Jahresrückblick:Abschied und Aufbruch im Kulturleben

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Die Lage der Kultur in Unterhaching ist schwieriger und das Programm dünner als früher - davor braucht man die Augen nicht zu verschließen. Aber es gibt schon noch Glanzlichter zu sehen im Kubiz, das als Ballett-Hochburg gilt: hier ein Auftritt der Benedict-Manniegel Schule & Akademie vom Mai 2023. (Foto: Sebastian Gabriel)

Etliche Protagonisten der Szene im Landkreis München haben sich heuer in den Ruhestand empfohlen. Das Veranstaltungsleben nach der Pandemie ist noch nicht überall wieder auf dem alten Niveau, eine Kabarettreihe ist sogar eingestellt worden. Und mancherorts muss kräftig gespart werden. Doch es gibt auch Lichtblicke und ein neues Festival.

Von Udo Watter, Landkreis München

In einem Metier, in dem die perfekte Illusion auf der Bühne das höchste Ideal ist und die technisch fehlerfreie Interpretation eines Streichquartetts zum selbstverständlichen professionellen Anspruch gehört, wirkt der Einbruch der Wirklichkeit mit ihren Mangelerscheinungen besonders krass. Das allerdings passiert mitunter, wenn Kunst live und ungefiltert dargeboten wird: etwa durch die enttäuschende Tagesform der Protagonisten oder eine unvorhergesehene Intervention der Realität, welche die Inszenierung der Schönheit untergräbt.

Konkret kann da in einem großartigen Klassikkonzert in Grünwald mal der Schlüsselbund-Alarm in der Tasche eines Zuhörers losgehen und die folgenden Piano-Stellen zum Gedulds-Martyrium machen, da das vermaledeite Ding nicht aufhört, leise vor sich hin zu schrillen. Es kann auch vorkommen, dass man Zeuge eines verstörenden Auftritts in einem Ottobrunner Kabarett-Wettbewerb wird, den Veranstalter wie Publikum so wohl nicht erahnen konnten. Wenn live zudem mit open air korrespondiert, befeuert die Kombination auch nicht jedermanns Freude, wie die Konflikte rund ums Kleine Theater Haar und den dortigen Anwohnern im Sommer 2023 zeigten.

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In der Regel aber ist es gerade Kunst als Live-Ereignis, die ob ihrer unmittelbaren Wirkungsmacht hohen kulturellen Genuss auslöst. Im Landkreis München mit seinen vielen ambitionierten Kulturprogrammen ist die Chance groß, solch inspirierenden und erfüllenden Erfahrungen vor der Haustür zu machen. Ab und an erweitert sich die ohnehin schon beeindruckend Fülle des Angebots sogar: 2023 etwa wird erstmals das Musikfestival "Nuancen" in Aying realisiert, dass die international renommierte Pianistin Sophie Pacini in ihrer Heimatgemeinde auf die Beine stellt, künstlerisch wie von der Publikumsresonanz ein Erfolg wird und nun regelmäßig stattfinden soll. "Nach dem Festival ist vor dem Festival", sagt Pacini am letzten der drei Abende und freut sich über die Erfüllung eines "Lebenstraums". Aying soll jetzt nach dem Wunsch von Bürgermeister Peter Wagner (CSU) nicht mehr nur für das einheimische Bier bekannt sein, sondern auch für sein Musikfestival.

Pianistin Sophie Pacini lässt sich (hier mit dem Klarinettisten Sebastian Manz) bei der Premiere ihres Musikfestivals in Aying feiern. (Foto: Claus Schunk)

Das Kubiz in Unterhaching ist schon lange als Ballett-Hochburg überregional bekannt, mittelfristig sind aber gerade keine allzu großen Sprünge möglich. Die finanziell gebeutelte Gemeinde - die Probleme mündeten im Herbst 2022 sogar in eine Haushaltssperre - muss sparen und improvisieren. Marion Brück, die nach dem Abschied der langjährigen Kulturamtsleiterin Ursula Maier-Eichhorn jetzt für die Erstellung des Kulturprogramms verantwortlich zeichnet, ist daher in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. "Wir haben inzwischen ein kleineres Programm mit weniger Veranstaltungen", sagt sie, "aber drastisch war's nicht". Für das kommende Frühjahrsprogramm muss man noch ein kleines bisschen reduzieren, aber insgesamt weiß Brück zu schätzen, dass der Gemeinderat das Kulturkonzept im Rahmen des Haushalts unterstützt. Und natürlich gebe es auch künftig "einige Glanzlichter" für die Unterhachinger, die ohnehin ein recht treues Publikum sind. "Das Jahr ist eigentlich gut gelaufen", bewertet Brück die Resonanz.

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Das ist nicht überall so, Kultur als Live-Erlebnis hat mancherorts an Attraktivität verloren. Das ohnehin schwer zu verführende jüngere Publikum bleibt gerade außerhalb der großen Städte in den Bürgerhäusern und Kulturzentren weg. Und auch im personellen Bereich, etwa bei der Veranstaltungstechnik, tun sich häufiger größere Lücken auf. Sozusagen rechtzeitig verabschiedet hat sich Ursula Maier-Eichhorn, die als Kulturamtsleiterin in Unterhaching seit 1985 tätig war und im Frühjahr 2023 in den Ruhestand ging.

Ebenfalls Adieu gesagt hat heuer Daniela Benker. Sie prägte als Leiterin von Forum Unterschleißheim 18 Jahre lang das Kulturleben in der größten Stadt des Landkreises maßgeblich und bereicherte es trotz aller Schwierigkeiten, etwa mit dem Dauer-Sanierungsfall Ballhausforum, über das reine Kulturprogramm hinaus auch mit ambitionierten Projekten. Vom Zeltfest über das Open-Air am Rathausplatz und die städtische Kooperation mit dem Capitol-Kino bis hin zur Neukonzeption des Stadtmuseums und zum Gedenkort für NS-Zwangsarbeiterinnen an der Flachsröste, der im September eröffnet wurde. Sie profitierte dabei auch von der kontinuierlichen finanziellen Unterstützung der kommunalen Kultur durch die Stadt. Ihr Nachfolger Jochen Gnauert, der im November sein Amt antrat, darf darauf ebenfalls bauen, um sein Konzept der "aktivierenden Kulturarbeit" umzusetzen.

Für gewisse Zeit müssen die Freunde des Kallmann-Museums von der Institution Abschied nehmen

Zurückgezogen von der Kulturarbeit hat sich in Taufkirchen auch schon seit geraumer Zeit der langjährige Leiter des Kultur-und-Kongress-Zentrums Michael Blume, nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen. Seine Nachfolgerin wird Julia Jattke.

Für einen gewissen Zeitraum Abschied nehmen müssen auch die Freunde des Kallmann-Museums in Ismaning von dieser Institution - es ist derzeit geschlossen, wird modernisiert und erweitert. Die Bauarbeiten sollen im Herbst 2024 abgeschlossen sein, bis dahin sind die Ausstellungen der renommierten Institution in der Galerie im Schlosspavillon zu sehen, deren langjährige Leiterin Gisela Hesse hat 2023 ebenfalls Servus gesagt.

Das Kallmann-Museum in Ismaning ist derzeit wegen Umbaumaßnahmen geschlossen, voraussichtlich bis Herbst 2024. (Foto: Robert Haas)

Abschied nehmen - freilich auf eine andere Art - hieß es vor einigen Wochen zudem im Gasthaus Inselkammer in Siegertsbrunn. Die Kabarett- und Kleinkunst-Reihe "Brotzeit & Spiele", die der freie Kulturimpresario Wolfgang Ramandan im gesamten Oberland organisiert, stellt ihren Spielbetrieb dort nach nur knapp zwei Jahren ein - dabei war man erst im Sommer 2022 dort vom alten Standort Großhelfendorf (Aying) hingezogen. Mit Siegertsbrunn gibt der in Icking lebende Ramadan auch weitere Standorte in Isen und Wasserburg auf, Bad Tölz und Grafing bleiben als Spielstätten erhalten. Massiver Publikumsschwund von rund 50 Prozent bei gleichzeitig gestiegenen Kosten hätten Brotzeit & Spiele gezwungen zu dieser "traurig-drastischen Entscheidung". In gewisser Weise bewahrheitete sich, was Ramadan schon im Sommer 2022 bei der Vorstellung der Spielzeit in Siegertsbrunn nach den schweren Jahren der Pandemie andeutete: "Alles Geld, das der Bund und der Freistaat investiert hat, wäre komplett rausgeschmissen, wenn sie uns nicht weiter unterstützen. Ansonsten werden viele die nächsten beiden Jahre nicht überleben."

Wolfgang Ramadan (links) und Wirt Michael Öchsl posieren im Sommer 2022 im Festsaal des Gasthauses Franz Inselkammer in Siegertsbrunn. Inzwischen hat sich der Kulturveranstalter vom Standort zurückgezogen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Nicht nur Ramadan hat feststellen müssen, dass "Corona das Publikumsverhalten nachhaltig verändert" hat. Mittlerweile ist so viel über den Bildschirm verfügbar, dass sich hinaus zu bequemen offenbar zu unbequem ist im Vergleich zum bequemen Sofa. Womöglich liefert dann auch noch irgendein Lieferdienst das Essen ins Haus - da kann man schon doch leichten Herzens auf den Besuch des komplizierten Theaterstücks oder den Weg zur jungen Liedermacherin verzichten.

Die großen Namen hingegen ziehen nach wie vor große Mengen an und klar - es gibt immer wieder Ausnahmen wie beim kleinen Capitol-Kino in Lohhof, das 2023 eine erstaunlich gute Zuschauerzuspruch erfährt. Die Entwöhnung von Sofa und Streaming fällt aber wohl generell schwer. Nicht so bekannte Künstler und experimentelle Projekte erfahren momentan eher noch weniger Resonanz als früher. Zudem fehlt es Bund, Land und Kommunen vielerorts an Geld. Und da wird eben gern mal an der Kultur gespart, auch wenn diese als Wirtschaftsfaktor viel wichtiger ist, als oft wahrgenommen wird. Der Regisseur Michael Stacheder, der mit seinem Münchner Schauspiel Ensemble jahrelang sein Stammhaus im Kleinen Theater Haar hatte, hat dazu den klugen Satz gesagt: "Auch in der Kultur gibt es Long Covid."

Aus zynisch-philosophischer Sicht könnte man das sogar begrüßen: Philosophieren heißt ja sterben lernen. Abschied nehmen ist da hilfreich, weil Abschied ja bekanntlich ein bisschen wie sterben ist. Freilich folgt auf jedes Ab auch ein Auf. Auf jeden Abschied hoffentlich ein Aufbruch.

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