchner Osten soll vor allem für den Güterverkehr ausgebaut werden. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie lange die Prüfung dort dauern werde, lasse sich kaum vorhersagen. "Wir hoffen, dass so ein Genehmigungsverfahren auch mal nur zwei, drei Jahre geht", sagte Dewald. Danach könne man mit dem Bau loslegen. "Und wenn Mitte der 2030er-Jahre alles in Betrieb gegangen ist, wäre das ganz toll."

Die geplante Verlegung des Hüllgrabens - auch sie wird Teil des Genehmigungsverfahrens sein - solle größtenteils vor den anderen Bauarbeiten erfolgen, sagte die Projektleiterin. Neben dem neuen Bachverlauf entlang der Gleise wird die DB auch das Bett des Truderinger Hüllgrabens ertüchtigen, damit er das zusätzliche Wasser aufnehmen kann. Dieser Bach, der in Kirchtrudering nördlich der Kirche St. Peter und Paul entspringt, ist derzeit an vielen Stellen meist nur ein Rinnsal, ehe er nördlich des Tierheims in Riem in den Hüllgraben mündet. Kurz davor wird der Truderinger Hüllgraben ein gutes Stück nach Osten verlegt werden müssen, um die Querung der Schienen zu ermöglichen. Insgesamt betreffe die geplante Bachverlegung einen Abschnitt von knapp fünf Kilometern, sagte Michelle Dewald.

Details zu dem Vorhaben finden sich auf der Projekt-Webseite unter www.abs38.de . Dort können sich Interessierte auch für eine digitale Bürgersprechstunde zum Thema Verlegung des Hüllgrabens anmelden. Sie findet am 24. April um 17.30 Uhr statt.

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