Zur ersten Handwerksmesse in München strömen 365 000 Besucherinnen und Besucher auf das damalige Messegelände im Ausstellungspark Theresienhöhe. Fünfundfünfzig Sonderzüge sowie zweitausend Sonderbusse werden gezählt. Mit dem Auto kommen nur wenige Besucher, noch ist es für die meisten Menschen unerschwinglich. 820 Unternehmen stellen vom 15. bis 31. Juli 1949 ihre Handwerkskünste, Maschinen und Werkzeuge vor - nur zwei Monate nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Der Eintritt kostet eine D-Mark.
"Die Amerikaner haben uns damals diese Messe zugestanden", sagt Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern (HWK), die dieses Event vor 75 Jahren ins Leben gerufen hat. 1950 wird die Veranstaltung zur Deutschen Handwerksmesse unbenannt und als "bundeswichtig" geadelt. Mit der wachsenden Beteiligung internationaler Aussteller heißt sie von 1962 an schließlich "Internationale Handwerksmesse".
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Doch zurück zu den Anfängen: 1949 bricht in München eine neue Gründerzeit an. Der Zweite Weltkrieg ist erst vor wenigen Jahren zu Ende gegangen, München soll möglichst schnell wieder aufgebaut werden. Und die amerikanischen Besatzungsoffiziere machen sich daran, "ihre hemdsärmeligen Wirtschaftsauffassungen auf Deutschland zu übertragen", wie in einem Spiegel -Artikel aus dem Jahr 1953 zu lesen ist. In den USA gibt es keinen vergleichbaren Handwerksstand, wer sich zu einer Arbeit befähigt sieht, darf diese ausüben. Dies soll nun auch in Deutschland gelten.
Um die Wirtschaft zu beleben und die allgegenwärtige Not zu lindern, vor allem die Wohnungsnot, führt die US-Militärregierung am 29. November 1948 die uneingeschränkte Gewerbefreiheit ein. Der Beitritt zu einer Innung ist wieder freiwillig, die Handwerkskammern werden von öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu Vereinen herabgestuft. Von 10. Januar 1949 an genügt eine Postkarte für die Anmeldung eines Gewerbebetriebes.
Der Erfolg dieser Maßnahme lässt sich im "Statistischen Handbuch der Stadt München" aus dem Jahr 1954 nachlesen: Wurden im Stadtgebiet 1948 noch 7039 Gewerbeanmeldungen registriert, waren es 1949 bereits 27 593. Darin steht auch, dass es nicht mehr stimme, wenn München nur als "die Stadt der Gemütlichkeit, des ruhig dahinplätschernden Lebens" gesehen werde. Denn, so geht es weiter: "München ist sehr arbeitsintensiv und hat einen sonst selten erreichten Anteil von Frauen im Berufsleben."
Als HWK-Präsident Peteranderl das erste Mal die Handwerksmesse besucht, damals noch ein Bub an der Hand seines Vaters, der Bauunternehmer ist, beginnen die 60er-Jahre. "Damals liegt der Fokus auf Bau und Ausbau", sagt er. "Alles, was mit Bauwirtschaft, Geräten für die Metallbearbeitung, Schreinern, Fensterproduktion und dergleichen zu tun hat, ist vertreten." Es gibt eine ganze Halle allein für Maschinen, mit denen sich Fenster herstellen lassen.
In anderen Hallen sind Kleingeräte von der Bohrmaschine bis zum Abbruchhammer ausgestellt, die Interessenten sogar testen dürfen. "An der Messe konnte man die Leistungsfähigkeit des deutschen Handwerks ablesen, vor allem der Bauwirtschaft, die heute eine eigene Messe hat", sagt Peteranderl. Aber auch Kunsthandwerk, Design und Volkskunst, Bekleidung und Mode sind zu sehen.
Die Anziehungskraft der Messe nimmt von Jahr zu Jahr zu: Schon im zweiten Jahr sind unter den rund 1050 Ausstellern auch Betriebe aus Frankreich, Italien, Österreich und dem ehemaligen Jugoslawien. Immer mehr Firmen sehen die Ausstellung als Chance, neue Kunden zu gewinnen. Mit wachsendem Konkurrenzkampf im Handwerk wird dies immer wichtiger; zunehmend spielen auch die Ausfuhr in fremde Länder und die Beschaffung von Rohstoffen auf der ganzen Welt eine Rolle.
Seit Beginn der Handwerksmesse zeigen sich hochrangige Politiker aus der Bonner und später Berliner Republik in München. Der Bundeswirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard ist seit Beginn prominenter Unterstützer der Messe. 1951 erscheint er erstmals zur Eröffnung. Nicht weniger als 15 Mal ergreift der "Vater des deutschen Wirtschaftswunders" in den folgenden Jahren die Gelegenheit, auf der Theresienhöhe vor großem Publikum für die soziale Marktwirtschaft zu werben.
Als sich Industrie und Handwerk 1965 zum ersten "Münchener Spitzengespräch" treffen, ist Erhard noch Bundeskanzler. Seither nehmen an diesem Gespräch alljährlich Vertreterinnen und Vertreter der Spitzenorganisationen des Handwerks und der Industrie sowie der Bundes- und Länderbehörden teil, Bundeskanzler und die Bundeskanzlerin eingeschlossen. 2019 fordert etwa Angela Merkel (CDU) auf der Handwerksmesse eine europäische Strategie für künstliche Intelligenz, während BDI-Präsident Dieter Kempf im Deutschlandfunk von der Bundesregierung mehr Engagement für die deutsche KI-Forschung verlangt. Die Aussichten auf staatliche Unterstützung sind indes schlecht: Der Bundesfinanzminister heißt Olaf Scholz (SPD) - er will dafür keine zusätzlichen Mittel bereitstellen.
Auch wenn sich Politik und Wirtschaft selten einig sind, Peteranderl hält solche Gespräche für wichtig. "Das ist wie auf der Sicherheitskonferenz oder in Davos. Man vertieft gewisse Themen, was gesagt wird, kommt ja nicht an die Öffentlichkeit. So entsteht ein gegenseitiges Verständnis." Entscheidend sei nicht die Pressemeldung, die anschließend verschickt wird, sondern das, was hinter verschlossenen Türen gesprochen wird. Was in diesem Jahr Thema des Spitzengesprächs sein dürfte, kann man sich allerdings mühelos vorstellen.
In den Messehallen geht es vom 28. Februar bis zum 3. März ums Bauen, Sanieren und Modernisieren, um Wohnen, Küche und Garten. Dazu gibt es eine Sonderausstellung für Schmuck, auf der rund 60 Künstlerinnen und Künstler sowie mehr als 90 Designer unter 35 Jahren ihre Exponate zeigen. Ein großes Thema wird auch der Nachwuchs fürs Handwerk sein. In Halle C1 dreht sich fast alles um Berufsausbildung und duales Studium. "Young Generation" heißt dieser Bereich, in dem sich verschiedene Gewerke vorstellen und ausprobieren lassen. Schulklassen sind willkommen.
"In Bayern stehen in den kommenden Jahren rund 20 000 Handwerksbetriebe zur Übergabe an", sagt Peteranderl. "Wir finden zu wenig junge Leute, die ins Risiko gehen und eine Firma übernehmen wollen." Nur ein Drittel der jungen Meister wolle sich selbständig machen, die anderen fürchteten Bürokratie und allzu lange Arbeitszeiten.
Die Gewerbefreiheit in Bayern wurde übriges 1953 einkassiert und die Meisterprüfung wieder eingeführt - Kunden sollten, wie es hieß, vor Pfusch geschützt werden.