Prozess um Schockanrufe:Wenn hochbetagte Senioren ihr Erspartes verlieren

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Immer wieder sind Trickbetrüger mit sogenannten Schockanrufen erfolgreich. Nun traf es eine Seniorin in Anzing. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa-tmn)

Eine von Polen aus agierende Bande soll alte Menschen in und um München mit Schockanrufen um viel Geld gebracht haben. Vor dem Landgericht stehen nun drei mutmaßliche Täter. Doch die Hintermänner bleiben im Dunkeln - und die Liste der Betrogenen ist lang.

Von Andreas Salch, München

Die Methode ist perfide, aus Sicht der Täter aber höchst erfolgreich: Mit sogenannten Schockanrufen gelingt es aus dem Ausland agierenden Banden immer wieder, meist ältere Menschen am Telefon in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Anrufer gaukeln ihnen vor, sie seien Polizisten oder Staatsanwälte, und behaupten, eines ihrer Kinder oder ein Verwandter habe einen schweren Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mensch schwer verletzt oder sogar ums Leben gekommen sei. Um zu verhindern, dass ihr Angehöriger in Untersuchungshaft komme, müssten sie eine Kaution hinterlegen, die sie einem "Gerichtskassierer" an ihrer Haustüre übergeben sollten.

Vor dem Landgericht München I hat am Donnerstag der Prozess gegen drei Männer aus Polen begonnen. Auf der Anklagebank der 10. Strafkammer sitzen Jakub L., Adrian D. und Mikolaj C.-M. Sie sollen den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge im vergangenen Jahr die Geldbeträge abgeholt haben, die ihre Hintermänner zuvor mit den zum Teil hochbetagten Senioren am Telefon als vermeintliche Kaution für einen ihrer Angehörigen ausgehandelt hatten.

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Außer in Schwaben und Nordbayern sollen in München und München-Land sowie den Landkreisen Starnberg, Dachau, Freising und Bad Tölz-Wolfratshausen sechs ältere Menschen Opfer der Bande geworden sein. Jakub L. und die beiden Mitangeklagten sollen bei ihnen alles in allem rund 208 000 Euro abgeholt haben. In der Zeit zwischen Februar 2022 bis zu ihrer Festnahme Ende vergangenen Jahres sollen die drei in wechselnder Besetzung in 14 beziehungsweise 15 Fällen in ganz Bayern insgesamt 692 000 Euro erbeutet haben. Nur zweimal gelang es den Ermittlern, den Opfern ihr Geld - zusammen rund 168 000 Euro - zurückzugeben.

Es war kurz nach 12 Uhr am 10. Mai 2022, als eine 82-jährige Starnbergerin einen Anruf von einem bislang unbekannten Mitglied der Bande erhielt. Was dieser behauptete, muss für die Rentnerin ein Schock gewesen sein. Ihr Sohn, so die Behauptung, habe einen schweren Unfall verursacht, bei dem eine Frau tödlich verletzt worden sei. Dem Sohn drohe nun Untersuchungshaft. Diese könne jedoch abgewendet werden, wenn eine Kaution in Höhe von 30 000 Euro hinterlegt werde. Die Starnbergerin zahlte. Entgegengenommen haben soll das Geld in diesem Fall Mikolaj C.-M.

In einem Fall sammelten die Täter Goldmünzen und Goldbarren ein

Nur wenige Tage später tischten die Hintermänner der Angeklagten zwei älteren Menschen in Dachau und Neufahrn bei Freising eine ähnliche Geschichte am Telefon auf. In Dachau fiel eine 88-Jährige darauf herein. Sie soll am 19. Mai 2022 gegen 17 Uhr Mikolaj C.-M., der sich ihr als "Herr Steiner" vorstellte, 15 000 Euro übergeben haben. Nur knapp 30 Minuten nach dieser Geldübergabe erschien Mikolaj C.-M. den Ermittlungen zufolge am Anwesen einer 81-Jährigen in Neufahrn bei Freising und gab sich als "Herr Roth" aus, der die vereinbarte Kaution abholen solle. Die Frau übergab 15 000 Euro.

Knapp vier Wochen später, am 21. Juni 2022, jagten Komplizen der Angeklagten einer 82-Jährigen aus Ismaning einen Schreck ein, indem sie behaupteten, ihre Tochter habe eine schwangere Frau bei einem Unfall schwer verletzt. Kaution oder Untersuchungshaft lautete auch diesmal die Forderung. Die Frau zahlte 25 000 Euro. Zwei Tage nach dieser Tat wurde eine Akademikerin aus München Opfer der Bande. Sie zahlte gegen 14.30 Uhr an jenem Tag 22 500 Euro, um ihrem Sohn eine angeblich drohende Untersuchungshaft zu ersparen.

Nur zweieinhalb Stunden später erhielt einer der Angeklagten in Münsing, im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, den höchsten Betrag, den die Bande erbeutete: 100 000 Euro. Es handelte sich ausnahmslos um Goldbarren, Goldmünzen und Goldschmuck, die eine 75-Jährige einem "Herrn Bach" - dem Angeklagten Adrian D. - an ihrer Wohnungstüre überreichte. Ein Urteil in dem Prozess wird für Ende Dezember erwartet.

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