Leben in der Pandemie:Generation Corona

Lesezeit: 8 min

Viel Spazierengehen, andere Leute am liebsten draußen treffen: Der Deininger Weiher ist dafür ein guter Ort im Landkreis München. (Foto: Robert Haas)

Wie erleben junge Menschen die Pandemie? Was werden sie im Jahr 2070 ihren Enkeln erzählen? Die SZ hat sich das von einigen im Landkreis München erzählen lassen. Eine Bestandsaufnahme - mitten in einer historischen Krise.

Von Iris Hilberth

Ich glaube das war im Winter 2020..." So beginnt ein von der Bundesregierung verbreitetes Video, das als Appell zum Daheimbleiben zu Beginn der zweiten Corona-Welle veröffentlicht wurde. Der Film soll ungefähr im Jahr 2070 spielen. Ein alter Mann sitzt im Sessel und erinnert sich. Er sei gerade 22 geworden, habe Maschinenbau studiert, erzählt der Senior in dem Spot. In diesem Alter wolle man eigentlich feiern, jemanden kennenlernen oder mit Freunden einen trinken gehen. Doch "eine unsichtbare Gefahr bedrohte alles, woran wir glaubten. Und das Schicksal dieses Landes lag plötzlich in unseren Händen. Also fassten wir unseren Mut zusammen und taten, was von uns erwartetet wurde. Das einzig Richtige: Wir taten - nichts."

Wie geht es tatsächlich den 22-Jährigen in den Corona-Jahren 20/21? Was bewegt sie, was wird ihnen in Erinnerung bleiben, was werden sie aus dieser Zeit in 50 Jahren mal ihren Enkeln darüber erzählen? Eine Generation junger Menschen, die sich bislang nicht unbedingt als Zeitzeugen für nachfolgende Jahrgänge gesehen hat. Deren Eltern vom Mauerfall berichten können, die Großeltern von der 68er-Bewegung, der Uropa vom Krieg. Aber sie selbst, geboren in den späten Neunzigerjahren, waren noch zu klein, um mitzubekommen, als in New York die Türme einstürzten. Vielleicht werden ihre Enkel sie eines Tages tatsächlich fragen: Wie war das eigentlich mit Corona?

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Die Süddeutsche Zeitung hat zehn junge Menschen aus dem Landkreis München gefragt, was sie der übernächsten Generation aus dieser Pandemie-Zeit berichten werden, was für sie besonders einschneidend, was die großen Herausforderungen waren. Wie das ist, wenn man als Student noch nie eine Uni von innen gesehen hat, wann das alles anfing mit dem Online-Unterricht und wie einsam eine Pandemie machen kann. Wie es sich anfühlt, Freunde lange Zeit nicht treffen zu dürfen und alles absagen zu müssen, auf das man sich so lange gefreut hat.

Entstanden sind Filme, gedreht von Anna-Maria Salmen und Anna Lea Jakobs, die selbst der Generation der Interviewten angehören. Geschnitten und gestaltet hat die Videos Annika Sehn.

Proben ohne Mira

Die Musiker Fabian Fremuth und Vitus Lindbüchl vermissen ihre Schlagzeugerin.

Fabian Fremuth, 21, aus Taufkirchen ist Student und Vitus Lindbüchl, 21, aus Grünwald ist Schreiner. Beide spielen zusammen in der Band "Twice as mad". Vitus Lindbüchl: "In 50 Jahren werde ich in meinem Schaukelstuhl auf der Veranda - oder ich würde in meiner Hängematte in Uganda liegen."

Fabian Fremuth: "2070 in Uganda auf einer Hängematte?"

Vitus: "Da kann man dann nice Projekte machen und mit Elefanten chillen. Dann ist mein Enkel ein Elefantentreiber und spielt nebenbei Gitarre."

Fabian: "Ich würde auf classy gehen. Ich sitze safe mit einer Zigarre und einem Whisky vor einem Feuer auf einem Schaukelstuhl."

Vitus: "In einem richtigen Kaminzimmer, wo ein Angestellter reinkommt und dir das Streichholz hinhält."

Fabian: "Wenn die Band erfolgreich ist, dann bin ich bis dahin ja schwer reich."

Vitus: "Ich würde meinen Enkeln von der Corona-Pandemie erzählen, dass ein negativer Aspekt ist oder war, hoffentlich war nicht ist, dass man sich nicht mehr zu dritt zum Proben treffen kann. Wir haben die Mira, das ist unsere Schlagzeugerin, seit drei Monaten oder länger nicht mehr gesehen. Wir treten nicht mehr ohne sie auf und da wäre es auch ganz gut mit ihr zu proben. Es macht halt auch Spaß, sich mit so jemanden zu treffen, wir haben uns sie ja mit Grund ausgewählt. Es ist schade, dass man so nicht mehr Musik machen kann, das fehlt einfach."

Fabian: "Ich studiere und habe meine Uni noch nie von innen gesehen. Ich weiß nicht, wie es da ausschaut und ich bin seit einem halben Jahr Student.

Vitus: "Ich bin einfach so froh, das würde ich meinen Enkeln auch erzählen, in einer Werkstatt zu arbeiten, die offen ist. Dass ich mich mit noch fünf Arbeitskollegen jeden Tag treffen und austauschen kann. Das ist ein superwichtiger Kontakt. Auch ab und zu mal mit Kunden zu tun zu haben, als Schreiner baut man ja manchmal was ein. Das hilft mir richtig. Ich wäre die schlechteste Person, die im Lockdown mit sich selber zurechtkommen könnte."

Vitus: "Klar verpassen wir die Chance, auf Konzerte zu gehen. Aber erstens kann niemand anderes auf Konzerte gehen, das heißt, es ist nicht so schlimm. Zweitens haben wir die besten Technologien und Möglichkeiten heutzutage. Wir haben einfach ein Lied schon rausgebracht während der Pandemie."

Fabian: "Zwei."

Vitus: "Zwei haben wir schon rausgebracht. Wir haben noch drei weitere, die jetzt gerade in Produktion sind und die einfach jeder auf Spotify hören kann. Wir können Videos aufnehmen. Wir können Livestreams machen. Wir können sagen: Hey wir sind noch da! Vor 20 Jahren hätte sich niemand mehr für dich interessiert und niemand wäre an dich rangekommen." Protokoll: Anna Lea Jakobs

Nichts zu ratschen

Der Madlverein Hoaße Hasen musste alle Feiern absagen.

Kathi Bachmeier, 26, Hanna Ertl, 19, Johanna Kemle, 24, und Melanie Sengbusch, 19, sind im Vorstand des Aschheimer Madlvereins "Hoaße Hasen".

Hanna Ertl: "Wir werden unseren Enkelkindern in 50 Jahren auf jeden Fall von einer Vereinszeit erzählen, die ganz anders war, als wir es uns vorgestellt haben."

Melanie Sengbusch: "Wir sind recht neu in der Vorstandschaft und haben uns gefreut, viel zu machen. Aber leider war das durch Corona nicht möglich."

Kathi Bachmeier: "Denkt noch mal zurück an letztes Jahr: Die ganzen Einladungen von den Vereinen sind reingekommen, wir haben uns so gefreut - die ganzen Fahnenweihen und die Maibaumstüberltour. Das wollten wir machen, und das wollten wir machen, dann war irgendwie gar nichts."

Kathi: "Stellt euch vor, es passiert auf unserem Fest irgendwas - bei den Hasen hat sich einer angesteckt. Was das für eine Welle geschlagen hätte, das war uns dann doch nicht ganz geheuer."

Johanna Kemle: "Es wäre echt eine enorme Verantwortung gewesen."

Hanna: "Wir haben dann unser Weinfest doch noch einigermaßen gebührend gefeiert. Das war Anfang September, also eine Zeit, in der relativ viel erlaubt war. Wir haben dann nur vereinsintern eine Weinprobe gemacht, damit nicht alle ganz so traurig daheim hocken und daran denken, dass jetzt eigentlich gerade unser Weinfest wäre."

Hanna: "Wir haben Erfahrungen gemacht mit Zoom-Vorstandssitzungen, weil es nicht mal möglich war, sich zu siebt zu treffen. Es ging kurz über das Vereinsthema und dann wurde noch geratscht, weil jeder irgendwie das Bedürfnis hatte, Leute zu sehen und zu ratschen."

Melanie: "Man trifft sich trotzdem über Zoom-Meetings und versucht, zu ratschen, aber oft hat man dann gar nichts mehr, weil ja nichts passiert ist."

Hanna: "Wir hoffen, dass wir unseren Enkelkindern von einem Jahr 2021 erzählen können, das fünfmal so aufregend war wie alle davor, weil wir einfach alles nachholen, was wir verpasst haben oder was uns genommen wurde." Protokoll: Anna-Maria Salmen

Stark für die Zukunft

Lange getrennt: Lindsay Schampera und David Hernandez.

Lindsay Schampera, 24, ist Studentin und wohnt in Aschheim. David Hernandez, 30, studiert in Camarillo in Kalifornien.

Lindsay Schempera: "Was erzähle ich meinen Enkeln in 50 Jahren? Wahrscheinlich, dass niemand damit gerechnet hat, dass niemand sich jemals hätte vorstellen können, so eingeschränkt zu sein."

David Hernandez: "Ich erzähle meinen Enkelkindern in 50 Jahren wahrscheinlich, dass sich die Zeiten immer ändern. Wir alle mussten diese Pandemie durchstehen. Aber diese Stressfaktoren bereiten uns auf die Zukunft vor."

David: "Es gibt viele Schwierigkeiten in unserer Situation. Die größte ist, dass wir beide aus verschiedenen Ländern kommen, die alle ihre eigenen Regeln haben."

Lindsay: "Ich würde sagen, die größte Schwierigkeit war, dass man gar nicht wusste, wie es weitergeht. Es war eigentlich geplant, dass er im März 2020 hierher kommt, das ging ja nicht. Der komplette Reiseverkehr wurde eingestellt und man wusste überhaupt nicht, wann wieder Reisen möglich sein werden. Das ging dann praktisch fast das ganze Jahr so. Diese Ungewissheit war sehr belastend."

Lindsay: "Sich nach zehn Monaten wiederzusehen, war natürlich heftig. Man hatte sich an so eine komische Situation gewöhnt, dass man wartet und wartet. Das ging ewig so. Dass es wirklich Realität ist, dass man sich wieder sehen kann, das habe ich erst richtig realisiert und glauben können, als er dann wirklich vor mir stand."

Lindsay: "Wie war es für dich, als du mich zehn Monate lang nicht gesehen hast und dann zum ersten Mal hier in Deutschland warst?"

David: "Hat sich nicht real angefühlt."

Lindsay: "Das habe ich auch gesagt."

David: "Wie hat die Pandemie unsere Beziehung beeinflusst? Ich würde sagen, auf lange Sicht kann uns das viel stärker machen."

Lindsay: "Natürlich würde ich lieber nicht so etwas durchstehen, aber im Nachhinein kann man schon stolz darauf sein. Es zeigt einem, dass die Beziehung viel stärker ist, als man dachte." Protokoll: Anna-Maria Salmen

Ganz viele neue Themen

Moritz Hans Grell erlebt Dozenten aus der Kameraperspektive.

Moritz Hans Grell, 22, ist Offiziersanwärter an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg; neben seinem Studium in Staats- und Sozialwissenschaften.

"Ich hoffe, ich bin ein gemütlicher Opa, der viel Zeit auf dem Lesesessel verbringt. Der auch mal einen Schnaps bei sich stehen hat und viele Geschichten erzählt. Ich glaube für jeden, der mal gerne eine Geschichte erzählt, hat die Corona-Pandemie einigen Stoff geliefert.

Wenn ich irgendwann mit meinen Enkelkindern auf dem Sofa sitze und hoffentlich Fußball schaue, dann würde ich ihnen gerne erzählen, dass das eigentlich gar nicht so selbstverständlich ist, dass da Tausende Zuschauer jubeln und die Menschen sich in den Armen liegen können. Während Corona war das der letzte Schlüsselmoment, an den ich mich erinnern kann. Ich war am 8. März hier in München in der Allianz Arena beim letzten Spiel des FC Bayerns vor 70 000 Zuschauern.

Ich würde meinen Enkelkindern wahrscheinlich mitgeben: Seid froh, wenn ihr euch von Angesicht zu Angesicht mit euren Schulkameraden austauschen könnt. Das ist das, was mir momentan am meisten fehlt, dieser direkte Austausch.

Diese Kamerathematik, das war ein Thema, das uns monatelang begleitet hat. Auf der einen Seite gab es die Dozentinnen und Dozenten, die gesagt haben: Naja, es ist aber blöd, wenn ich gegen eine schwarze Wand rede. Auf der anderen Seite gab es sicherlich Studenten und Studentinnen, die gesagt haben: Wenn ich die Kamera nicht einschalten muss, dann schaue ich mir die Vorlesung eben aus dem Bett an. Man hat sich mit ganz vielen neuen Themen auseinandersetzen müssen." Protokoll: Anna Lea Jakobs

Der Kontakt zu Menschen fehlt

Michael Dirl ist seit einem Jahr Gemeinderat in Kirchheim.

Michael Dirl, 24, ist seit einem Jahr Gemeinderatsmitglied in Kirchheim. Er gehört der Fraktion Junge Union an.

"Ich erzähle meinen Enkeln in 50 Jahren, dass die einzige Sicherheit in ihrem Leben ihre eigene Persönlichkeit ist und dass sie diese behalten und mit sich selbst glücklich sein müssen. Dann wird auch das ganze Leben schön sein. Im März 2020 wurde ich in den Gemeinderat gewählt, wenige Tage darauf kam der erste Lockdown. Das war wirklich einschneidend, weil man im Wahlkampf sehr viel Kontakt hatte mit den anderen Menschen. Man war im Austausch mit den Bürgern, mit den anderen Parteien, immer im direkten Kontakt - was auch viel ausmacht, vor allem in der Politik: Dass man nah bei den Menschen ist, ihnen zuhören kann, ihre Probleme versteht und ernst nimmt und auch zwischen den Zeilen liest, was man im schriftlichen Verkehr oder online nicht hat.

Was mir ganz besonders auffällt bei den Sitzungen des Gemeinderats ist, dass man nicht mehr so wie vor Corona in einem großen Kreis sitzt und jeder jeden sieht. Wir sitzen jetzt hintereinander, wie in der Schule, alle schauen nach vorne und man sieht eigentlich nur noch die Rücken der Gemeinderatsmitglieder. Das macht schon viel aus, schon allein symbolisch. Man hat nicht mehr dieses "Eine Runde für die Gemeinde", sondern jeder sitzt für sich mit Abstand zu den anderen Personen und schaut nur nach vorne. Was ich Positives aus der Zeit mitnehme, ist, dass das Zwischenmenschliche das Entscheidende ist im Leben, dass Familie und Freunde das Wichtige sind. Das rückt mehr in den Fokus rückt als vor der Pandemie." Protokoll: Anna-Maria Salmen

© SZ vom 03.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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