Über Parteigrenzen hinweg:"Unsere Generation ist doch lahm, fett und zufrieden"

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Carsten Dieckmann und Pia Bossmann sind vor nicht allzu langer Zeit der SPD und der Jungen Union beigetreten. (Foto: Claus Schunk)

Erfahrung trifft auf Neugier: Im SZ-Interview räsonieren altgediente und junge Lokalpolitiker über den Willen, etwas zu bewegen

Interview von Lea Frehse und Michael Morosow

Seit vielen Jahrzehnten bereits verrichten Waltraud Rensch (SPD Unterhaching) und Heinz Durner (CSU Oberhaching) politische Basisarbeit. Mit ihrer Erfahrung können Carsten Dieckmann (SPD Haar) und Pia Bossmann (Junge Union Kirchheim) bei Weitem nicht mithalten. Beide sind erst vor Kurzem in ihre Parteien eingetreten. Auf Einladung der SZ haben sich die beiden alten Hasen und die zwei politischen Frischlinge an einen Tisch gesetzt; nicht nur, um über damals und heute zu räsonieren. Dabei entstand ein interessanter Diskurs, immerhin liegen zwei Generationen zwischen den Gesprächspartnern. Wenn nicht gar mehr.

Heinz Durner: Fast drei Generationen!

Waltraud Rensch: Die deutsche Teilung haben Sie beide nie kennengelernt. Und wie Unterhaching in die 1. Liga aufstieg, da war der Carsten neun Jahre alt.

Carsten Dieckmann: Aber wie Unterhaching den FC Bayern zum Sieger gemacht hat, das weiß ich noch.

Herr Dieckmann, Frau Bossmann, Parteiarbeit gilt nicht gerade als hip. Was hat Sie bewogen, einzutreten?

Dieckmann: Ich war schon lange interessiert und SPD-nah. Vor ein paar Jahren war ich sogar schon auf einem Treffen der Jusos, aber die waren mir dann zu revolutionär. Der Impuls, jetzt einzutreten, kam auch mit Martin Schulz als Kanzlerkandidaten. Dazu die Bedrohung von Populismus allerorten Seiten - wenn nicht jetzt aktiv werden, wann dann?

Pia Bossmann: Ich studiere Politik, sich zu engagieren, lag nahe. Ich hatte länger schon Kontakte zur Jungen Union bei uns in Kirchheim. Ich interessiere mich vor allem für Lokalpolitik, aber der US-Wahlkampf und Trump haben mich richtig aufgewühlt.

Einen Präsidenten Trump oder den Schulz-Zug hätte man sich noch vor einem Jahr kaum vorstellen können. Gab es bei Ihnen, Frau Rensch und Herr Durner, 1982 und 1955 ähnlich aktuelle Gründe?

Rensch: Ich bin in die SPD eingetreten, als Kohl Kanzler wurde. Der Gedanke, dass der all die Errungenschaften der Ära Brandt und Schmidt wieder zurückdrehen könnte, machte mir damals große Angst. Ich war da schon 43 Jahre alt, aber ich dachte: Jetzt muss ich kämpfen.

Durner: Ich bin keinem Ortsverband beigetreten, ich habe gleich einen gegründet! Da war ich 15. Bei uns im Dorf in Nordschwaben gab es damals nur die SPD - und ich war überzeugt, dass es immer zwei Parteien geben müsse in einer Demokratie. Der Krieg war ja gerade erst zehn Jahre vorbei, mein Vater war ein überzeugter Nationalsozialist gewesen. Das war die Zeit, in der Kinder zu Hause Fragen stellten: Mama, Papa, habt ihr von den Vernichtungslagern gewusst? Meine Eltern haben das beide abgestritten, aber diskutiert haben wir trotzdem viel. Und ich wollte für die Demokratie eintreten.

Ein 15-Jähriger, der einen Ortsverband gründet. Heute würde man dem doch sagen: Werd' erst mal erwachsen.

Durner: Ich hatte damals einen sehr engagierten Lehrer. Als ich ihm erzählt habe, ich wolle einen Ortsverband gründen, hat der gesagt: Bua, da helf ich dir. Ich habe eine Handvoll Freunde zusammengetrommelt und am 1. Oktober 1955 haben wir im Gasthaus Heiß die CSU Schretzheim gegründet. Ich konnte die Jungen leicht überreden, ich war schließlich Schützenmeister.

Dieckmann: Und wie hat Ihr Vater reagiert, als ehemaliger Nazi?

Durner: Der hat mich einfach machen lassen. Nach dem Krieg wollte der von Politik einfach nichts mehr wissen. Für den war die Geschichte zu Ende. Ich aber war im Herzen ein Sozi.

Wir haben hier also einen jungen Sozialdemokraten, dem die Jusos zu "revolutionär" sind - und einen altgedienten CSUler mit rotem Herz? Das erklären Sie uns doch bitte.

Durner: Mir ging es ums System. In meinem Dorf hatte die SPD allein das Sagen. Also brauchte es ein Gegengewicht. Außerdem stand Deutschland damals, Mitte der Fünfzigerjahre, vor der entscheidenden Frage: Schließen wir uns dem Westen und den USA an? Der CDU-Kanzler Konrad Adenauer setzte sich dafür ein - und ich fand das richtig. Bei uns im Dorf habe ich Plakate geklebt für die Westbindung, immer wieder aufs Neue. Denn jeden Tag rissen die SPDler sie wieder herunter.

Dieckmann: Zu Ihrer Jugendzeit war Politik sicher spannender. Diese Grundsatzdiskussionen haben wir heute nicht mehr. Aber was die SPD angeht: Den aktuellen Slogan "Mehr Gerechtigkeit" kann ich voll unterschreiben. Mir ist nur wichtig, dass wir ganz pragmatisch etwas verändern, nicht bloß Revolution rufen.

Bossmann: Die großen Parteien unterscheiden sich doch inhaltlich kaum noch. Die politische Lage war lange Friede, Freude, Eierkuchen. Erst in letzter Zeit wird es für viele beunruhigend. Mit Europa und den Rechtspopulisten zum Beispiel.

Carsten Dieckmann und Pia Bossmann sind vor nicht allzu langer Zeit der SPD und der Jungen Union beigetreten. (Foto: Claus Schunk)

Dieckmann: Wer hätte gedacht, dass eine CDU-Kanzlerin den Ausstieg aus der Atomkraft durchsetzt.

Rensch: Der Atomausstieg war eine Initiative von Rot-Grün!

Dieckmann: Aber dass Merkel da einlenkte, hat mir gezeigt: In der Politik entscheidet heute eher Vernunft, weniger Ideologie. Das ist auch ein Merkmal unserer Generation: Wir mögen keine langen Reden, wir schauen, was getan werden muss.

Es hat lange geheißen, die Jugend interessiere sich nicht mehr für Politik. Ändert sich da was?

Bossmann: Definitiv. Die Flüchtlinge, der Brexit, Trump - das hat viele junge Leute aufgeweckt. In meinem Freundeskreis diskutieren wir jetzt viel über Politik. Am besten nach ein paar Bier.

Durner: Haben Sie in der Schule auch so lebendig diskutiert?

Bossmann: Gar nicht. Da macht der Notendruck alles kaputt.

Dieckmann: War bei Euch der Sozialkunde-Unterricht auch so verschlafen? Mir hat der die Lust auf Politik verdorben.

Bossmann: Bei uns war alles mit Druck verbunden. Wie soll das gehen, frei diskutieren, wenn es am Ende nur um eine Ziffer auf dem Zeugnis geht? Ich bin dafür, im Sozialkunde-Unterricht die Noten abzuschaffen. Anwesenheitspflicht ja, aber keine Noten.

Durner: Meine Rede, da muss sich was ändern. Ich habe mich als Schulleiter immer dafür eingesetzt, dass Politik lebhafter vermittelt werden muss. Aber gerade bei Themen wie Bildung oder Energie beißt man häufig auf Granit. Da heißt es dann: Das hamma aber immer scho so g'macht. Man bleibt bequem beim Status quo, anstatt Visionen zu entwickeln. Das war anders, als ich jung war, da ging der Blick immer nach vorn. Heute ist das Land zu gesättigt.

Sie alle arbeiten weniger an Visionen für das ganze Land, sondern an Plänen für Ihre Gemeinden. Was reizt Sie an der Kommunalpolitik?

Bossmann: Mich interessiert die Kommunalpolitik wirklich am meisten. Man kann da eben wirklich etwas bewegen. Bei uns in Kirchheim haben wir zehn Jahre lang dafür gekämpft, dass schnelleres Internet eingerichtet wird. Es hat gedauert - aber es hat geklappt.

Rensch: Anfangs hat mich Kommunalpolitik wenig interessiert. Recht schnell habe ich aber gemerkt, dass sich auf lokaler Ebene unheimlich viel verändern lässt. Als Person kann ich da richtig Einfluss nehmen. Es war meine Initiative, dass nach jahrelangem Kampf die erste Kinderkrippe im Landkreis eröffnete.

Hat sich die praktische Parteiarbeit seit Ihren Anfängen verändert?

Rensch: Heute trifft man sich deutlich seltener, höchstens alle zwei Monate. Früher saßen wir jeden Monat zusammen - und deutlich länger. Damals diskutierte man auch in Unterhaching über die großen Fragen der Bundespolitik. Heute überwiegen da kommunale Themen. Aber die Debatten sind immer noch genauso kontrovers.

Durner: Aber Wahlkämpfe heute sind Honig gegen damals.

Ist der Ton in der Politik heute rauer als früher?

Rensch: Ich finde, die Debatten sind eher zahmer geworden. Wenn man sich Protokolle von Bundestagssitzungen aus den Fünfzigerjahren anschaut: Da ging es wesentlich aggressiver zu.

Dieckmann: Man denke nur an Fischers "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub" - das war Mitte der Achtzigerjahre. Heute wäre das unmöglich.

Bossmann: Hier hat der Wahlkampf ja auch schon begonnen. Aber bislang höre ich nur, wie der politische Gegner kritisiert wird. Um Inhalte geht es kaum.

Dieckmann: Ich meine, es fehlt nicht an Ideen, aber am Mut, sie auszusprechen. Heute ist es doch so: Macht jemand einen Vorschlag, wird der erst mal zerpflückt.

Rensch: Es scheint mir auch schwieriger geworden zu sein, Themen zu setzen. Heute jagt ein Ereignis das nächste.

Welche Themen wären Ihnen heute wichtig?

Dieckmann: Ganz klar: Steuergerechtigkeit, Arbeitsmarkt, Flüchtlinge.

Bossmann: Das mit den Flüchtlingen sehe ich auch so. Dazu kommt für mich der Generationenvertrag. Das ist ein Thema, das immer mal wieder auf die Agenda kommt und trotzdem nicht gelöst wird. Da muss man doch mal klar sagen: Es läuft einfach nicht. Und dann natürlich das Thema Umwelt. Da ist es kurz vor zwölf.

Waltraud Rensch und Heinz Durner wissen, was Basisarbeit in den Parteien heißt. Seit Jahrzehnten sind sie engagiert. (Foto: Claus Schunk)

Durner: Genau das muss Euer Thema werden. Es ist Eure Chance, Euren Enkeln ein Land zu hinterlassen, das zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien setzt. Dafür müssen wieder junge Leute auf die Straße gehen.

Dieckmann: Ich würde mir sowieso wünschen, dass wieder mehr junge Menschen auf die Straße gehen. Unsere Generation ist doch lahm, fett und zufrieden.

Bossmann: Ja! Und das ist ganz gefährlich. Die Demokratie lebt davon, dass Bürger sich beteiligen.

Rensch: Auf meiner ersten Demo war ich Anfang der Neunzigerjahre in Bonn. Wir sind da mit den SPD-Frauen und selbstgemalten Plakaten hingefahren: Lasst uns die Abtreibung! Die wollte die Union damals einschränken. Als ich in Ihrem Alter war, Frau Bossmann, da durfte ich ohne das Einverständnis meines Mannes keinen Arbeitsvertrag unterschreiben. Ich durfte kein Abitur machen, weil meine Familie meinte, Mädchen brauchen keinen Beruf, sondern einen Ehemann.

Bossmann: Da hat meine Mama mich gut erzogen. Sie hat mir immer vermittelt, dass ich auf eigenen Beinen stehe.

Rensch: Immerhin haben kürzlich wieder viele Menschen für Europa demonstriert - vor allem junge.

Als Sie zur Politik kamen, Herr Durner, war die EU noch eine Utopie. Hätten Sie gedacht, dass man im 21. Jahrhundert für ihren Erhalt auf die Straße gehen müsste?

Durner: Mich enttäuscht die aufkommende Europafeindlichkeit ungemein. Als Kinder haben wir von so einer Union geträumt, davon, dass es keinen Krieg mehr geben würde.

Bossmann: Vielen Menschen kommt es heute wohl so vor, als würden die Politiker bei der EU sie über all die große Weltpolitik vergessen. Es ist auch Aufgabe der Politik, ihnen das Gefühl zu geben, dass dem nicht so ist. Die Idee von Europa kann nicht nur in Verträgen stehen, die muss in den Menschen sein.

Rensch: Heute jagt ein Thema das nächste. Die Panama-Papers, das ist erst ein Jahr her. Inzwischen kam Trump, dann die Abschiebungen nach Afghanistan. Da kommen viele nicht mehr hinterher.

Umfragen zeigen, dass die Jugend sich wieder stark nach Sicherheit sehnt. Können Sie das nachvollziehen?

Dieckmann: Ja, leider. Auch, weil wir mit viel mehr Unsicherheit auf die Zukunft blicken müssen, als unsere Eltern. Früher war klar: Wer studiert, findet auch einen Job. Heute gibt es viel mehr Fragezeichen. Finde ich einen Studienplatz? Behält mich meine Firma? Den Lebensstandard unserer Eltern werden wir wohl nie erreichen.

Durner: Eure Pension wird kleiner sein als meine.

Muss sich die Jugend wieder gegen die Älteren auflehnen?

Dieckmann: Wir gegen die Alten - das würde niemandem helfen. Es muss eher heißen: Lasst uns Probleme gemeinsam angehen.

Bossmann: Probleme wie der Klimawandel werden von allen angesprochen. Ich habe nicht das Gefühl, dass Ältere uns da etwas vorenthalten wollen.

Rensch: Man ist ja glücklich, wenn wieder junge Leute da sind. Bedenken entstehen meiner Ansicht nach erst dann, wenn Ältere von Jungen in ihren Bedürfnissen nicht akzeptiert werden. Wir wissen, was es heißt, jung zu sein. Die Jungen können noch nicht wissen, was das Alter mit sich bringt.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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