Traditionelle Wirtshäuser:Der Forstner heißt jetzt Odeon

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Das zentrale Gasthaus in Oberhaching hat schon viele Pächter und Umgestaltungen erlebt. Doch sogar nach dem Abriss und dem Neubau mit dem benachbarten Bürgersaal der Gemeinde hat sich der alte Name bei den Einheimischen gehalten.

Von Iris Hilberth

Wer das erste Mal zu einer Veranstaltung in den Oberhachinger Bürgersaal kommt, wird sich vielleicht über die Zusatzbezeichnung "beim Forstner" wundern. Weit und breit ist hier kein "Forstner" zu sehen. Es ist mittlerweile auch schon mehr als hundert Jahre her, dass Georg Forstner dieses älteste Gasthaus in Oberhaching am Kirchplatz übernommen hat.

Seither hat der Wirt viele Male gewechselt, das Gebäude wurde immer wieder umgebaut und Ende der Neunzigerjahre sogar abgerissen und wieder ganz neu errichtet. Offiziell hieß es auch immer mal wieder anders. Lange war es der Schinkenpeter, jetzt ist es das Odeon. Bei den Einheimischen blieb es immer "der Forstner".

Das alte Wirtshaus mit dem Halbwalmdach, wie es viele Oberhachinger noch von früher kennen, entstand zwischen 1810 und 1820. Schankrecht soll es aber bereits seit dem 17. Jahrhundert gegeben haben. Genau lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, wer hier wann das Bier zapfte. Karl Hobmair schreibt in seinem "Hachinger Heimatbuch": "Über einen Wirt in Oberhaching sind wenig frühe Nachrichten vorhanden."

In "Umrittsprotokollen" werde 1601 unter den landflüchtigen Personen "Georg Struzler des Wirts von Oberhäching Sohn vom Jahre 1599" genannt. 1707 soll dann Hans Georg Riedenauer letztlich erfolglos den Bau eines "zweigadigen Hauses 36 Schuh lang und 20 Schuh breit" sowie die Eröffnung einer "Bierzapferei" beantragt haben. Der Unterhachinger Wirtssohn Franz Pinthamer hat eine solche "Bierzäpflersgerechtigkeit" 1727 dann für Oberhaching erhalten.

1909 jedenfalls übernahm Georg Forstner die Landwirtschaft und die dazugehörige Gastwirtschaft mit Metzgerei. Es war ein großer Gebäudekomplex mit zahlreichen Räumen, die vielfältig genutzt wurden. "Alles in der Ortschaft passierte hier", sagt der heutige Bürgermeister Stefan Schelle (CSU). Familienfeste, Bälle, Tanzveranstaltungen fanden beim Forstner statt und sogar ein Kino gab es eine Zeit lang. Man müsse den Kirchplatz als Ensemble sehen, sagt er, die Kirche Sankt Stefan, das Wirtshaus, die alte Schule und das alte Rathaus, das einst dort stand, wo sich jetzt ein Parkplatz befindet und seit vielen Jahren ein Lebensmittelgeschäft geplant ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen im großen Saal im ersten Stockwerk des Wirtshauses Flüchtlinge unter. Durch aufgehängte Decken hat man damals versucht, das Quartier für die Neuankömmlinge aufzuteilen. Um 25 Prozent sei die Bevölkerung durch die aus ihrer Heimat Vertriebenen gewachsen, sagt Schelle.

Und in den 18 Jahren, in denen er jetzt schon Bürgermeister von Oberhaching ist, habe er vielen älteren Herrschaften zu runden Geburtstagen gratuliert, deren Thema immer noch Flucht und Vertreibung sei. Auch seine Großmutter war damals aus dem Egerland geflohen und beim Forstner untergekommen.

"Die Menschen waren nach der Flucht natürlich sehr deprimiert, hatten alles verloren", sagt Schelle. Doch dann habe die Oberhachinger Blaskapelle im Hof gespielt. Die Musik habe die Stimmung gehoben, das sei für die Vertriebenen ein verbindendes Element zur Heimat gewesen und ein Symbol dafür, dass es weitergeht. Der Musikanten-Brunnen auf der Südseite des heutigen Bürgersaals erinnert an diese Begebenheit.

Dort wo jetzt das Wasser um sechs Musikanten-Figuren und die Wirtin mit Bierkrügen sprudelt, stand einst das Nebengebäude mit der alten Kegelbahn. Im Untergeschoss hatten sich in den Dreißigerjahren die Turner des örtlichen Sportvereins einen Übungsraum eingerichtet, oben, so erinnert sich Schelle an seine Kindheit in den Siebzigerjahren, hatte der "Ingenieur Loch" eine Fahrradreparaturwerkstatt nebst Verkauf gebrauchter Comic-Hefte. "Es war eine dunkle Höhle, in der es nach Gummi roch, weil der Ingenieur ja allerlei Reifen und Schläuche lagerte", erzählt Schelle. Aber hier habe man seine gebrauchten Comics abgeben und neuen Lesestoff mitnehmen können.

Das Gebäude mit dem Laden wurde dann ebenso abgerissen wie das baufällige Haupthaus. Die alte Wirtschaft war zwar gemütlich, wie alte Dorfwirtschaften eben so sind: urig, dunkel und verraucht. Viel los war zuletzt allerdings nicht mehr, zumal auch die Speisekarte sehr übersichtlich gewesen sein soll. "Ein paar Würschtl vielleicht, das war's", fasst Schelle das damalige Angebot zusammen.

1990 wurde das Gasthaus verkauft, die Gemeinde erwarb das Grundstück und entschloss sich dazu, neu zu bauen. Aber eben möglichst ähnlich dem Vorgängerbau. "Es fehlen nur etwa 30 Zentimeter", sagt Schelle. Das neue Wirtshaus selbst ist in Privatbesitz, der Bürgersaal Gemeindeeigentum.

2003 war symbolischer Spatenstich, zwei Jahre später wurde die Eröffnung mit der Aufführung des niederbayerischen Singspiels "Holledauer Fidel" gefeiert. Viele Künstler lobten seither die Akustik des neuen Bürgersaals. Die Räumlichkeit werde gut genutzt, sagt der Bürgermeister, denn Säle seien rar und der Unterhalt "kein Spaß". Mehr als 200 Veranstaltungen finden normalerweise im Jahr statt. Bis zur Neuerrichtung gab es allerdings ein zähes Ringen im Gemeinderat.

Braucht man den Saal wirklich oder lässt man Wohnbebauung an der Stelle zu? Das galt es ausgerechnet in einem Jahr zu entscheiden, in dem eine große Gewerbesteuerrückzahlung ein schmerzhaftes Loch in die Gemeindekasse riss. Schließlich rang sich eine Mehrheit doch dazu durch, diesen Saal zu bauen.

Kein reiner Kultursaal sollte es werden, sondern ein Wirtshaussaal, in dem ein Orchester auftreten kann, genauso aber auch eine Theateraufführung möglich ist. In dem Vereine und Bürger sich versammeln können, der groß genug ist für viele Besucher, aber auch nicht zu groß, um nicht leer zu wirken. Und in dem auch einfach gefeiert und getanzt wird. So wie beim Forstner eben.

© SZ vom 19.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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