Kreis und quer:Rasende Schildkröten

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Alle reden von der Entschleunigung. Aber wenn sie im Verkehr ausgebremst werden, sind sie sauer. Darauf muss man reagieren - und zwar schnell.

Kolumne von Iris Hilberth, Landkreis München

Wer nicht absichtlich einen anstrengenden Aktivurlaub gebucht hat, freut sich in der Regel auf freie Tage, an denen man mal einen Gang runterschalten kann. Vielleicht auch zwei. Entschleunigung ist angesagt. Und man nimmt sich fest vor, es auch nach den Ferien langsam anzugehen. Runter mit dem Tempo. Obwohl man beim Gedanken an den nächsten Termin zappelig wird. "Wenn du es eilig hast, geh langsam", wird in Achtsamkeitsseminaren gepredigt. Das japanische Sprichwort, das diesem Rat zugrunde liegt, lautet wörtlich übersetzt sogar: "Wenn du es eilig hast, mache einen Umweg." Und aus China stammt diese Weisheit: "Schildkröten können dir mehr über den Weg erzählen als Hasen."

Ja, manchmal möchte man Schildkröte sein. Daher blüht das Geschäft mit der bewussten Langsamkeit. Wer sich die Bummelei leisten kann, setzt auf Slow Food statt Burger, auf Slow Cooking statt Schnellkochtopf. Multitasking war gestern, man stellt sich entspannt an der Plauderkasse an, wo eben nicht die Ware so schnell über den Scanner gezogen wird, dass man beim Einpacken Schweißausbrüche bekommt. Manch einer geht sogar zum Slow Dentist, der nicht nur langsamer, sondern auch gründlicher bohrt. Inzwischen gibt es eine Slow-Jogging-Bewegung, in Kanada hat ein Mann namens Mikael Colville-Andersen das "Slow Bicycle Movement" gegründet. Und wer meint, Walking sei schon die langsame Art des Laufens, der sollte sich mal bei Monty Pythons Ministry of Silly Walks erkundigen. Auch Gehen geht langsam.

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Im Landkreis München ist die Begeisterung für langsame Fortbewegung allerdings noch nicht richtig angekommen. Es gibt zwar immer wieder Versuche, allerlei Verkehrsteilnehmer auszubremsen. Es ist aber keine Erfolgsgeschichte, hier will keiner Schildkröte sein. Jüngstes Beispiel: Die Speed-Breaker von Höhenkirchen-Siegertsbrunn, auch schlafende Polizisten genannt. Gelb-schwarz-gestreifte Schwellen, die die Gemeinde auf dem Kirchenweg installiert hat, um das Tempo von schnellen Radfahrern zu drosseln. Vielen sind Rennradler ein Graus. Weil sie offenbar weder Klingel noch Bremsen besitzen und sich, meist im Rudel, der Raserei hingeben. Von Slow-Biken halten die nichts. Aber von schlafenden Polizisten halten die Höhenkirchner und Siegertsbrunner nichts.

Und diese Schwellen sind nicht das einzige Instrument der verordneten Langsamkeit, das in jüngster Zeit wieder entfernt wurde. Das Tempo-120-Schild auf der Giesinger Autobahn: Längst abgeschraubt. Tempo 10 auf der Unterhachinger Stumpfwiese und am Mühlberg in Straßlach: einkassiert. Entschleunigung hin oder her - wenn es den Leuten nicht schnell genug geht, werden sie ganz schnell sauer. Aber das Ausbrems-Equipment ist ja nicht weg, das lahme Zeug ist nur eingelagert. Man muss es einfach so machen wie die Höhenkirchner mit ihren Schwellen und sie an anderer Stelle wieder installieren. Am besten ganz schnell.

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