Energiewende:Der weite Weg zur Null

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Eine der größten CO₂-Schleudern im Landkreis München: das Heizkraftwerk München-Nord der Stadtwerke, das in Unterföhring steht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der aktuelle Treibhausgas-Bericht des Landratsamts zeigt, dass der Ausstoß an Kohlendioxid zwar zurückgeht, doch noch viel zu tun bleibt. Und die gesteckten Ziele nicht einmal reichen.

Von Bernhard Lohr, Landkreis München

Es wird wärmer. Für die nächste Tage sind sommerliche Temperaturen angekündigt. Endlich, denken viele nach diesem nassen, kühlen Frühjahr. Zugleich aber beschleicht sie das ungute Gefühl, dass es bald wieder viel zu heiß werden könnte. Der aktuell vom Landratsamt München vorgelegte Treibhausgasbericht zeigt nun mit vielen Daten aus dem Jahr 2020, wie es um den Kampf gegen die Erderwärmung im Landkreis München bestellt ist und wo jede der 29 Kommunen steht. Zwar attestiert der THG-Bericht, wie er kurz genannt wird, dem Landkreis Fortschritte; so sank nach dem sogenannten Bisko-Berechnungsansatz der Ausstoß an Klimagasen je Einwohner von 11,8 Tonnen im Jahr 2010 über 9,7 Tonnen im Jahr 2018 auf 7,9 Tonnen im Jahr 2020. Doch die Zahlen sind begrenzt aussagekräftig. Außerdem gilt es, die Null anzupeilen. Landrat Christoph Göbel (CSU) mahnt denn auch, mit den Bemühungen beim Klimaschutz "nicht nachzulassen".

Der THG-Bericht erscheint in einer Phase, in der im Landratsamt und in den Rathäusern so intensiv über konkrete Maßnahmen gebrütet wird wie noch nie. Von allen Seiten baut sich Druck auf, konkrete Schritte zu ergreifen. Der Regionale Planungsverband pocht darauf, dass Flächen für Windkraft ausgewiesen werden. Kommende Woche sollen die Bürgermeister auf der Klimaschutzkonferenz des Landkreises Zielwerte benennen, wo sie ihre Kommunen im Jahr 2030 beim Treibhausgasausstoß sehen. Außerdem soll es bei dem Treffen am Donnerstag, 25. Mai, in Taufkirchen darum gehen, bis wann sie bei Strom und Wärmeversorgung klimaneutral sein wollen und bis wann komplett. Der Landkreis will darauf aufbauend seine eigenen Ziele nachjustieren.

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Das ist dringend erforderlich, weil die ursprüngliche Beschlusslage des Landkreises für die Initiative 29++ vorsah, den Ausstoß an Klimagasen bis 2030 auf sechs Tonnen je Kopf zu senken. Das ist längst überholt, auch weil sich der Bund bis 2045 und der Freistaat sogar bis 2040 zur Neutralität verpflichtet haben.

Wie steinig der Weg ist, einen neuen, ehrgeizigen Pfad für den Landkreis zu fixieren, zeigt die bisherige Resonanz auf die Konferenz, für die laut Landratsamt erst neun Kommunen ihre Ziele samt Klimaschutzmaßnahmen benannt haben. Bis Ende des Sommers wollen sechs Kommunen nachziehen. 14 Kommunen sind demnach bisher gar nicht mit im Boot, etwa Haar oder Unterhaching und auch Ottobrunn, dessen Bürgermeister ein Windhundrennen um Zahlen und Ziele sowieso ablehnt. "Das bringt uns nicht weiter", sagt Thomas Loderer (CSU). Wichtiger sei die konkrete Arbeit im Rathaus fürs Klima. Die freilich spiegelt sich im Treibhausgasbericht wider, den Loderer als Orientierungshilfe durchaus als sinnvoll erachtet.

Dabei ist es ein Bericht, der mit einem 108-seitigen Textteil und 64 Seiten Daten zum einen in die Tiefe geht, aber zum anderen methodisch an Grenzen stößt. Es ist eine Momentaufnahme mit Zahlen aus dem Corona-Jahr 2020, als das öffentliche Leben weit heruntergedimmt und der Energieverbrauch zwangsläufig gesunken war. Zudem beschreiben die alten Daten einen Bereich, der sich rasant verändert. Laufend gehen Photovoltaikanlagen in Betrieb und werden Fernwärmenetze ausgebaut.

Nach öffentlicher Kritik werden die Emissionen zudem nun auch nach einer Methodik dargestellt, die den in den Kommunen regenerativ erzeugten Strom berücksichtigt sowie die nicht-energetischen Emissionen der Landwirtschaft und die Autobahnen außen vor lässt. Der Landkreis München kommt damit statt auf 7,9 Tonnen nach Bisko auf 5,7 Tonnen CO₂ pro Kopf. Philipp Schramek, Leiter der 29++-Initiative, hält das nicht für geschönt, sondern betont den Vorteil, wonach der Fokus damit stärker auf Aspekte gelegt werde, die die Rathäuser auch "beeinflussen" könnten.

Ohne die Klimagase der Autobahn könnte Gräfelfing seine Ziele erreichen

Die Gemeinde Gräfelfing liegt mit ihren Treibhausgas-Emissionen in etwa im Landkreisdurchschnitt. Bürgermeister Peter Köstler (CSU) sieht mit der neuen Methode ohne die für Gräfelfing bedeutsame Lindauer Autobahn nun tatsächlich eine realistische Möglichkeit, einen Pfad zur Klimaneutralität zu beschreiben. Er kündigt an, auf der Klimakonferenz in Taufkirchen als Ziel zu erklären, bis 2030 mit Hilfe von Investitionen in Geothermie auf 2,8 Tonnen je Einwohner zu kommen. Für den nächsten Schritt hin zur Klimaneutralität habe sich der Gemeinderat auf das Jahr 2040 geeinigt. "Wir können nicht sportlicher sein als das Land Bayern", sagt Köstler.

Der THG-Bericht darf aber laut den Initiatoren schon auch sportlich aufgefasst werden. Er liefert Bürgermeistern, Klimaschutzmanagern und Bürgern Orientierung und ermöglicht Vergleiche. Kaum waren die Zahlen etwa im Brunnthaler Rathaus angekommen, nutzte Bürgermeister Stefan Kern (CSU) die Gelegenheit, seine Flächengemeinde in einem Facebook-Post als Musterknaben bei der installierten Photovoltaik-Leistung darzustellen, weil man mit 941 Watt/peak pro Einwohner deutlich an der Spitze aller Kommunen liegt. Der Durchschnittswert beträgt 280 Watt/peak. Lena Gierl von der Initiative engagierter Bürger namens "Klimaneutral 2035" in Unterschleißheim hat in ihrer Stadt bei der Photovoltaik mit 198 Watt/peak je Einwohner Potenzial nach oben ausgemacht. "Da lässt sich schon einiges herauslesen", sagt sie zum THG-Bericht. Man sehe, wo es sich anzupacken lohne und wo man mit dem Rathaus ins Gespräch kommen sollte.

Sieht seine Gemeinde an der Spitze: Brunnthals Bürgermeister Stefan Kern. (Foto: Angelika Bardehle)

Doch aus dem THG-Bericht sollten keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden. Während Unterschleißheim etwa beim Solarausbau hinterherhinkt, ist die Stadt bei der Geothermie Vorreiter und peilt einen weiteren Ausbau an. Ein ähnlicher Fall ist Pullach. Dort liegt man nach der Bisko-Berechnung aktuell bei 11,1 Tonnen CO₂-Ausstoß pro Person und steht damit deutlich schlechter da als der Durchschnitt. Doch das liegt, wie Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) erläutert, zum Großteil an dem hohen Energieverbrauch der chemischen Industrie am Ort mit den Firmen Linde und United Initiators.

Bei der Geothermie ist Pullach dagegen vornedran, strebt laut Tausendfreund gar den Vollausbau an. Die Gemeinde unternehme große Anstrengungen und habe viel erreicht. Tatsächlich sank nach Bisko der CO₂-Ausstoß seit dem jüngsten Treibhausgasbericht vor zwei Jahren um 3,4 Tonnen pro Kopf. Man werde mit einer weiteren Bohrung das Zuheizen mit fossilen Brennstoffe beenden und gehe neue Wege. So will Pullach die Geothermie auch im Sommer nutzen und mit ihrer Hilfe Gewerbekomplexe kühlen. Auch das Rathaus werde bald klimatisiert, die Vorinstallation dafür sei abgeschlossen.

Längst arbeitet man im Landratsamt und in den Rathäusern daran, die Klima-Folgen abzumildern. Dabei geht es um klimagerechtes Bauen und darum, das Leben und Arbeiten in Hitzephasen nicht nur in den Rathäusern erträglich zu gestalten. Auch Gesundheitsschutz und Katastrophenschutz sind Themen. Ein integriertes kommunales "Anpassungskonzept" soll erstellt werden. 25 von 29 Kommunen haben dafür laut Landratsamt eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Die staatliche Förderung dafür erwartet man im Herbst. Dann soll auch auf diesem Gebiet eine Strategie entwickelt werden.

Der aktuelle Treibhausgasbericht und der dazugehörige Datenkatalog sind zu finden auf der Homepage des Landrastsamts unter https://www.landkreis-muenchen.de/themen/energie-und-klimaschutz/29-klima-energie-initiative/entwicklung-der-co2-emissionen-im-landkreis

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