Der Kosmos der Sterne-Küche befindet sich in einem Paralleluniversum. Es ist wirklich eine eigene, ziemlich abgehobene Welt für Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die es sich leisten können, 200, 400 oder mehr Euro für ein Fünf-, Sieben- oder Noch-mehr-Gänge-Menü (pro Person) auszugeben und dafür extra einzuschweben - oft von weit her. Wie praktisch, wenn so eine Feinschmecker-Galaxie in einem Hotel stationiert ist, dann ist der Heimweg nicht so weit. Auch das Zwei-Sterne-Restaurant "Atelier" im Hotel "Bayerischer Hof" liegt sozusagen in einem Paralleluniversum, es ist gar nicht so leicht zu finden in diesem großen verwinkelten Fünf-Sterne-Bau am Promenadeplatz. Das "Atelier" verbirgt sich hinter einer kleinen Türe, die sich neben dem "Garden-Restaurant" öffnet. Man betritt einen dunklen Raum, der in Erdfarben gehalten ist, und beginnt eine kulinarische Reise, die allerlei Höhenflüge beinhaltet, aber auch mitunter ins Trudeln kommt.
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Mit den Sterneküchen in großen Hotels mit großem Namen ist es so eine Sache. Viel verdienen tut man damit nicht, der Material- und Personalaufwand ist einfach zu hoch. Aber es ist eine Prestige-Frage. Und manchmal profitiert eines vom anderen. So gönnt sich diese Spezies von Gourmet-Gästen auch ohne Weiteres eine Luxus-Suite im Hotel oben, eine Spa-Behandlung und dann vielleicht noch ein edles Collier beim eleganten Juwelier im Erdgeschoss. Win-win also, als Hotelchefin Innegrit Volkhardt im Sommer vergangenen Jahres den Zwei-Sterne-Koch Anton Gschwendtner als neuen Küchenchef gewinnen konnte. Zuvor hatte gerade ihr Drei-Sterne-Koch Jan Hartwig das Haus verlassen, er wird am 25. Oktober in München ein eigenes Restaurant eröffnen. Das kulinarische Angebot auf hohem Niveau, das sich diesen Herbstwinter dort und an weiteren Places-to-be der Stadt entfalten wird, ist aber eine eigene Geschichte.
Der Gruß aus der Küche, eine kleine Inszenierung
Vor dem Gruß aus der Küche (es waren kleine Kunstwerke von raffiniertest angerichtetem Aal bis zur Lauch-Quiche, wahrhaft ein Amuse Gueule; Pralinées, die fragil aussehen, aber so stabil gebaut sind, dass sie nicht auseinanderfallen, auf Kieselsteine und erdfarbene Teller drapiert) kurz zurück zu Anton Gschwendtner: Kommt aus Freising, war schon mehrere Jahre Sous-Chef im "Atelier", bevor er ins Luxushotel "Sofitel Bayerpost" am Hauptbahnhof und später nach Wien wechselte. Erster Stern im "Das Loft", zweiter Stern in Stuttgart im "Olivo".
Der Gruß aus der Küche also, eine kleine Inszenierung. So wie die Dramaturgie des "Atelier"-Aufenthalts überhaupt. Kurz nach der Reservierung ein freundlicher Anruf - ob es Unverträglichkeiten, Allergien gebe, sehr aufmerksam. Dass man vorher angeben solle, wenn man das vegetarische Menü bestellen wolle, wurde leider vergessen. Rosa Marín hätte dies eigentlich gerne probiert. Wann darf man schon mal Lauch aus dem Salzteig mit gepickeltem schwarzen Rettich an Miso Beurre Blanc von einem Meister seines Fachs kosten? Oder cremiges Eigelb mit Alb-Linsen, eingelegtem Sellerie mit einem Hauch von Sherry? Sei es drum. Das kleine Malheur war flugs verziehen beim Anblick des Tagesmenüs. Dieses wechselt übrigens nur in großen Abständen, nicht einmal wöchentlich.
Mit dem Sieben-Gänge-Menü ist man bei 260 Euro
Während das vegetarische Menü in fünf Gängen bei 175 Euro beginnt und in sieben Gängen bei 205 Euro endet, muss man beim nicht-vegetarischen Menü einiges drauflegen. Das Menü in fünf Gängen kostet 205 Euro, mit dem Sieben-Gänge-Menü ist man bei 260 Euro. Man sitzt in dem höhlenartigen Raum unter perfekt ausgerichteten Spots an schweren Holztischen mit gedrechselten Beinen, vor einem ein Platzteller aus schimmerndem Blaustein, neben einem eine grüne runde Kräuterbutter, zart im Geschmack, fast zu schön, um mit dem Silbermesserchen dranzugehen, drei verschiedene Sorten aus der Brotmanufaktur, und freut sich auf den ersten Gang.
Es ist Kaisergranat, eine hummerähnliche Krebsart, er kommt ausgelöst, leicht glasig und lauwarm auf den Tisch, schmilzt auf der Zunge, ist fein abgeschmeckt mit Vadouvan, einer indischen Gewürzmischung, die nicht ohne Fenchel- und Senfsamen auskommt. Dazu Yuzu, die Zitrusfrucht aus Japan, in Gnocchi-Größe Granat-Tartar und leicht säuerlich und feingeraspelt Karotten anbei. Es ist ein Auftakt nach Sternemaß.
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Italienisch, bayerisch oder äthiopisch: Mehrere SZ-Redakteure gehen regelmäßig für die Restaurantkritik "Kostprobe" essen. Warum das nicht immer vergnüglich ist.
Die Irish-Mòr-Auster, ein ziemlich großes und pochiertes Exemplar von perfekter Konsistenz, wird als zweiter Gang auf einem sehr, sehr heißen weißen Teller gereicht. Was Rosa Marín erst einmal erstaunte, fand sich doch Kaviari-Kristal-Kaviar daneben. Das Spitzenprodukt vom Stör aus chinesischen Bergseen erwartet man eher in einem kühleren Ambiente. Beides ein bisschen warm, das muss man mögen und kann sich dann dem schön drapierten, gerollten schwarzen Rettich auf dem Teller zuwenden. Hopplahopp naht der Zander aus Wildfang mit krosser Kruste auf einem ansprechenden grünen Kerbel-Spiegel. Eher durchschnittlich der Fisch und leider lauwarm ist hier das ansehnlich angerichtete Drumherum: Kohlrabi, köstliche kleine Buchenpilze und geröstete Walnüsse.
Das Maishendl versucht, einen guten Eindruck zu machen
Ein echtes Highlight, ein Klassiker aus der Küche Anton Gschwendtners, ist aber der nächste Gang: Glasiertes Kalbsbries, nussig und köstlich, dazu sämige, knackige Alb-Linsen, toll gewürzter und eingelegter Sellerie mit Sherry-Schaum, geschmückt mit feinen Champignon-Scheiben und Kräutern, bei diesem Gericht im dunklen Rund leuchten die zwei Sterne hell. Als große Portion auf großer weißer Platte versucht das Maishendl vom Gutshof Polting einen guten Eindruck zu machen. Der gelingt bei den Beilagen, dem Seidentofu und der Gyoza, feinen Teigtaschen gefüllt mit würzigem Hühnchen sowie Kai-Lan, einer Art chinesischem Brokkoli. Alles fast interessanter als die Hühnerbrust, die ist zwar zart und noch ein bisschen rosa, aber nicht wirklich ein Geschmackserlebnis. Auch hier alles einen Tick zu kalt.
Acht im Service, neun in der Küche, 20 Gäste
Vielleicht passiert so ein Teller aus der Sterneküche zu viele Hände und das kostet Zeit? Denn auch der Serviervorgang grenzt hier an eine Inszenierung: Einer trägt die Teller mit einem überdimensionierten Tablett auf, zwei reichen am Tisch an. Insgesamt acht sehr, sehr aufmerksame Kräfte sind im Service an diesem Abend, neun sind es in der Küche. An den insgesamt neun Tischen sitzen 20 Gäste. Dies war mit hohem Personalaufwand in der Sterneküche anfangs gemeint. Im "Atelier" schalten und walten übrigens Spitzenkräfte aus der Sternegastronomie, angeworben im vergangenen Jahr: Restaurantleiterin Daniela Heizmann aus der Schweiz und Sommelier Shahzad Talukder, der von Lea Linster aus Luxemburg kam. Die Auswahl seiner Weinkarte ist umfassend, überraschend, wirklich erlesen - und deshalb wohl tatsächlich mal eine eigene Exkursion in die Terrakotta-Höhle wert.
Denn will man noch das "Prä-Dessert" mit Pinacolada-Mousse und Passionsfrucht-Sorbet würdigen, die Käseauswahl, die von den "Kaasaffineurs Van Tricht" aus Antwerpen angerollt wurde, oder den "Armen Ritter", in dem sich Tahiti Vanille, Zwetschge, Portwein und aprikosenartige Umeboshis aufs Vortrefflichste vereinen, wird der Platz knapp. Besonders nach einem Sieben-Gänge-Menü, das eine runde Sache war, bei dem man Hingabe und Anspruch aller Mitwirkenden spürt - aber wo noch ein wenig Luft nach oben ist, hoch zu den Sternen.
Atelier im Hotel Bayerischer Hof , Promenadeplatz 2-6, 80333 München, Telefon 089/21207343, Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 18 bis 23 Uhr.
Die SZ-Kostprobe
Die Restaurant-Kritik "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts - von München, Wissen bis zur Politik - schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fast-Food-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: Nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen - um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können.