SZ-Kulturpreis Tassilo:Wo die Götter bairische Sprachnachrichten verschicken

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Erweitertes Familienunternehmen: Franziska Lohr, Roland Feußner, Roland Beier, Sebastian Beier und Bärbel Beier (von links) gehören zum Kern der Münchner Volkssängerbühne, die im Kleinen Theater Haar ihren Stammsitz hat. (Foto: Claus Schunk)

Die Münchner Volkssängerbühne um Autor und Regisseur Roland Beier gehört auch nach dem Umzug nach Haar zu den spannendsten Mundartensembles. Ihre Stücke verbinden klassische Stoffe mit krachertem Humor und zeitgemäßen Themen. Das liegt auch daran, dass die junge Generation zunehmend wichtige Aufgaben übernimmt.

Von Udo Watter, Haar

Der Spuk fing schon mit zweieinhalb Jahren an. Als Sebastian Beier seinen ersten Auftritt hatte, verkörperte er einen Geist und wandelte als Dreikäsehoch, mit einem Laken bekleidet, über die Bühne. "Klein und süß", wie seine Eltern erzählen. Bärbel und Roland Beier haben ihren Sohn, der heute 29 Jahre alt ist und als ziemlich hoch aufgeschossener junger Mann mit langen Haaren inzwischen eher wie ein Neunkäsehoch aussieht, nie gezwungen, dauerhaft in die von ihnen so geliebte Theaterwelt einzutauchen. Er tat es aber. Auch wenn es mal einige Jahre Unterbrechung gab - Sebastian Beier ist seit seinem Premierenauftritt als Kleinkind beim Stück "Der Müller und sein Kind" zu einem wichtigen Mitglied im Ensemble der Münchner Volkssängerbühne (MVB) avanciert. Als Schauspieler, aber auch als Mann für die Technik, der sich etwa um den Social-Media-Auftritt der Volkssängerbühne kümmert. "Mir hat das immer Spaß gemacht mitzuhelfen. Ich habe das geil gefunden", sagt der Jüngste aus dem Hause Beier.

Er ist, wie seine Eltern und etliche andere Ensemble-Mitglieder, an diesem sonnig-windigen Januartag ins Kleine Theater Haar gekommen, um Kulissen aufzubauen und die Licht- und Tontechnik vorzubereiten für die Premiere des neuen Stücks "Dämmergötterung", die an diesem Samstag, 21. Januar, über die Bühne gehen wird. In der Komödie versuchen die griechischen (freilich bairisch sprechenden) Götter des Olymp, der Gefahr des existenziellen Vergessen-Werdens mit Hilfe von Digitalisierung und Social Media entgegenzuwirken. Sie stammt wie viele andere Stücke der Volkssängerbühne aus der Feder von Roland Beier, der als Autor, Regisseur, Bühnenbildner, Schauspieler und langjähriger Vorsitzender (bis 2022) die MVB maßgeblich prägt.

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Beier ist gebürtiger Unterhachinger und wohnt schon lange in Haar, wo mit dem Kleinen Theater seit 2016 auch das Stammhaus der Volkssängerbühne sitzt. Geprobt wird gewöhnlich im Haarer Jugendkulturhaus "Route 66", sodass die 1960 in München von Hannes König (Gründer des Valentin-Musäums) initiierte Institution, die seit 1963 ein eingetragener Verein ist, stark im Landkreis München verwurzelt ist.

Die Mitglieder kommen ohnehin sowohl aus der Stadt wie aus dem Umland - und neben Sebastian Beier, der in Haar im Haus seiner Eltern wohnt, - sind zahlreiche davon noch unter 30. "Das war mir immer wichtig, dass die Jungen nachkommen. Die haben gute Ideen", sagt Roland Beier, der kürzlich seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. Und meint auch mit Blick auf das Publikum: "Jugend zieht Jugend an."

Er selbst weiß, wie wichtig der Nachwuchs für die MVB ist, deren Geist und Selbstverständnis sich ja im Laufe der Jahrzehnte verändert hat, verändern musste - nicht mehr nur die Wiederbelebung der traditionsreichen bairischen Volkssängerkunst steht inzwischen im Mittelpunkt, sondern leicht spinnerte Klassiker-Adaptionen ("Sei oder ned sei", "Die Jedermann", "Dem Tristan sei Oide", "Macbeth"), faustische Dramen wie das 2021 aufgeführte "Dees ewig Spui von Tod und Deife" oder originäre, aus dem Geist bayerisch-fantasievoller Anarchie geborene Komödien. Alle leben inhaltlich von Beiers Talent für Dialoge, Wortspiele und Pointen, seiner Imagination und partiellen Lust am Kracherten. Manchmal scheuen Autor und das spielfreudige Ensemble nicht die Nähe zum Derben oder Albernen, aber in den Stücken steckt oft auch die Gabe, durch pfeilgraden Witz geradezu philosophisch zu erhellen und bei aller Fokussierung auf Unterhaltsamkeit essenzielle Fragen im Gewand des Durchgeknallten aufzuwerfen. Von ihm geschriebene Stücke wie der besonders erfolgreiche "Boandlkramer-Blues" werden auch immer wieder von anderen Mundart-Ensembles aufgeführt.

Roland Beier ist mit seiner Frau Bärbel, die er Anfang der Neunziger bei der Volkssängerbühne kennen und lieben gelernt hat, sowie Sohn Sebastian natürlich ein wesentlicher Eckpfeiler der MVB. Familiäre und generationenübergreifende Bande spielen dort aber generell eine prägende Rolle. Nadine Esterl, die Anfang 20 ist und in der aktuellen Produktion die Medea spielt, verkörpert etwa die dritte Generation einer MVB-Theaterfamilie.

Kämpfen im neuen Stück mit den Tücken der Digitalisierung: Zeus (Walter Gelmini) und Elektra (Simone Krist). (Foto: MVB)

Franziska Lohr wiederum ist durch die Bekanntschaft mit Sebastian Beier dazugekommen, der sie mit einer improvisierten Einlage in einer Schwabinger Bar angesprochen hatte. Die 29-jährige Theaterpädagogin engagiert sich seither vielfältig auf und neben der Bühne (Podcasts, Video-Drehs, Workshops). Sie möchte im kommenden Jahr erstmals Regie führen und schwärmt: "So ein Theaterverein ist ja wie eine Wahlfamilie." In "Dämmergötterung" verkörpert sie die Königstochter Psyche, welche dem in sie verliebten Eros die ersten Schritte in die Welt digitaler Kommunikation zeigt. Der Gott der sinnlichen Liebe, der bisher weder Ahnung noch Follower hat, erweist sich indes als übereifrig: Direkt neben Psyche sitzend, schickt er ihr einen Text nach dem anderen statt mit ihr zu sprechen. Als die Angebetete zart anmerkt: "Aber ich höre so gern deine Stimme", antworte er: "Soll ich dir eine Sprachnachricht schicken?"

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Franziska Lohr stammt aus München und beherrscht den Dialekt, den sie im Stück natürlich einsetzt. In ihrem Alter ist das gar nicht so selbstverständlich. Der 27-jährige Roland Feußner, der auch zum Kulissenaufbau nach Haar gekommen ist, gehört zu den Münchnern, für die mal das Wort "Isarpreiß" erfunden wurde: Seine Mundartkompetenz ist begrenzt. Mitspielen darf er natürlich trotzdem, wie er lachend versichert. Er ist der Meeresherrscher Poseidon in der Komödie, die vor allem das Problem der alten Götter mit der neuen Technik thematisiert und damit natürlich auch ein bisschen das Verhältnis zwischen Alt und Jung in der MVB augenzwinkernd widerspiegelt. So hat Roland Beier darin auch bewusst seine eigene digitale Inkompetenz verarbeitet, der kreative Tausendsassa neigt bei aller Extrovertiertheit durchaus zur Selbstironie, nicht selten auch dem eigenen Geschlecht gegenüber.

Bärbel Beier ist der deutlich ruhigere Part des unkonventionellen Ehe-Duos, sie agiert lieber gut organisiert im Hintergrund. "Wir haben die Gegensätze gut verbunden. Das ist eine Symbiose", erklärt sie. Auf der Bühne nimmt Bärbel Beier aber durchaus exponierte, anspruchsvolle Rollen wahr wie etwa vergangenes Jahr bei "Dees ewig Spui von Tod & Deife". Über das Klima im Ensemble sagt sie: "Das Wichtigste bei uns ist, dass wir harmonieren und es kein Konkurrenzdenken gibt."

"Wir haben unsere Nische und brauchen da eigentlich niemand zu fürchten."

Die dem bayerischem Stamm gerne nachgesagte Lust am Theatralischen können die Mitglieder der Münchner Volkssängerbühne, egal ob jung oder alt, jedenfalls eindrucksvoll entfalten, und die Stoff- und Stückeauswahl ist ja ohnehin beinahe einzigartig. Hinzu kommt noch, dass auch in punkto musikalische Gestaltung, Kulisse und Kostüme die Umsetzung originell und anspruchsvoll ist. "Wir haben unsere Nische und brauchen da eigentlich niemand zu fürchten", sagt Roland Beier. Das Publikum honoriert das, auch nach dem Umzug aus der Stadt. Es gibt treue Zuschauer, zudem immer wieder neues Publikum, wiewohl auch die MVB schon um Resonanz werben muss und die Pandemie dem Theaterverein wegen Ausfällen und Einschränkungen natürlich nicht förderlich war. Die Premiere von "Dämmergötterung" in Haar ist jedenfalls ausverkauft. Traditionell folgen noch weitere Vorstellungen im Kleinen Theater und auch eine Aufführung im Unterhachinger Kubiz.

Die MVB, die in der Nähe ihres Kulissenlagers im Landkreis Ebersberg zudem regelmäßig ambitionierte Video-Trailer zu ihren Produktionen dreht, hat einen guten Weg eingeschlagen, um auch in Zukunft als besondere und von der kreativen Vielseitigkeit her wohl einzigartige Mundartbühne im Münchner Raum erfolgreich zu bleiben. "Theater muss sich verändern. Es ist wichtig, dass wir von unseren Stücken her modern bleiben", sagt Franziska Lohr. "Wir müssen schon immer schauen, dass wir nicht in eine Schublade reingesteckt werden", betont Sebastian Beier - der Mann, der als kleiner Geist angefangen hat.

Bis Mitte Februar stellen wir Ihnen Kandidatinnen und Kandidaten für den Tassilo-Kulturpreis 2023 vor. Alle Nominierten finden Sie unter sz.de/tassilo . Den Trailer zum neuen Stück der Münchner Volkssängerbühne gibt es auf Youtube:

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