Laientheater:Generationenkonflikt vor Retro-Tapete

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"Wenn man aus der Zeit kommt, hat man einiges davon bestimmt bei den Eltern gesehen": Probe für das Stück "Schwabing 69" im Kleinen Theater Haar. (Foto: Laura Geigenberger)

Mit der turbulenten Komödie "Schwabing 69" lässt die Münchner Volkssängerbühne im Kleinen Theater Haar die wilden Sechzigerjahre wieder aufleben. Das Stück verbindet leichte Unterhaltung mit zahlreichen Anspielungen - auch auf die heutige Zeit.

Von Laura Geigenberger, Haar

Umbrüche, wilde Partys und Krawalle: Ende der 1960er-Jahren geht es in München vor allem in Schwabing heiß her. Auf den Bühnen in den zahlreichen Live-Clubs schreddern Jimi Hendrix, die Rolling Stones und Pink Floyd ihre Gitarren, Uschi Obermaier zieht mit Rainer Langhans um die Häuser und auf den Straßen protestieren die Studenten als Teil der europaweiten Jugendrevolte. Inmitten dieses Durcheinanders, am Kurfürstenplatz, führt die Witwe Elfi Schindlbeck zusammen mit ihrem Vater und der Tochter eine Pension - natürlich am Finanzamt vorbei. In die bunte Mischung ihrer skurrilen Dauergäste platzt plötzlich die lang verschollene Schulfreundin Gitti. Als dann auch noch ein Unbekannter mit einem Paket und kryptischer Botschaft auftaucht, stellt sich das Hausleben von Elfi und ihren Gästen vollends auf den Kopf.

"Schwabing 69" hat die Münchner Volkssängerbühne (MVB) ihr turbulentes neues Stück genannt, welches sie am Samstag im Kleinen Theater Haar erstmals auf die Bühne bringen wird. Der Name ist angelehnt an die bewegten Münchner Jahre, aber auch an die Hausnummer von Elfis Pension, die - so viel sei bereits verraten - im Stück noch eine tragende Rolle spielen soll. Auch wenn das Laienensemble der Volkssängerbühne ein weiteres Mal den Stil des krachig-witzigen Boulevardtheaters aufgegriffen hat, ist der Dreiakter ein wenig aus der Art geschlagen: Geschrieben haben es diesmal die MVB-Mitglieder Monika Nitschke, Gabi Bertl, Franz Rinberger sowie Franziska Lohr, nachdem sich der etablierte Stammautor Roland Beier auf eigenen Wunsch aus dem Theatergeschehen zurückgezogen hat.

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Die traditionsreiche Volkssängerbühne wage damit einen "künstlerischen Neuanfang" mit verändertem Vorstand sowie Rinberger und Lohr als neues Regie-Duo - ein guter Anlass, um auch spielerisch etwas umzudenken, sagt Gabi Bertl. Bislang habe das Ensemble vor allem Klassiker auf Bairisch nachgespielt oder sich an bekannte Dramen und Geschichten angelehnt. "Jetzt aber hatten wir den Wunsch, mal was ganz Neues auszuprobieren und das Stück in eine Zeit zu setzen, die wir bisher noch nie im Programm hatten", erzählt Bertl. Von der Idee, die Zeit um die Jahre 1968/69 zu wählen, sei das Ensemble sofort begeistert gewesen. "Für uns als Schwabinger liegen die geschichtsträchtigen Sechzigerjahre natürlich sehr nahe." Zumal das von gesellschaftlichen Umbrüchen, Studentenrevolten, Kriegen, technologischem Fortschritt und dem Streben nach Emanzipation geprägte Jahrzehnt der heutigen Zeit nicht unähnlich ist, wie Co-Regisseurin Franziska Lohr findet: "Die Welt ist in gewisser Weise wieder in Aufruhr: Wir haben die Klimakrise, große Kriege, den Aufschrei der Jugend."

Der Wahnsinn des damaligen Zeitgeistes findet sich im Stück in den von den Schauspielern leidenschaftlich verkörperten Pensionsgästen von Elfie Schindlbeck wieder. Da ist zum Beispiel der biedere Professor Dr. Dr. Leopold Stichlmaier, der seinen Sitzplatz auf dem Sofa per Handtuch belegt und mit erhobener Nase über die Räucherstäbchen von Hippie-Psychologin Babsi Steinhuber von Heuberger schimpft. Die Studentinnen Fritzi und Waggi protestieren für Weltfrieden, Freiheit und Umweltschutz, während sie von Woodstock träumen. Willi, Taugenichts, Tangotänzer und selbst ernannter Casanova, hat ein Auge auf Elfie geworfen - deren größte Sorge ist wiederum ihre partywütige Teenager-Tochter Conny. Und Großvater Gustl hat gut zwanzig Jahre nach Kriegsende noch immer Angst vor Bomben und stets einen flotten Marsch auf den Lippen.

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Die Münchner Volkssängerbühne um Autor und Regisseur Roland Beier gehört auch nach dem Umzug nach Haar zu den spannendsten Mundartensembles. Ihre Stücke verbinden klassische Stoffe mit krachertem Humor und zeitgemäßen Themen. Das liegt auch daran, dass die junge Generation zunehmend wichtige Aufgaben übernimmt.

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Für ihn und einige seiner Laienschauspieler sei das Stück wie eine Reise in die eigene Vergangenheit, erzählt Co-Regisseur Franz Rinberger, selbst ein Kind der Sechzigerjahre. Im Text etwa verstecken sich immer wieder Verweise auf die berüchtigte Schwabinger Clubszene oder Kultserien wie Columbo. Die Requisiten sind Originale aus dieser Zeit und wurden vom Theaterteam aus Wohnungsauflösungen und Spenden zusammengesammelt. "Wenn man aus der Zeit kommt, hat man einiges davon bestimmt bei den Eltern gesehen - die moosgrüne Couch, auf der das Leben stattfindet, die Lavalampe, die Retro-Tapete in Orange-Gelb mit psychedelischem Touch", sagt Rinberger schmunzelnd. Komplettiert wird das Bühnenbild durch die passenden Kostüme, teils dem Fundus von Eltern und Großeltern entnommen, teils von MVB-Designerin Anna di Buono aufwendig geschneidert. Als passende musikalische Untermalung hat Gitarrist Jannis Chrissostomidis einige Rocksongs und Interludes selbst komponiert.

Gabi Bertl verspricht "bisserl was zum Schmunzeln und viel zum Lachen"

Bei alldem bleibt die "boarische Sitzkomm", wie das Laientheater die rund zweistündige Komödie auch betitelt, dennoch bewusst bodenständig. Für die Zuschauer gibt es also in gewohnter Manier "bisserl was zum Schmunzeln und viel zum Lachen", wie Gabi Bertl sagt. Und doch hält der wilde, rund zweistündige Ritt durch die Vergangenheit auch immer wieder Momente zum Innehalten und Reflektieren bereit. So besteht die Essenz des Stückes eigentlich aus den Beziehungen zwischen den Figuren, die trotz ihrer völlig unterschiedlichen Charaktere und Weltanschauungen unter einem Dach miteinander auskommen müssen.

"Es menschelt, wie wir auf Bairisch sagen würden", sagt Bertl. Es gehe um Familie und den Konflikt dreier Generationen, zwischen denen es immer wieder kracht. Aber auch um Freundschaft, Enttäuschung, Versöhnung, Zusammenhalt und Toleranz. "Im Grunde sprechen wir viele Themen an, die uns Menschen schon immer bewegt haben und es bestimmt auch in Zukunft tun werden - unabhängig von der Zeit, in der wir leben."

Die Premiere von "Schwabing 69" findet am Samstag, 13. Januar, im Kleinen Theater in Haar statt. Beginn ist 20 Uhr. Weitere Vorstellungen gibt es in Haar im Januar und Februar, vornehmlich freitags und samstags. Am 10. Februar gibt die MVB mit dem Stück ein Gastspiel im Unterhachinger Kubiz. Karten für alle Aufführungen gibt es über Reservix, die Website der Bühne (www.mvb-ev.de) oder an der Abendkasse.

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