Gastronomie:Melange mit einem Schuss Menschlichkeit

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Die alte Gepäckhalle des Deisenhofener Bahnhofs stand lange leer. Jetzt wird dort in ungewöhnlichem Ambiente Kaffee serviert. (Foto: Sebastian Gabriel)

Zwei Brüder eröffnen im Deisenhofener Bahnhof ein "Social Café", das Kaffeebauern und Kindern in Afrika hilft: Mit jedem Getränk, das Kunden bestellen, finanzieren sie eine Schulmahlzeit.

Von Iris Hilberth, Oberhaching

Die schwere Holztür ächzt ein wenig, wenn man sie öffnet. Lange war sie verschlossen, das alte Gebäude des Deisenhofener Bahnhofs stand ewig leer. Neuerdings aber riecht es hier nach Kaffee. Es ist ein einladender Duft, und man wird überrascht vom neuen Innenleben des fast 125 Jahre alten Backsteinbaus. Denn entstanden ist dort eine Melange aus gemütlichem Kaffeehaus und lässiger Location, mit stumpfem Fischgrätenparkett und geschwungenen Sprossenfenstern einerseits sowie Secondhand-Möbeln und stylischem Tresen aus Holzpaletten andererseits - und dazu hypermoderner Siebträgermaschine. Dahinter steht der Barista und lässt den heiß aufgebrühten Kaffee in die Tassen laufen. Dabei geht es nicht nur um den Genuss. Im "Bean United Social Café" sichern die Betreiber Thomas und Philipp Greulich mit jedem Espresso, jeder Tasse Cappuccino und jedem Glas Latte Macchiato eine Schulmahlzeit in Burundi.

An der Wand neben den großen Fotos von Kaffeebauern und Schulkindern aus Afrika springt auf einer Anzeigetafel die Zahl der bezahlten Mittagessen mit jeder Kaffee-Bestellung um eine Ziffer nach oben. 20 000 Mahlzeiten pro Jahr haben sich die 42 Jahre alten Zwillingsbrüder Greulich vorgenommen, so viele wollen sie mit ihrem Café über die Welthungerhilfe finanzieren. "Nach zwei Monaten waren wir fast bei 4000", sagt Thomas Greulich. Die Oberhachinger fühlen sich offenbar wohl in ihrem alten Bahnhof. Der Laden läuft.

Einst wurden hier die Gepäckstücke der Sommerfrischler gelagert, die seit dem Bau der Bahnstrecke zwischen München und Holzkirchen im 19. Jahrhundert Oberhaching entdeckten. Bürgermeister und Gemeinderat schwebte schon lange vor, das durchaus charmante Gebäude für Gastronomie zu nutzen. So kaufte man es vor acht Jahren. Die Pläne gibt es noch immer, doch die Umsetzung zieht sich hin. In zwei Jahren soll das unter Denkmalschutz stehende Gebäude komplett entkernt werden. Bis dahin können die Greulichs in dem etwa 50 Quadratmeter großen Raum und ab März wohl auch im Außenbereich Gäste mit Kaffee und kleinen Speisen wie Bananenbrot, selbstgebackenen Kuchen und Focaccia bewirten. Die Preise sind moderat. "Der Kaffee soll nicht mehr kosten als in der Bäckerei", sagt Greulich. Dass auch die Qualität der in Garmisch gerösteten Bohnen stimmt, haben ihnen kürzlich die Experten einer Kaffee-Zeitschrift bestätigt, die ihren Espresso prämierten.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Das Social-Café "Bean United" im alten Bahnhofsgebäude bringt eine gewisse Lässigkeit nach Deisenhofen, die viele schätzen.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Die Brüder Thomas (links) und Philipp Greulich wollten ein Geschäft mit einem sozialen Projekt verbinden.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Der Kaffee kommt aus Burundi, Brasilien, Guatemala und Indien.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Die Greulichs kennen die fünf Kaffeebauern, von denen sie ihre Ware beziehen, persönlich. Ein wesentlicher Faktor ist die Wertschätzung in Form von fairen Preisen für qualitativ hochwertigen Rohkaffee.

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Auch kleine Speisen wie selbstgebackenen Kuchen, Bananenbrot und Focaccia gibt es im "Bean United".

Gerne würde Bean United über 2023 hinaus im alten Bahnhof bleiben. "Die Leute sind schon so verliebt in unser Café", sagt Thomas Greulich, von Schülern bis zu 80-jährigen Senioren hätten sie Stammgäste. Aber der Deal mit der Gemeinde läuft auf zunächst zwei Jahre, immerhin. "Darüber sind wir auch schon ganz froh", sagt der Unternehmer.

2018 hatte er gemeinsam mit seinem Bruder das Start-up Unternehmen als "Social Coffee Company" in Oberhaching gegründet. Die Greulichs sind hier aufgewachsen, haben Betriebswirtschaft studiert und beim Getränke-Hersteller Red Bull gearbeitet. Thomas ist viel in der Welt herumgekommen, hatte Jobs in London, Mexiko und auf Mallorca. Doch irgendwann reichte es ihm nicht mehr, einfach nur hippe Getränke zu vermarkten. "Ich wollte unternehmerisch tätig sein und zugleich einen sozialen Betrag leisten", sagt er. So gründeten sie "Bean United", das vor allem Kaffee an Betriebe verkauft und für jedes Kilo zehn Mahlzeiten in Burundi finanziert. Etwa 100 Firmenkunden haben sie, außerdem beliefern sie ebenso viele Restaurants von Dean & David.

Sie kennen die Kaffeebauern persönlich

Die Greulichs kennen die fünf Kaffeebauern aus Burundi, Brasilien, Guatemala und Indien, von denen sie ihre Ware beziehen, persönlich. Marcial etwa, der bereits 80 Jahre alt ist und auf einer Finca in Guatemala arbeitet. Wer schon mal eine Kaffeepackung von Bean United in der Hand hielt: Es ist der Mann mit Hut im Firmenlogo. Ein wesentlicher Faktor ist die Wertschätzung in Form von fairen Preisen für qualitativ hochwertigen Rohkaffee. Pro Kilo zahlt das Oberhachinger Start-up im Schnitt knapp fünf Euro. Der Weltmarktpreis liegt bei etwa zwei Euro, der Fair-Trade-Preis bei circa 2,80 Euro pro Kilo. "Unsere Kaffeebohnen werden direkt mit den Kaffee-Fincas und ohne Zwischenhändler gehandelt", versprechen die Greulich-Brüder.

Demnächst will Thomas Greulich wieder nach Ruanda, Äthiopien und Burundi aufbrechen und auch das Projekt besuchen, das sie unterstützen. "Das sind tolle Menschen, sehr positiv", schwärmt er. "Es geht nicht darum zu sagen, das sind arme Menschen, denen müssen wir helfen. Wir sehen dort volles Potenzial, eigene Dinge anzupacken, wir wollen einen Schub geben." Bei der lokalen Kooperative kochen Eltern morgens um vier Uhr das Schulessen für die 200 Kinder. 25 Cent kostet eine Mahlzeit.

Neben dem Verkauf des Kaffees schwebte den Brüdern schon länger vor, mit einem Pop-up-Café den Einstieg in die Gastronomie zu testen. "Das scheiterte bislang an den sehr hohen Ablösen", sagt Thomas Greulich. Daher hatte er im vergangenen Jahr Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle gefragt, ob nicht ein Fensterverkauf im ehemaligen Schalterraum des Bahnhofs möglich wäre. "Der Bürgermeister hat uns dann den Gepäckraum gezeigt und ich wusste gleich: Das ist es", so Greulich weiter. Die einzige Bedingung der Gemeinde: Die Toiletten müssen öffentlich zugänglich sein.

Bean United hat 20 000 Euro investiert, um im alten Bahnhof den Strom neu zu verlegen und die Sanitäranlagen herzurichten. Bei der restlichen Gestaltung, etwa auch des kunterbunten öffentlichen WCs, halfen Freunde und der Künstler Nico Lettl. Vieles konnte so bleiben wie es war, weil gerade dies den Charme des Gebäudes ausmacht. Auch der Vater der Brüder packte mit an und als er mit dem Fuß ein paar Spinnweben aus der Ecke entfernen wollte, fiel dort der Putz runter und die Steine kamen hervor. Greulich, der solches Design aus Bars in Lissabon kennt und weiß, dass seine Oberhachinger gar nicht so bieder sind, wie man vielleicht glaubt, sagt: "Das war der perfekte Look."

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