Schule:Online-Unterricht auf Ukrainisch oder Präsenz-Unterricht auf Deutsch?

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In der Willkommensgruppe an der Mittelschule Taufkirchen hilft die Ukrainerin Yevheniia Rohulina beim Übersetzen und fungiert als Bindeglied zwischen Kindern, Eltern und Schule. (Foto: Claus Schunk)

Viele Schulen haben Willkommensgruppen für geflüchtete Schülerinnen und Schüler eingerichtet - dort können sie parallel am Online-Unterricht aus der Ukraine teilnehmen. Doch nach drei Monaten greift die Schulpflicht - eine Regelung muss her.

Von Daniela Bode, Taufkirchen/Planegg

Im Kunstraum an der Mittelschule Taufkirchen läuft die Kinder-Nachrichtensendung "Logo" auf Ukrainisch. In einem Video geht es unter anderem um Depression. Die rund 20 Jungen und Mädchen im Alter von zehn bis 16 Jahren sehen interessiert zu. "Wie habt ihr euch gefühlt, als ihr geflüchtet seid", fragt Lehrerin Julia Dorszcz sie auf Englisch. "Es war sehr schlimm, unser Zuhause zu verlassen", antwortet ein Junge ebenfalls auf Englisch. Eigentlich unterrichtet Dorszcz die Willkommensgruppe für aus der Ukraine geflüchtete Schüler in Deutsch, doch das sprechen die Kinder und Jugendlichen noch nicht so gut. Und die Lehrerin will ihnen die Möglichkeit eröffnen, zu erzählen, wie es ihnen geht. "Uns ist wichtig, dass sie erst einmal ankommen und sich wohlfühlen", sagt sie. Druck jedenfalls soll auf keinen Fall entstehen. Später geht die Klasse noch zum Kunstprojekt ins Jugendkulturzentrum. Ein paar Mädchen nehmen sich an der Hand, dabei kennen sie sich erst seit kurzer Zeit - die Willkommensgruppe wurde erst nach den Osterferien eingerichtet. Man hat den Eindruck, als genössen es die Kinder, wieder unter mehreren Jugendlichen zu sein.

Die Willkommensgruppe ist eine von vielen, die an den bayerischen Schulen für ukrainische Kinder gebildet wurde, um eine "erste schulische Integration" zu ermöglichen, wie es im Rahmenkonzept des bayerischen Kultusministeriums heißt. Kinder, die schon gut genug Deutsch sprechen, könnten auch in Regelklassen untergebracht werden, erklärt Schulamtsdirektor Ulrich Barth vom staatlichen Schulamt im Landkreis München. Das ist die eine Seite. Einige Schüler wollen aber auch weiterhin an ihrem ukrainischen Online-Unterricht teilnehmen, den viele ukrainische Schulen auf verschiedene Weise schnell auf die Beine gestellt haben und weiter anbieten. Weil die Schulpflicht in der Regel erst drei Monate nach dem Zuzug aus dem Ausland gilt, können die Kinder in dieser Zeit noch wählen, ob sie am deutschen Unterricht teilnehmen. Danach müssen sie hier die Schule besuchen, wie eine Sprecherin des Kultusministeriums darlegt.

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Die Vereinbarkeit des ukrainischen Online-Unterrichts mit der Schulpflicht sei unter anderem vom Landkreis München an übergeordneter Stelle mehrfach thematisiert worden, erklärt Christine Spiegel, Pressesprecherin des Landratsamts. Bisher finden die Schulen unkompliziert und individuell Lösungen, um den ukrainischen Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an dem Online-Angebot in ihrem Heimatland zu ermöglichen. Die Entscheidung über Befreiungen vom Unterricht, die nach dem Schulrecht möglich sind, treffen die Schulleitungen. Jetzt steht ohnehin erst einmal das Deutschlernen und Ankommen im Vordergrund.

Für die Willkommensgruppe an der Taufkirchner Mittelschule, die derzeit jeden Tag von 8 bis 13 Uhr in Präsenz stattfindet, haben sich vier Schulen zusammengetan. Beteiligt sind auch das Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching, die Walter-Klingenbeck-Realschule in Taufkirchen und die Mittelschule am Sportpark in Unterhaching. "Es geht erst einmal darum, dass die Schüler die deutsche Sprache lernen, unabhängig davon, wie ihr Leistungsstand ist", sagt Nikola Kurpas, Rektorin der Mittelschule Taufkirchen. Den gesamten Vormittag über ist die Ukrainerin Yevheniia Rohulina dabei, sie spricht fließend Englisch. Sie soll ständig Ansprechpartnerin für die Kinder sein. "Sie ist auch unser Bindeglied zwischen Kindern, Eltern und Schule", sagt Kurpas. Die Kinder lernen nicht nur Deutsch. Im Jugendkulturzentrum gibt es die Kunstprojekte, Sozialpädagogen üben mit einem Teil der Kinder praktische Alltagsdinge wie S-Bahnfahren.

Die Eltern sollen keinen Druck haben

Die Teilnahme am ukrainischen Online-Unterricht versucht man parallel zu ermöglichen. "Wenn ein Kind sagt, es hätte beispielsweise von neun bis zehn Online-Unterricht, kann es in einen Nebenraum gehen", sagt Kurpas. Für solche Fälle stehen in der Schule und auch im Jugendkulturzentrum zahlreiche Tablets zur Verfügung. Laut Kurpas läuft das ukrainische Schuljahr noch bis Ende Mai. Soweit sie erfahren hat, sollen die ukrainischen Schulen den Kindern ermöglichen, dass sie ihr Schuljahr online abschließen. Das wolle man ihnen natürlich nicht verwehren. "Uns war vor allem wichtig, den Eltern keinen Druck zu machen", sagt sie.

Es sind viele individuelle Lösungen gefragt, auch weil die ukrainischen Schulen ihren Online-Unterricht ganz unterschiedlich gestalten. Bei der 16-jährigen Sofia etwa, die die Willkommensgruppe in Taufkirchen besucht, werden auf einer Plattform Aufgaben eingestellt, die sie jederzeit bis zu einer Deadline erledigen kann. In der Willkommensgruppe gefällt es ihr. "Ich fühle mich sicher, wir erzählen uns Geschichten", sagt sie. Ihr gefällt auch die Gelegenheit, ihr schon ziemlich gutes Deutsch weiter zu üben. Vika, 15, die auch in der Gruppe sitzt, hat hingegen montags, mittwochs und freitags digitalen ukrainischen Unterricht, der live stattfindet. "Wir müssen den Unterricht mischen", sagt sie. Ihr Plan ist, am ukrainischen Unterricht per Handy teilzunehmen und in den Pausen in den deutschen Unterricht zu gehen. Nach dem Ende des ukrainischen Schuljahrs Ende Mai sind drei Monate frei.

Wenn danach noch Krieg in der Ukraine und sie noch hier ist, will Vika nur noch die deutsche Klasse besuchen. Yevheniia Rohulina, deren Sohn auch in der Willkommensgruppe sitzt, hingegen hat gleich nach ihrer Ankunft entschieden, ihn in den deutschen Unterricht zu schicken. "Ich weiß ja nicht, wie es sein wird, ob wir wieder nach Hause zurückkehren können", sagt sie. Mit der ukrainischen Lehrerin hat sie die Entscheidung besprochen, ihr Sohn nimmt nicht am ukrainischen Online-Unterricht teil. Sie selbst stellt sich derweil auf alle Möglichkeiten ein: Bei Bedarf will sie ihren Sohn in den ukrainischen Lerninhalten unterrichten. Es stünden ja alle Materialien online. Dass die Schulen schnell ein digitales Angebot zur Verfügung gestellt hätten nach Kriegsbeginn bestätigt sie, die Strukturen seien ja von der Corona-Pandemie bereits da gewesen.

Das beherrschende Thema bei der Integration ukrainischer Kinder in den Schulalltag ist die Vereinbarkeit der deutschen Klassen mit dem ukrainischen Online-Unterricht aber nicht. Am Feodor-Lynen-Gymnasium in Planegg, wo ebenfalls eine Willkommensgruppe mit mehr als 30 Kindern und Jugendlichen eingerichtet ist, hat es laut Agnes Schmidt erst eine Nachfrage von Eltern gegeben, ob das Kind während des Unterrichts an einem Termin des ukrainischen Online-Angebots teilnehmen darf. Wenn so etwas vorkomme, wolle man das natürlich ermöglichen, sagt die Lehrerin, die in der Schulleitung mit der Integration der ukrainischen Schüler betraut ist: "Der Fokus liegt aber auf dem Deutschlernen und darauf, dass sich die Kinder gut zurechtfinden." Auch die Rückmeldungen der Eltern gingen in diese Richtung. "Wir bewegen uns Schritt für Schritt und orientieren uns an den Bedürfnissen der Kinder", sagt Schmidt.

"Die meisten legen Wert darauf, dass die Kinder in den Schulen ankommen und Deutsch lernen"

Ganz ähnlich schildert es Gesine Clotz, Rektorin der Grundschule an der Friedenstraße in Ottobrunn. Auch dort gibt es eine Willkommensgruppe mit zuletzt zwölf Kindern, die Zahl ändert sich laufend. An zwei Tagen besuchen die Kinder auch den Regelunterricht, weil die Lehrkraft nur dienstags bis donnerstags Zeit hat. Nur von den älteren Schülern weiß Clotz, dass sie gelegentlich auch Online-Unterricht haben. Noch könnten die Eltern wählen. "Die meisten legen aber vor allem Wert darauf, dass die Kinder hier in den Schulen ankommen und Deutsch lernen", sagt die Rektorin. Aus ihrer Sicht sei es besonders wichtig, den Kindern Normalität zu ermöglichen.

Ob im kommenden Schuljahr überhaupt ukrainischer Online-Unterricht stattfindet, ist noch gar nicht klar. In den Schulleitungen und im Schulamt ist man aber überzeugt, dass es bis dahin Regelungen geben wird. "Ich glaube, dass es bis dahin eine gute Lösung geben wird, wie sich der deutsche Unterricht und ukrainischer Online-Unterricht vereinbaren lassen", sagt Schulamtsdirektor Barth. Man wolle ja das Beste für die Schüler. Auch die Taufkirchener Schulleiterin Kurpas geht davon aus, dass es dann passende Lösungen geben wird. Sie persönlich, auch aus der Sicht als Mutter, findet aber: Sollten die ukrainischen Schüler dann noch immer hier sein, sollten sie sich "aufs deutsche Schulsystem konzentrieren".

Bettina Hahlweg, Schulpsychologin am staatlichen Schulamt, sagt dagegen, "es müsste eine Zwischenlösung gefunden werden", sollten im kommenden Schuljahr die ukrainischen Online-Klassen fortgesetzt werden. "Einerseits wäre es für die Identität der Kinder wichtig, weiterhin am ukrainischen Online-Unterricht teilnehmen zu können, gleichzeitig sollte auch die Integration ins hiesige Schulsystem unterstützt werden, um den Kindern Halt, Sicherheit und Zukunftsorientierung zu geben und soziale Teilhabe zu ermöglichen."

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