Landkreis München:Warum viele Gemeinden mit dem MVG-Mietradsystem unzufrieden sind

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Leihradstation der MVG in Planegg. (Foto: Catherina Hess)

Seit sechs Jahren kooperieren Landeshauptstadt und Landkreis München bei den Mieträdern. Doch im Umland wächst der Unmut über den Betreiber. Es wird sogar spekuliert, dass die Kooperation bald vor dem Aus stehen könnte.

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis München

Es klang wie das kühne Versprechen einer modernen Verkehrswende. Ein einheitliches System zur Ausleihe von Mieträdern, die sowohl in der Landeshauptstadt als auch im Landkreis München problemlos und flexibel genutzt werden können. Mit einem Blick in die App sieht der geneigte Radler, wo in seiner Stadt oder Gemeinde das nächste Mietrad steht, bucht sich mit einem Klick per Smartphone das Radl und sattelt auf. Nach sechs Jahren aber zeigt sich, dass es zwischen Stadt und Landkreis noch strukturelle Unterschiede und Ungleichheiten gibt - und in manchen Kommunen wächst der Unmut vor allem über die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), ein Tochterunternehmen der Landeshauptstadt, das als Betreiber des Mietrad-Systems im Landkreis agiert.

Christoph Böck, SPD-Bürgermeister in Unterschleißheim, spekuliert sogar darüber, dass die Kooperation im kommenden Jahr vor dem Aus stehen könnte. "Das schließe ich nicht aus", sagte Böck der SZ - schließlich sei der Landkreis mit der MVG nicht verheiratet.

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Eigentlich hat sich das MVG-System im Landkreis längst etabliert. Mittlerweile stehen in 22 der 29 Städte und Gemeinden des Landkreises Ausleih-Stationen; selbst im südöstlichsten Teil des Landkreises am Bahnhof Dürrnhaar in Aying können Räder gebucht werden. Im Jahr 2021 registrierte die MVG nahezu 40 000 Ausleihen im gesamten Landkreis sowie etwa 38 000 Rückgaben; vor allem in den Sommermonaten und natürlich zu den Haupt-Pendlerzeiten am Morgen und am Abend wird das Angebot gut angenommen.

Die MVG-Räder werden im Landkreis nicht so stark nachgefragt wie erhofft. (Foto: Claus Schunk)

Woher aber rührt dann der steigende Unmut im Landkreis München, den auch der Landtagsabgeordnete der Grünen, Markus Büchler aus Oberschleißheim, teilt? Büchler spricht von "Unterschiedlichkeiten", die es so nicht geben dürfe und die seitens der MVG bei Inbetriebnahme des Systems vor sechs Jahren auch so nicht angedacht gewesen seien. Die beiden größten Kritikpunkte betreffen die Rückgabe der Mieträder auf dem Gebiet des Landkreises sowie damit verbundene Strafgebühren. Anders als im sogenannten Kerngebiet, der "Freefloat-Area" innerhalb des Mittleren Rings in München, können in den Randbezirken der Landeshauptstadt und im Landkreis MVG-Mieträder nur an festen Stationen abgegeben werden, wer sein Radl aber frei abstellt, wird mit einer Strafe von 20 Euro belegt. Dies sei für die Landkreisbürger eine klare Benachteiligung, sagt Unterschleißheims Rathauschef Böck; Büchler kritisiert, diese "Zweiteilung" sei ein absoluter Fehler, das System müsse für alle verständlich und nutzerfreundlich sein.

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Dass Bürgermeister Böck nun über einen möglichen Ausstieg aus der Zusammenarbeit mit der MVG nachdenkt, hat einen politischen Hintergrund. Für den Aufbau des MVG-Mietradsystems haben sich der Landkreis und die Landeshauptstadt als Vertragspartner in einer Zweckvereinbarung zusammengetan. Im Anschluss hat sich der Landkreis im Rahmen des Förderprogramms "Klimaschutz durch Radverkehr" beim Bundesumweltministerium um Förderung für das Projekt beworben - mit einer erfolgreichen Zusage unter der Voraussetzung, dass die Stationen mindestens fünf Jahre in Betrieb bleiben. Innerhalb dieses Zeitraums hat der Landkreis den Kommunen in einer Vereinbarung eine 50-prozentige Beteiligung auf fünf Jahre zugesagt, diese läuft nun für alle Stationen, die 2018 in Betrieb gegangen sind, im kommenden Jahr aus.

Das Landratsamt unter Leitung von Landrat Christoph Göbel (CSU) will diese Beteiligung des Landkreises nun in der nächsten Sitzung des Mobilitätsausschusses des Kreistags am 20. Juni entfristen. Ohnehin heißt es aus der Behörde, für eine Beendigung der Kooperation mit der Landeshauptstadt bestehe überhaupt keine Notwendigkeit, es herrsche Zufriedenheit mit dem Vertragspartner und es seien auch alle Zusagen eingehalten worden. Dennoch muss eine Entfristung der Förderung nicht zwangsläufig eine weitere Kooperation mit der Stadt und der MVG bedeuten, denn jede Kommune kann selbständig nach dem Ende des Fünf-Jahres-Zeitraums aus dem System aussteigen.

Die Kritiker aus Ottobrunn

Das Mietradsystem hat nicht nur Freunde im Landkreis München. Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) wehrte sich von Anfang an gegen den Aufbau von Stationen in seiner Kommune - bisher immer mit Erfolg. Er spricht dem Leihsystem stets einen tatsächlichen Nutzen bei der Verkehrswende ab - steht damit aber im Kreistag, anders als im Ottobrunner Gemeinderat, ziemlich alleine da. Selbst eine kurze Testphase im vergangenen Jahr hat in Ottobrunn bisher zu keinem Umdenken geführt.

Christoph Böck indes erkennt in Mieträdern einen wichtigen Baustein bei der Verkehrswende, sieht aber vor allem in der MVG einen Bremser; diese hätte stets den weiteren Ausbau von Stationen versprochen, bewege sich aber überhaupt nicht mehr, so Unterschleißheims Bürgermeister. "Wir würden das Projekt gerne weiterführen und versuchen auch seit eineinhalb Jahren auf die MVG Einfluss zu nehmen", sagt Böck, der wie die anderen Bürgermeister der Nordallianz aus Ismaning, Unterföhring, Oberschleißheim, Garching, Neufahrn, Hallbergmoos und Eching auch gerne E-Bikes und Pedelecs in das System aufnehmen würde, aber auch da gebe es keine Bewegung, kritisiert Böck. Deshalb müsse Druck auf die MVG aufgebaut werden, indem man sich nach anderen Anbietern umschaue.

Dem stimmt Verkehrsexperte Markus Büchler zu, der vor allem der alten Stadtregierung aus CSU und SPD die Schuld beim Ausbau-Stopp gibt. Dies nun wieder zu ändern, brauche Zeit. Zudem verweist Büchler auf die österreichische Hauptstadt Wien: Diese habe unlängst ihren Anbieter gewechselt, sagt er. Mittlerweile wurden dort die Räder von "CityBike" durch die des Betreibers "WienMobil" abgelöst - bis zum Herbst sollen mehr als 3000 neue Bikes durch alle Bezirke rollen. "Wenn die MVG nicht mitmacht, muss man sich umschauen", sagt auch Büchler.

Wer also vom Stachus nach Unterschleißheim radelt, der soll sein Mietrad frei im Stadtgebiet abstellen dürfen. Über die Einführung solcher Freefloat-Gebiete berät auch der Mobilitätsausschuss des Kreistags in seiner nächsten Sitzung. Ob das eine Zusammenarbeit auf Dauer zwischen dem Landkreis und der Landeshauptstadt zur Folge haben wird, ist die große Frage. Wer verheiratet ist, kann sich ja auch wieder scheiden lassen.

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