Sozialverband:"Die Mittelschicht steht in der Gefahr, sich arm zu wohnen"

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Ein Obdachloser schläft im Café des Heims an der Pilgersheimer Straße. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Mieten in Ballungszentren sind so hoch, dass sie für Normalverdiener zum Problem werden könnten.
  • Davor warnt der Sozialverband Caritas und fordert Maßnahmen aus der Politik.
  • Die Caritas selbst hat Probleme, Stellen in ihren Einrichtungen zu besetzen, weil sich die Mitarbeiter keine Wohnungen leisten können.

Von Thomas Anlauf

In München leben etwa 9000 Menschen, die keine Wohnung haben, das entspricht der Einwohnerzahl von Pullach. "Was noch erschreckender ist: Fast jeder fünfte Wohnungslose ist minderjährig", sagt Georg Falterbaum. Der Münchner Caritasdirektor schlägt angesichts der stark steigenden Wohnungsnot Alarm - und nimmt die Politik in die Pflicht. "Die Wohnungsnot ist längst die soziale Frage unserer Zeit", sagte Falterbaum auf einer Pressekonferenz zum Tag der Wohnungslosen am Dienstag.

Vor allem in Ballungszentren wie München und Umgebung seien die Mieten die Mieten oftmals so hoch, dass sie auch für Normalverdiener zum Problem werden könnten. "Die Mittelschicht steht in der Gefahr, sich arm zu wohnen", so Falterbaum.

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Gerade Sozialverbände wie die Caritas spüren, wie ihre Mitarbeiter zu kämpfen haben. Die Löhne etwa in der Pflege oder in der Sozialbetreuung sind nicht gerade üppig. "Unsere Erzieherinnen, Altenpfleger oder hauswirtschaftlichen Kräfte suchen oft vergeblich bezahlbaren Wohnraum in und um München", das erschwere die Besetzung solcher Arbeitsstellen im Kita- oder Pflegebereich "erheblich".

Das Problem kennt auch Karl Wagner. Er leitet das Senioren- und Pflegeheim Vincentinum. "Unsere Pflegekräfte finden in München kaum noch bezahlbare Wohnungen", sagt Wagner. Die Folge: Im Vincentinum "suchen wir händeringend Fachkräfte, aber wir bekommen sie nicht". Als in den vergangenen Jahren fünf Mitarbeiter in den Ruhestand gingen, konnte er die Stellen nicht mehr besetzen - zumindest nicht mit deutschen Arbeitskräften. Die Deutschen, die dann doch ihren Dienst im Vincentinum antraten, "gingen nach zwei oder drei Tagen wieder". Der Job als Pfleger war ihnen offenbar zu hart bei dem Gehalt.

Wagner suchte einen Ausweg aus dem Dilemma und fand ihn dank mehrerer Asylbewerber. Derzeit arbeiten vier Menschen aus Syrien, einer aus Nigeria, eine Frau aus Somalia in der Einrichtung. "Lasst diese Menschen an der Kultur teilhaben, gebt ihnen Arbeit und ein Zuhause", sagt Wagner. Die Flüchtlinge seien auf ihn zugekommen, weil sie in ihrer neuen Heimat etwas Sinnvolles tun wollten. Eine Syrerin, die bislang eine Arbeitserlaubnis hat, arbeitet ehrenamtlich im Münchner Vincentinum, kann aber dafür dort wohnen.

Durch die teuren Mieten fehlen Mitarbeiter

Denn viele Geflüchtete finden zunächst keine Wohnung auf dem Markt und bleiben auch nach ihrer Anerkennung oft zwangsläufig in ihren Unterkünften. Für Caritasdirektor Falterbaum gibt es angesichts der Wohnungsknappheit nur eine sinnvolle Maßnahme, um gegenzusteuern: "Wir brauchen eine Wohnungsbauoffensive, mehr staatliche Wohnungsbaugesellschaften und mehr genossenschaftlichen Wohnungsbau." Städte und Kommunen könnten zudem bei eigenem Grundbesitz die Mietpreise stärker steuern.

Doch selbst im Landtagswahlkampf gebe es kaum Aussagen zur nachhaltigen Bekämpfung von Armut und Wohnungsnot. Gerade Senioren mache der Blick in die Zukunft Angst, so Falterbaum. "Durchschnittlich erhält ein Rentner in München 1100 Euro, eine Rentnerin 785 Euro." In München gelte aber als arm, wer weniger als 1350 Euro zur Verfügung habe. Ihnen droht nicht selten der Verlust der Wohnung, weil sie ihre Miete nicht mehr zahlen können.

Stefanie Kabisch, Leiterin des Männerwohnheims an der Pilgersheimer Straße, fordert daher, dass der Freistaat analog zu München bayernweit ein Konzept zum Erhalt von Mietverhältnissen entwickelt, um einen Wohnungsverlust möglichst zu vermeiden. In ihrer Einrichtung seien zudem immer mehr Männer, die arbeiten, aber auf dem freien Wohnungsmarkt nichts Bezahlbares finden können. Die Zahl der Übernachtungen Obdachloser steigt deshalb seit Jahren stark. Von der Stadt fordert Kabisch, ganzjährig Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen ohne einen Leistungsanspruch zu schaffen. Bislang gibt es nur das kostenlose Kälteschutzprogramm im Winter.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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