Traditionelle Wirtshäuser:Altes Wirtshaus mit neuem Dreh

Lesezeit: 4 min

Der Gasthof zur Post in Haar hat eine lange Geschichte als Gastronomiebetrieb. Bis ihn die Gemeinde 1990 kaufte, war diese Tradition aber 30 Jahre unterbrochen: Damals waren Film-Ateliers in dem Gebäude.

Von Bernhard Lohr

Es gab noch keine Raser und keine Drängler mit Lichthupe. Doch Schilderungen bezeugen, dass es vor 150 oder 200 Jahren auf Fernstraßen auch wild zuging. Rücksichtslose Fuhrleute blockierten den Weg und hatten manchmal nur schadenfrohes Lachen übrig, wenn sie einen Städter in seiner schicken Kutsche in den Graben gedrängt hatten. Am Abend konnte es dann aber sein, dass sich alle im Wirtshaus in Haar wieder begegneten, wo auch die Postkutsche Halt machte. Die Salzgasse am Gasthof zur Post erinnert daran, dass dort an der Salzstraße von Reichenhall nach München einst Trubel herrschte wie heute an einer Autobahnraststätte. Aber das ist wahrlich vorbei. Der Gasthof samt Biergarten hat sich zu einem Hort gepflegter Gastlichkeit abseits der belebten Bundesstraße entwickelt.

Es war ein langer Weg dahin, auf einer kurvenreichen, holprigen Strecke mit Abzweigungen, die in Sackgassen führten. Das städtisch anmutende Haar, das viele heute nur von der Durchfahrt auf der B 304 oder au f der B 471 kennen, bestand bis vor 150 Jahren aus einer Handvoll Häuser und 30 Bewohnern. Einen Wagner und einen Schmied gab es, deren Hilfe bei Fuhrleuten gefragt war. Dazu die in ihren Ursprüngen romanische Nikolauskirche aus dem 12. Jahrhundert.

Die Heil- und Pflegeanstalten erlebten einen Aufschwung

Der Wirt an der Wirtsstation war die wichtigste Person am Ort. Legendär wurde Franz Bibinger Mitte des 19. Jahrhunderts, der den Abriss der Nikolauskirche verhinderte und dessen Familie die Kirche als ihr Eigentum ansah und sogar bestimmte, wer dort beerdigt werden durfte. Vor allem aber brachte der "Haarer Franz", wie ihn alle nannten, seine Tafernwirtschaft nach 1860 zur Blüte, mit Tanzsaal, Fremdenzimmern und Stallungen für mehr als 60 Pferde. Der "Alte Wirt" wurde dann auch zum lebendigen Zentrum des Ortes, der nach der Eröffnung der Bahnstation im Jahr 1871 und vor allem auch der Heil- und Pflegeanstalten in Eglfing und in Haar im Jahr 1905 und 1912 einen Aufschwung erlebte.

Der heutige Gasthof wurde 1929 errichtet und gilt als meistfotografiertes Motiv in Haar.

1 / 2
(Foto: privat)

Der legendäre Franz Bibinger (links im Jahr 1887) führte das Vorgängerhaus, den Alten Wirt.

2 / 2
(Foto: Angelika Bardehle)

In der Post treffen sich die Haarer, bei bürgerlicher Küche mit Anspruch.

Weitere Gasthöfe entstanden. Die Bahnhofsrestauration mit ihrem von mächtigen Kastanien bestandenen Biergarten wurde zum Ziel der Ausflügler aus München. Ein Höhepunkt im "Alten Wirt" an der Fernstraße war 1907 ein neuntägiges Volksfest. 1908 zählte man 300 Übernachtungen im Jahr. Im Jahr 1928 kaufte der Bankier August von Finck das Gebäude und ersetzte es durch einen Neubau samt Saal, der vorübergehend zum gesellschaftlichen Zentrum wurde und der dem heutigen Gasthof Zur Post entspricht. Der Neubau damals war verbunden mit der Hoffnung, dass die ebenfalls neu errichtete Kirche St. Konrad gegenüber Gäste bringen würde. Man hoffte auf Wallfahrer, weil Reliquien des Bruders Konrad aus Altötting aufbewahrt werden sollten. Doch es kam anders und dazu gesellte sich die Wirtschaftskrise. Es folgten schwere Zeiten für die Haarer Wirte.

Parallelen zu damals drängen sich in der Corona-Krise des Jahres 2020 auf, wenngleich man davon an einem sonnigen Tag um die Mittagsstunde wenig spürt. Der Kellner deckt innen die Tische, draußen im wegen der Abstandsregelung nur 200 Plätze bietenden Biergarten laufen Vorbereitungen. Während seine Schwägerin die Terrasse kehrt, klingelt bei Wirt Karl Dabernig immer wieder das Telefon, weil Firmen und Familien einen Tisch im Biergarten reservieren wollen. Dennoch sagt der erfahrene Gastronom auf die Frage nach der Zukunft gerade des traditionellen Gasthauses: "Es steht auf der Kippe." Er sehe für viele Wirte schwarz, sollte eine zweite Welle kommen. Die Innen-Gastronomie laufe schleppend. Ältere Gäste scheuten die Gefahr vor Ansteckung. Der Herbst werde zur Nagelprobe werden, prophezeit er.

Große Faschingsbälle kann sich Dabernig derzeit nicht vorstellen. Vor allem die Saalbewirtschaftung ist weg. Ein Foto aus dem Jahr 1933 zeigt eine große Faschingsgesellschaft im 800 Personen fassenden Saal von damals. Es gab Theateraufführungen, ein Passionsspiel wurde gezeigt und Weihnachtsfeiern füllten den Saal. Doch die Wirte wechselten in den Dreißigerjahren in kurzen Abständen. Nur die näherrückende Niederlage im Zweiten Weltkrieg verhinderte, dass die Wehrmacht den Gasthof für sich in Beschlag nahm und dieser zum Ausweichquartier für das Wehrmeldeamt München I wurde.

1990 wurde wieder ein Wirtshaus daraus

Nach dem Krieg folgte dann die Zäsur. Die Firma "Inselfilm" übernahm 1959 das Gebäude, in das Büros, Aufnahmehallen, Ateliers und ein Lager für Requisiten einzogen. Die Filmemacher hatten ihren Anteil daran, dass München den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 1972 erhielt. Den 13-minütigen Imagefilm mit dem Titel "Munich - a city applies", der bei der Präsentation im Foro italico in Rom gezeigt wurde, hatte Inselfilm-Chef Norbert Handwerk in kurzer Zeit produziert. Solche Anekdoten erzählen sich die Stammgäste im Gasthof zur Post heute noch. Andere erinnern sich daran, dass sie dort das Tanzen lernten oder berichten von den Faschingsbällen von einst. Die jüngere Geschichte des Hauses beginnt mit der Entscheidung der Gemeinde, es zu kaufen und zu sanieren. 1990 wurde es wieder Wirtshaus. Daneben entstand nach dem Abriss des Saals das moderne Bürgerhaus, und erst 2014 wurde mit dem Poststadel das Bildungszentrum der Gemeinde eröffnet.

Der Bau wurde stilistisch dem alten Stadel nachempfunden, in dem einst Kutschen und Pferde abgestellt wurden. Heute halten die Haarer das Areal um den Kirchenplatz mit Gasthof, Maibaum davor, Sankt-Konrad-Kirche, Poststadel und naher Nikolauskirche als ihr schmuckes Ortszentrum hoch. Hinter dem Gasthof ragt 60 Meter ein Büroturm in die Höhe. Das alte und das moderne Haar gehen Hand in Hand als eigenwillige Interpretation des Spruchs: Laptop und Lederhose.

Die nahe Verkehrsader, die den Gasthof begründet hat, die heutige B304, ist weit weg, wenn man im Biergarten sitzt, in dem die Gemeinde auch vorgeschrieben hat, dass an bestimmten Plätzen tatsächlich die Gäste ihr Essen mitbringen dürfen. Heute gehört der Gasthof vor allem den Haarern. Noch um 1900 war das ganz anders, wie die Haarer Zeitzeugin Katharina Eberhard schildert, die in der Chronik der Gemeinde zitiert wird. In langen Reihen seien die Fuhrwerke die Dorfstraße entlang gestanden, "so dass der Wirt die Einfahrt derselben sperrte und einen Schlagbaum quer über die Straße schob". Jeder Einkehrende habe für sich und seine Pferde pauschal bezahlt, "ob er nun viel verzehrte oder wenig". Und mancher habe die Nacht auf Stroh verbracht, "das kurzerhand in die Wirtsstube geschichtet wurde".

© SZ vom 12.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gasthof zur Post
:20 Jahre in österreichischer Hand

Die Wirtsfamilie um Karl Dabernig stammt aus Kärnten - das schmeckt man auch.

Von Bernhard Lohr

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: