Ausstellung im Lenbachhaus:Bis die kalte Wut hochkriecht

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"Kunst und Leben 1918 bis 1955" heißt eine aktuelle Ausstellung im Lenbachhaus, in deren Zentrum Lebensläufe und Schicksale von Künstlerinnen und Künstlern während der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der noch jungen Bundesre­publik stehen (Bild: Selbstbildnis von Käte Hoch, 1929). (Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)

Von Widerständlern, Verfolgten und Verfemten, aber auch Angepassten, Profiteuren und Mitläufern des NS-Regimes erzählt die Ausstellung "Kunst und Leben 1918 bis 1955" im Münchner Lenbachhaus.

Von Evelyn Vogel

Sie ist künstlerisch ausgebildet, stellt als Vertreterin der Neuen Sachlichkeit regelmäßig aus und ist im linkspolitischen Jung-Münchener Kulturbund organisiert: Käte Hoch. 1873 im Bayerischen Wald geboren, kommt sie nach dem Tod ihrer Eltern zu Verwandten nach München und macht eine beachtliche Karriere, besonders für ihre Zeit und ihre Herkunft. Doch diese Karriere endet abrupt, als die SA 1933 ihre Wohnung und ihr Schwabinger Atelier stürmt und die meisten ihrer Werke zerstört. Sie selbst stirbt bald danach. Ihr Werk wäre in Vergessenheit geraten, wenn nicht der Schriftsteller Erich Müller-Kamp sich um den Nachlass gekümmert hätte und dieser später ins Lenbachhaus gelangt wäre.

Maria Luikos Scherenschnitt "Auferweckung" von 1924. (Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)

Oder Maria Luiko: 1904 in München geboren, an der Kunstakademie ausgebildet, jahrelang in den renommierten Ausstellungen im Münchner Glaspalast vertreten, Mitglied in der Künstlervereinigung "die juryfreien". 1933 muss sie wegen ihrer jüdischen Herkunft massive Repressalien erleiden. Ihre Holz- und Scherenschnitte nehmen die Themen der Verfolgung auf. Sie gründet mit anderen das Münchner Marionettentheater Jüdischer Künstler, macht daraus einen Erfolg, bis es 1937 geschlossen wird. Die zwangsenteignete Familie versucht auszureisen. Am 20. November 1941 werden Maria Luiko, ihre Mutter und ihre Schwester nach Kaunas in Litauen deportiert und ermordet.

Zwei Frauen, zwei Künstlerinnen, zwei Schicksale, die in der Ausstellung "Kunst und Leben 1918 bis 1955" im Münchner Lenbachhaus zu entdecken sind. Das Schicksal Maria Luikos wurde in jüngster Zeit bekannter, weil in München-Neuhausen eine Straße nach ihr umbenannt wurde. Und die Künstlerin Michaela Melián hat ihr eine Installation am Neptunbrunnen im Alten Botanischen Garten gewidmet - ein Werk, das vor wenigen Tagen schwer beschädigt wurde. Nun sind einige Arbeiten Luikos im Lenbachhaus zu entdecken, ebenso wie Gemälde der weitgehend in Vergessenheit geratenen Käte Hoch.

In der Ausstellung stehen die Biografien gegenüber den Kunstwerken fast im Vordergrund, alles richtet sich an ihnen aus. Sie ist nicht nach künstlerischen Inhalten und Zusammenhängen geordnet, sondern schlicht alphabetisch von A bis Z nach den Namen der Künstlerinnen und Künstler, deren Schaffen während der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus bis zur ersten Documenta im Jahr 1955 in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland lag. Allerdings - und das sollte man im Hinterkopf behalten - orientiert sich die Auswahl an der Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte des Lenbachhauses, das im Hinblick auf seinen 100. Geburtstag im Mai 2029 die eigene Sammlungsgeschichte in mehreren Ausstellungen aufarbeitet. Nur so lässt sich die Auswahl dieser kleinen, aber hochinteressanten Schau nachvollziehen, lassen sich Lücken verstehen. Interessant auch das begleitende Glossar, das künstlerische, gesellschaftliche und politische Schlagworte wie "Entartete Kunst", "Innere Emigration", die "Gottbegnadetenliste" von 1944, die "Großen Deutschen Kunstausstellungen" oder auch "Stunde Null" erläutert.

Wie eine Wikipedia mit anderen Mitteln

Das von vier Kuratorinnen betreute Ausstellungsprojekt - Karin Althaus, Sarah Bock, Lisa Kern und Melanie Wittchow - reicht in der Ausstellung von A wie Jussuf Abbo bis W wie Fritz Winter. Einzig die Künstlerbiografien im Katalog gehen bis Z - wie Ziegler. Jenem Maler, dessen Triptychon "Die vier Elemente" bis heute als Paradebeispiel für das Kunstverständnis der Nationalsozialisten gilt. Zieglers Werk wird im Lenbachhaus nicht ausgestellt, aber man setzt sich im Katalog mit seiner Rolle als Künstler und "verlässlichem Handlanger" Hitlers auseinander. Das Original hängt in der Pinakothek der Moderne unter dem Titel "Mix & Match" - was Georg Baselitz kürzlich zu lautstarkem Protest veranlasste.

Auch Neuerwerbungen zeigt das Lenbachhaus: so die regimekritischen Blätter "Heil Hitler" von George Grosz und Rudolf Schlichters gruseliges Gemälde "Die letzten Tage der Menschheit / Schwimmende Totenköpfe". Ein Webteppich von Maria Franck-Marc, die trotz ihrer Rolle im Kollektiv des Blauen Reiters zeitlebens im Schatten ihres Mannes Franz Marc stand, oder zwei Bilder von Elisabeth Epstein, die als Künstlerin kaum noch bekannt ist, obwohl sie als künstlerische Netzwerkerin für die Entwicklung des Blauen Reiters eine wichtige Rolle spielte.

Karl Hubbuch: "München" entstand um 1933/1935. (Foto: Karl Hubbuch-Stiftung/Städtische Galerie Karlsruhe 2020)

Nicht nur wegen der Alphabetisierung mutet die Ausstellung im ersten Moment wie eine Wikipedia mit anderen Mitteln an. Auch wenn Widerständler, Verfolgte und Verfemte neben Angepassten, Profiteuren und Mitläufern des NS-Regimes stehen und die Texte sich mit Wertungen zurückhalten - fängt man erst einmal an zu lesen, entdeckt man immer neue Ungeheuerlichkeiten, verliert sich die Sachlichkeit sehr schnell. Fassungslos machen die Schicksale von Otto Freundlich, Marie Heilbronner, Rudolf Levy, der schon erwähnten Maria Luiko und anderen, die deportiert und ermordet wurden. Aber auch bei Künstlern, die in die Innere Emigration gehen mussten, lassen sie nicht kalt: so bei Karl Hubbuch oder Fritz Winter, dem Akademieprofessor Karl Caspar und seiner Frau Maria Caspar-Filser. Dagegen kriecht bei anderen die kalte Wut hoch: Christian Schad, frühes NSDAP-Mitglied, Angepasster, Durchwurschtler, der später die Mär vom "großen Unangepassten" in die Welt setzte. Oder Hermann Tiebert, einer auf der Gottbegnadetenliste von Adolf Hitler und Joseph Goebbels, der nach 1945 nur durch einen Heilanstaltaufenthalt einem Spruchkammerverfahren entgehen konnte.

Das Nebeneinander dieser sehr unterschiedlichen Biografien und Kunstwerke mutet mitunter seltsam an, ist aber auf jeden Fall sehenswert.

Kunst und Leben 1918 bis 1955, Lenbachhaus, Luisenstr. 33, bis 16. April 2023

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