Jonas Hummels:Viel mehr als nur Fußball-Experte

Lesezeit: 5 min

Jonas Hummels hat Psychologie studiert. Er interessiert sich für die intrinsische Motivation von Menschen. "Warum wollen manche Leistung bringen und andere nicht?" (Foto: Stephan Rumpf)

Mit 26 Jahren muss Jonas Hummels seine Karriere als Fußballer beenden. Seither hat er sein Studium abgeschlossen und eine Firma gegründet. Und ist viel unterwegs in Städten, die mit dem gleichen Buchstaben beginnen.

Von Gerhard Fischer, München

Es war eine Zeit lang lustig, bei Jonas Hummels nachzufragen, ob er gerade in München sei. Er sei in Amsterdam, schrieb er zunächst. Er sei in Atlanta, antwortete er beim nächsten Mal. Welche Stadt mit "A" würde noch kommen? Ankara? Albuquerque? Anchorage in Alaska? Man dachte, Hummels mache viel Urlaub. Aber dann sagte er am Telefon, er wohne in Amsterdam, und in Atlanta sei der Sitz seiner Firma. Das sei eine längere Geschichte. Er würde sie erzählen, wenn er wieder in München sei.

Jetzt ist Hummels in München, und das nicht bloß als Besucher. Er wohnt seit Anfang September wieder hier. Man trifft sich im Café Clara in der Maxvorstadt. Es ist ein warmer Spätsommertag, Hummels kommt mit dem Rad. Er sieht seinem Bruder, Mats Hummels, schon ein wenig ähnlich, aber dies soll keine Geschichte über "den-Bruder-von" werden. Jonas Hummels hatte das gleich am Anfang gesagt, als er noch in Amsterdam oder Atlanta gewesen ist. Aber man hatte das auch gar nicht vor. Sondern wollte wissen, weshalb er Psychologie studierte, zum Beispiel. Oder wie es ihm ging, als er seine Fußball-Karriere mit 26 Jahren beenden musste.

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Jonas Hummels, 32, redet erst mal darüber, dass er vor fast fünf Jahren eine Software-Firma in Atlanta gegründet hat - obwohl er von Software nicht so viel Ahnung habe. "Ich bin kein Techi, ich bin Geisteswissenschaftler", sagt er. "Die ganze Story ist total zufällig." Er muss etwas ausholen. 2014, Hummels war noch ein begabter Kicker bei der SpVgg Unterhaching, hatte er Kontakt zum Fußballklub Atlanta United. Der Wechsel kam nicht zustande, weil er sich schwer verletzte. Kreuzbandriss. Was blieb, war die Verbindung zu einem Deutsch-Amerikaner, der Anteile an Atlanta United besaß. Mit ihm gründete er 2017 jene Software-Firma, die heute 35 Menschen beschäftigt. Hummels kümmert sich um Marketing, Verkauf, Vertrieb, Sponsorensuche, Fundraising, Kundenbetreuung. "Es ist ein Mix aus vielem", sagt er. "Ich lerne jeden Tag."

Lernen. Neues sehen. Reisen. Das ist wichtig für Hummels. Doch jetzt, so hat man den Eindruck, muss er gerade nachfühlen, was Heimat für ihn bedeutet. Natürlich reist er weiterhin oft in die USA, aber nun lebt er erst mal wieder in München. "Ich mag München sehr gerne", sagt er, "hier sind Familie und Freunde - als ich kürzlich eine Radtour gemacht habe, traf ich viele Leute, die ich kenne." Aber reicht ihm das? Manchmal wirkt er wie einer, der auf der Durchreise ist: neugierig, unruhig. In Amsterdam hat er übrigens gewohnt, weil ihm die Stadt gefiel. Und weil man vom Flughafen Schiphol gut in alle Welt reisen kann.

Seine Mutter ist eine bekannte Sportjournalistin

Hummels wurde in Wiesbaden geboren und wuchs in München auf. Er hat nicht bloß einen berühmten Bruder, mit dem er übrigens alle zwei Wochen einen Sport-Podcast bespricht. Seine Mutter Ulla Holthoff ist ein bekannte Sportjournalistin, sein Vater Hermann Hummels war früher Fußballspieler und Trainer, heute betreut er mit einer Berater-Agentur unter anderem seinen Sohn Mats.

Jonas Hummels bestritt 38 Drittliga-Spiele für die SpVgg Unterhaching. Er sagt, er sei "klar im Kopf und diszipliniert gewesen", aber er habe nicht das Potenzial für die Nationalmannschaft besessen oder, sagen wir, für 300 Bundesliga-Spiele. Er hätte wohl Zweite Liga spielen können. "Oder mal mit einem Zweitligisten in die Bundesliga aufsteigen", fantasiert er, "und dort ein, zwei Jahre bleiben". Aber Hummels ist häufig verletzt gewesen, meistens waren es die Knie; er hatte unter anderem zwei Kreuzbandrisse. Einmal sagt er an diesem Vormittag im Café Clara: "Ich hatte zwei Jahre nur Schmerzen, ich habe ständig Ibus genommen." Er meint Ibuprofen. Und einmal sagt er: "Ich habe in zwei Saisons nur dreieinhalb Spiele gemacht." Einmal stieß er mit Haching ins Pokal-Achtelfinale vor, der Gegner hieß Bayer Leverkusen. Hummels weiß noch das Datum: "Es war am 15. Dezember 2015." Es wäre ein Karriere-Höhepunkt gewesen. Er hatte Schmerzen, ließ sich fitspritzen, aber der Trainer hatte Zweifel, Hummels saß auf der Bank. "Es war das letzte Mal, dass ich im Kader war." Er wurde dann noch mal operiert. 2016 beendete er seine Karriere.

Wie war das?

"Ich war erst mal gut gelaunt", sagt Jonas Hummels. "Ich wusste, ich kann den Kampf nicht gewinnen - ich hatte in vier Jahren sieben Knie-Operationen." Jetzt war der Kampf vorbei.

Er hat Abstand vom Fußball gebraucht

Aber natürlich verlief der Abschied in Wellen. Erst die Erleichterung. Dann ein wenig Wehmut. Vielleicht auch mal die Warum-gerade-ich-Frage. "Es hat gedauert, das zu verarbeiten", räumt Hummels ein. Schließlich war er ein Sportler, der Leistung bringen wollte, der, so sagt er, "schneller laufen, höher springen, ausdauernder sein wollte als andere". Dieser Wettbewerb fiel weg, ebenso das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft junger Männer zu sein, die "viel Quatsch im Kopf hatten". Er habe dann erst mal Abstand gebraucht, sagt er. Von Haching. Vom Fußball. Aber heute, sechs Jahre später, gehe es ihm "super". Hummels meint die Seele. Der Körper ist so weit okay, dass er schwimmen, Fahrrad fahren und zu Fuß gehen könne. "Aber ich gehe zum Beispiel komisch die Treppe runter", sagt er. Etwas eckig.

Er erklärt das nicht genauer, und man will nicht insistieren. Ansonsten ist Hummels auskunftsfreudig und dabei rhetorisch stark. Er spricht die Habeck-Sprache, in der Plakatives ("Das Knie schwoll nach 90 Minuten an wie ein Luftballon") und Jugendliches ("krass", "Techi") ebenso vorkommen wie "intrinsische Motivation". In jedem Fall ist er reflektiert.

Man wundert sich nicht, dass er Psychologie studiert hat. "Ich interessiere mich für Menschen", antwortet er, als er auf sein Studium angesprochen wird. "Warum wollen zum Beispiel manche Leistung bringen und andere nicht?" Und woher komme etwa eine - hier ist es - "intrinsische Motivation" bei jemandem, der beim Ultramarathon 24 Stunden am Stück laufe? Hummels spezialisierte sich auf Arbeits- und Organisationspsychologie, das Klinische war nicht sein Ding. "Ich wusste, dass ich kein Therapeut werden wollte." Danach hat er noch einen Master in BWL gemacht.

"Ich war heillos überfordert"

Er hat dann erst mal im Nachwuchsleistungszentrum der SpVgg Unterhaching als Sportpsychologe gearbeitet.

"Ich war heillos überfordert", sagt Hummels.

Der Satz kommt überraschend. Weil er so schonungslos ist. Warum heillos überfordert?

"Ich war mit einer 50-Prozent-Stelle für sechs Jugendmannschaften zuständig", antwortet Hummels. Dazu kam, dass er nicht erfahren genug war. Er sollte den Jungs bei gruppendynamischen Prozessen helfen; oder wenn sie nach einer Verletzung wieder zurück kamen; oder wenn sie Konzentrationsschwächen hatten. "Aber es war der falsche Zeitpunkt, ich hatte zu wenig Vorbildung." Er hat die Stelle wieder aufgegeben - aber nicht den Wunsch, als Sportpsychologe zu arbeiten. "Vielleicht eher mit einem Einzelsportler, ich bin ja ein Riesen-Tennisfan."

Seine Sportbegeisterung kann er derzeit beim TV-Sender DAZN ausleben. Er ist dort Co-Kommentator und Experte, vor allem bei Spielen der Fußball-Bundesliga und der Champions League. Manchmal kann er auch reisen: Am vergangenen Mittwoch war er bei einem Spiel in Madrid. Vielleicht kommen jetzt die Städte mit "M" dran: Mailand und Manchester spielen ja auch in der Champions League.

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