Kultur für Senioren:Was Demenzkranke in Kunst erkennen

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Während der 90-minütigen Führung wollen Ruth Lobenhofer (hier im Bild) und Henriette Schuster Menschen mit Demenz das Gesamtkunstwerk Villa Stuck näherbringen. (Foto: Catherina Hess)

In mehreren Münchner Museen gibt es für sie spezielle Führungen. Die Villa Stuck setzt etwa auf lebendige Zugänge. Statt historischer Fakten gibt es Klänge aus der Panflöte und einen grünen Briefumschlag.

Von Robert Meyer

Als Beethovens Mondscheinsonate durch den Musiksalon der Villa Stuck klingt, platzt bei der Besuchergruppe der Knoten. Ruth Lobenhofer führt an diesem Nachmittag Menschen mit Demenz durch das Museum am Friedensengel. In der linken Hand hält sie einen weißen Lautsprecher, in der rechten einen iPod. Wo früher Franz und Mary von Stuck unter dem Sternenhimmel an der Decke des Salons getanzt haben, summt heute unerwartet eine der demenzkranken Frauen im Rollstuhl die Melodie mit. Das rührt Begleiterinnen wie die Führerinnen.

Das seien die besonderen Momente, sagt Ruth Lobenhofer später. Während der Aktion "Kunst-Zeit" anlässlich des Welt-Alzheimer-Tags am 21. September veranstalten mehrere Münchner Museen spezielle Führungen für Menschen mit Demenz. Diese Rundgänge sollen demenzkranken Menschen lebendige Zugänge zu ausgewählten Kunstwerken ermöglichen. Mit dabei ist auch die Villa Stuck, in der Ruth Lobenhofer am Mittwoch mit Kollegin Henriette Schuster einer kleinen Gruppe das ehemalige Haus des Münchner Malers Franz von Stuck zeigt.

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Lobenhofer sitzt vor den Besuchern auf den Stufen vor Franz von Stucks berühmtestem Gemälde, dem Wächter des Paradieses - einem Engel mit Schwert. Eine der Seniorinnen muss näher an das Bild heranrücken, um es besser zu erkennen. Lobenhofer, selbst Kunsthistorikerin und Sozialpädagogin, hilft ihr die beiden Stufen hoch. Selbst Teil der Gruppe werden, eine persönliche Ansprache finden - das sei im Umgang mit den demenzkranken Menschen zentral.

"Was sehen Sie auf dem Bild?" fragt Lobenhofer in die Runde. Vorerst antwortet niemand. Auf diesen Führungen habe sie erst lernen müssen, Stille auszuhalten. Doch die Antworten lassen nicht lange auf sich warten. Ein muskulöser Mann, sagt eine Teilnehmerin. Ein Flügel. Vielleicht ein Schirm? "Schauen Sie sich die Augen an. Die leben!", sagt eine Seniorin begeistert. Im Gegensatz zu den sonst üblichen Besuchern trauten sich demenzkranke Menschen, auch die einfachen Details der Gemälde anzusprechen, sagt Lobenhofer. Das erweitere auch ihren eigenen Horizont. "Jede Führung ist anders."

Die sinnliche Erfahrung sei dabei der zentrale Unterschied zu anderen Führungen. Erläutert sie sonst nur die wichtigsten Informationen zur Villa, ginge es bei den Demenzführungen vor allem darum, Augen, Ohren und Tastgefühl der Besucher anzuregen. Als die Gruppe vor einem Bild des Hirtengotts Pan steht, holt Henriette Schuster die im Bild zentrale Panflöte aus einer Tasche und beginnt zu spielen. Die Senioren lauschen den Klängen und dürfen auch selbst spielen.

Auch musikalische Eindrücke, hier von Henriette Schuster demonstriert, sind Teil der Führung. (Foto: Catherina Hess)

Spielerische Elemente seien ebenso wichtig wie akustische, sagt Lobenhofer. Als die Teilnehmer hinter der ehemaligen Haustür der Villa sitzen, können sie nicht nur den der Antike nachempfundenen Eingangsraum bewundern. Die Haustür wirkt von innen unspektakulär, doch außen prangt der furchterregende Kopf der Medusa, durch deren Mund die Briefträger einst die Post schieben mussten. Lobenhofer zeigt den Senioren eine Nachbildung des durchaus ungewöhnlichen Briefkastens und lässt sie symbolisch einen grünen Brief durch den Schlitz werfen. Der Inhalt: zwei Bilder von Franz und Mary von Stuck. "Ein schöner Mann", wie eine Seniorin später anmerkt.

Zwar können die Senioren nur wenige Bilder und Räume sehen, doch der Applaus der Gruppe war am Ende nicht minder groß. Lobenhofer habe schon oft erlebt, wie sich andere Besucher interessiert zu den speziellen Führungen gestellt haben. Bereits seit 2016 geht das Projekt "KunstZeit" der Frage nach, wie Menschen mit Demenz Kunst nähergebracht werden kann. Die Führungen beruhen auf einem gemeinsamen Konzept verschiedener Münchner Museen und werden mittlerweile in der Artothek, dem Bayerischen Nationalmuseum, dem Lenbachhaus, dem Museum Villa Stuck, der Pinakothek der Moderne und dem Staatlichen Museum Ägyptische Kunst angeboten. Die Rundgänge selbst sind kostenlos, wenn überhaupt, müssen die Besucher den Eintritt ins Museum zahlen. Am Sonntag, 23. September, wird Ruth Lobenhofer im Bayerischen Nationalmuseum von 14 Uhr an eine weitere Führung für Demenzkranke leiten.

Auch die erfahrene Kunsthistorikerin profitiert von den Führungen. Sie sei lockerer geworden - und sehr viel geduldiger. So fragt am Mittwoch eine Teilnehmerin gleich vier Mal während der Führung, wann die Villa denn erbaut wurde. Doch für Lobenhofer kommt es nicht darauf an, die historischen Fakten zu vermitteln. Es reiche schon, wenn die demenzkranken Menschen ein gutes Gefühl mit nach Hause nehmen, sagt Lobenhofer.

© SZ vom 21.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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