Energiewende:"Das Loch ist zu früh da"

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Bevor die Wärme aus der Tiefengeothermie gespeichert werden kann, muss sie erschlossen werden. Das Foto zeigt die Bohrung für die Anlage bei Freiham. (Foto: Stephan Rumpf)

Experten bescheinigen den Plänen für einen Wärmespeicher in einer offenen Kiesgrube bei Planegg großes Potenzial. Doch Gräfelfings Bürgermeister Peter Köstler bremst die Euphorie, weil zuerst die Tiefengeothermie erschlossen werden muss.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Es ist eine Riesenaufgabe, die auf die Kommunen zurollt: Mit der Notwendigkeit, alternative, unabhängige und obendrein nachhaltige Energiekonzepte in großem Stil zu schaffen, betreten sie vielerorts völlig neues Terrain. Auf Erfahrungen aus der Vergangenheit können sie kaum zurückgreifen, denn vieles wird gerade neu erfunden. Bestes Beispiel ist eine offene Kiesgrube zwischen Gräfelfing und Planegg, die zum Speichermedium für Wärme werden könnte und damit ein Pilotprojekt. Kommunalpolitiker müssen neu denken, über die Gemeindegrenzen hinaus, sie brauchen neue Partner an ihrer Seite und stehen unter dem Druck, heute nichts zu verpassen, was morgen der große Clou sein könnte.

Die Aufgabe war ohnehin schon komplex: Seit Jahren sucht die Gemeinde Gräfelfing nach einem Weg, warmes Wasser aus der Tiefe als Energiequelle zu erschließen. Erst mussten die Bohrrechte für die Tiefengeothermie gesichert werden, dann war ein Partner aufzutreiben, der das Millionenprojekt umsetzt. Mehr als fünf Jahre hat das gedauert, jetzt liegt ein Zeitplan für die erste Bohrung vor. Und dann kam plötzlich diese offene Kiesgrube ins Spiel und alles ist seitdem noch komplexer: Die Grüne Gruppe 21 in Planegg und die Grünen/Unabhängige Liste in Gräfelfing kamen auf die Idee, das fertig ausgekieste Loch zwischen Gräfelfing und dem Planegger Ortsteil Martinsried zu einem Wärmespeicher umzufunktionieren.

Die Kiesgrube zwischen Gräfelfing und Planegg würde sich für einen Erdbeckenwärmespeicher eignen. (Foto: Robert Haas)

Vergangene Woche wurden die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie vorgestellt, die aufzeigen, dass die Idee Potenzial hat: Durch die Kombination von Energie aus Wasser und Sonne als Hauptenergiequellen können weite Teile von gleich zwei Gemeinden - Gräfelfing und der Planegger Ortsteil Martinsried - mit Wärme versorgt werden. Das warme Wasser könnte die Tiefengeothermie aus Gräfelfing liefern, aber auch ein Sonnenkollektorenfeld in Planegg. Die im Sommer produzierte Wärme würde in der Grube für den Winter gespeichert und von dort über ein weitverzweigtes Leitungsnetz ins Würmtal geschickt werden. Die Einsparung von C0₂-Emissionen wäre "gigantisch", wie die Experten der Uni Stuttgart nicht müde wurden zu betonen. Jetzt könnte es nicht mehr nur darum gehen, allein Gräfelfing mit nachhaltiger Wärme aus der Tiefengeothermie zu versorgen, sondern ein gemeindeübergreifendes innovatives und technisch anspruchsvolles Wärmekonzept zu stemmen.

"Hochinteressant, aber schwierig" nennt Gräfelfings Bürgermeister Peter Köstler (CSU) das zukunftsträchtige Wärmeprojekt: Viele Stränge müssten für ein Gelingen zusammenlaufen, Interessen verschiedener Akteure seien in Einklang zu bringen, neue Allianzen zu schmieden. Und es gebe Risiken, sagt Köstler. So sei zum Beispiel völlig unklar, wie heiß das Wasser ist, das mit der Tiefengeothermie gewonnen werden kann. Auch die Förderquote sei offen - beides hat unmittelbar Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit und Sinnhaftigkeit des Speicherbeckens. Zudem sei die Sonnenenergiequelle nicht gesichert - bei dem Areal, auf dem das Sonnenkollektorenfeld einkalkuliert ist, handelt es sich um Privatgrund.

Die maximale CO₂-Einsparung kommt zustande, wenn eine möglichst hohe Speicherkapazität für die Wärme gegeben ist - die Kiesgrube kommt ins Spiel. Aber für die dort gespeicherte Wärme braucht man laut Köstler auch Abnehmer, und dafür wäre ein großes Leitungsnetz nötig, das in weiten Teilen noch gar nicht existiert. Wenn die Gemeinde Gräfelfing hingegen alleine agiert, dann reicht die Geothermie völlig aus, die Gemeinde zu versorgen, ein Speicherbecken braucht es nicht.

Eigentlich müsste die Grube bereits verfüllt werden

Dann ist da noch das Dilemma mit der Kiesgrube: "Das Loch ist zu früh da", sagt Köstler. Die Grube ist ein Baustein im Wärmekonzept, aber eben nicht der erste. Priorität sei es, die Tiefengeothermie zu erschließen und das Leitungsnetz auszubauen. Für die Grube des Kiesunternehmens Glück gilt derzeit die Auflage, sie nach der Auskiesung fristgerecht zu verfüllen, sonst drohen der Firma Vertragsstrafen. Die Firma Glück hat mit der Verfüllung bereits begonnen, aber auf Bitten der Gemeinde Gräfelfing eine Pause bis 31. Juli eingelegt, um die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie abzuwarten.

Nach Aussagen von Planeggs Bürgermeister Hermann Nafziger (CSU) ist die Pause bis Ende 2023 verlängert worden. "Wir wollen der Gemeinde Gräfelfing keinen Stein in den Weg legen", sagt er. Final entscheide über eine Verlängerung der Verfüllungszeitraums aber das Landratsamt, betont Nafziger. Wie lange man die Grube offenhalten kann und will, um sich die Lösung mit dem Erdbeckenspeicher nicht zu verbauen, ist fraglich. Jahrelang eine offene Grube sei auch keine Lösung, sagt Köstler, und die Firma Glück lässt anklingen, dass da auch finanzielle Aspekte eine Rolle spielen: "Für uns sind die Einnahmen aus Verfüllung ein fester Bestandteil der Kalkulation. Über Details wurde mit der Gemeinde Gräfelfing noch nicht gesprochen", sagte Geschäftsführer Markus Wahl. "Grundsätzlich werden wir uns aber dem Ansinnen der Gemeinde Gräfelfing nicht verwehren."

In der ganzen Gemengelage sieht sich die Nachbargemeinde Planegg derzeit nicht unter Zugzwang, was das Erdbeckenwärmespeicher-Projekt angeht. Für Rathauschef Nafziger ist es eine Gräfelfinger Entscheidung, ob das Speicherbecken Realität wird. "Wir haben nun mal nicht die Hauptwärmequelle", sagt er. Planegg will sich als Abnehmer von Wärme, wenn sie eines Tages da ist, durchaus ins Spiel bringen - aber das könnte auch Wärme aus Gauting oder Germering sein, erklärt Nafziger. Der Planegger Bürgermeister will dieser Haltung in einem Gemeinderatsbeschluss am Donnerstag, 28. Juli, Ausdruck verleihen. Dann hofft er auf Zustimmung dafür, in den nächsten Jahren schon Rücklagen im Haushalt zu bilden, um den Netzausbau in Zukunft vorantreiben zu können. Nafziger will die Kommune jedenfalls als "hochinteressanten Partner" präsentieren.

Einer wundert sich über die Zurückhaltung des Planegger Kollegen - Neurieds Bürgermeister Harald Zipfel (SPD): "Da überlegt man noch?", fragt er. Seiner Ansicht nach wäre es "fatal", sich das Projekt entgehen zu lassen, vor allem im Angesicht der Abhängigkeit von russischem Gas. Neuried könnte sich an dem Projekt beteiligen, schlägt Zipfel vor: "Wir sagen Juhu, egal, was es kostet, das wird sich in jedem Fall rechnen."

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