"Ja, ich bin unbelehrbar", sagt der Mann mit dem akkurat getrimmten grauen Bart in seinem Schlusswort. Vor zehn Monaten, als er schon einmal in demselben Saal B275 des Münchner Strafjustizzentrums saß, hatte das letzte Wort des Angeklagten noch eineinhalb Tage gedauert. Alfred S., 64, hatte sie genutzt, um vor großem Publikum auszubreiten, was er noch immer für die "Wahrheit" hält: dass "der so genannte Holocaust nur eine perfide Lüge war, um viel Geld zu ergaunern und vom Massenmord an den Deutschen abzulenken". Wegen Volksverhetzung und zwei Hitlergrüßen auf offener Bühne des Gerichtssaals steht S. am Donnerstag erneut vor Gericht. Justizbeamte bringen den Mann in Handschellen direkt aus Stadelheim.
Der Deutsch-Kanadier Alfred S. ist ein Leugner der Schoah. Ein "Verblendeter" ist er nicht und auch mehr als nur ein "Unbelehrbarer", findet Oberstaatsanwalt Andreas Franck. Denn das wäre im Fall des Tutzingers verharmlosend. Die angeklagten Handlungen seien der "worst case", der schlimmste Fall, den die Paragrafen des Strafrechts zu Volksverhetzung und zum Verwenden von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen abdecken - S. habe in einem voll besetzten Gerichtssaal und vor Kameras genau das wiederholt, weswegen er damals angeklagt gewesen sei. "Und er bleibt bis heute dabei." Während der Oberstaatsanwalt das ausführt, lacht der Angeklagte. Franck sagt, S. habe "eine Botschaft, eine Mission". Er wisse genau, dass es die Gaskammern und den Massenmord an den Juden gegeben habe. Doch: "Er ist ein Judenhasser."
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Die Verdächtige kam der Polizei zuvor, die sie schon ermittelt hatte. Sie räumt ein, die jüdische Familie beleidigt zu haben, gespuckt habe sie aber nicht.
Das hat der 64-Jährige während seines Prozesses vor einem Jahr deutlich gemacht, von Anfang an. Zusammen mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester hatte er sich da wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten müssen. Er hatte - in einer Rede und in selbstproduzierten Youtube-Videos - den Holocaust geleugnet. Seine Schwester befand sich bei Prozessbeginn im Juli 2018 bereits in Untersuchungshaft. Als sie in den Gerichtssaal geführt wurde, hob S. zunächst die rechte Hand zum Hitlergruß, dann erst folgte die Umarmung. Unmittelbar danach, so beschrieb es am Donnerstag eine Zeugin, habe sich S. Richtung Zuschauerraum gedreht und den Hitlergruß wiederholt. Dazu sagte er: "Ich habe einen Hund, der so hoch springt." Niemand, auch kein Verteidiger, sei eingeschritten.
Das vermeintliche Spiel mit dem Unsagbaren und Verbotenen gefällt S. offenkundig. Einen Tierexperten würde er gerne als Sachverständigen haben: "Wie hoch darf ein Hund springen, dass es nicht verfassungswidrig ist?" Dann wieder insistiert S., er habe gar nicht den "deutschen", sondern den "römischen Gruß" gezeigt. Und schließlich behauptet er, als Kanadier nicht gewusst zu haben, dass die Geste in Deutschland verboten ist. S. lebt allerdings schon seit 34 Jahren wieder in Deutschland. "Letztendlich war es nur ein Gruß", spielt der Verteidiger die verbotene Nazi-Geste herunter. Und die Leugnung der NS-Verbrechen hält er für "politische Meinungsäußerungen". Der Anwalt aus Fürth, immer wieder die rechte Szene verteidigt, lässt sich in seinem Plädoyer auch über den angeblichen "Einfluss zionistischer Kreise" aus und sagt: "Kein Weg führt an der Wahrheit vorbei."
Was sein Mandant darunter versteht, hat er im Oktober deutlich gemacht: "Ein Betrug von beispiellosem Ausmaß" sei der Holocaust. Juden hätten ein anderes "Betriebssystem", sie seien eine "tödliche Gefahr". Dreimal hatte ihn der Richter damals unterbrochen, ihn auf die Strafbarkeit seiner Aussagen hingewiesen. S. ließ sich nicht stoppen. Diesmal glaubt er offenbar, vorsichtiger sein zu müssen.
Vielleicht fehlt ihm auch das Publikum, das nach Aussagen einer Zeugin vergangenes Jahr zu zwei Dritteln aus Gesinnungsgenossen bestanden habe. Mehrmals hatte der Vorsitzende Richter damals die Zuschauer ermahnen müssen. Videos des Angeklagten waren nach Erinnerung von Prozessbeobachtern mit zustimmendem Gelächter quittiert worden, für die Ausführungen der Schwester hatte es gar Applaus gegeben. Diesmal sitzen nur zwei Freunde und seine Ehefrau im Zuhörerraum. S. geht am Donnerstag nicht auf die Ermordung von sechs Millionen Menschen ein und spricht lieber ganz allgemein von einer "Lügenmatrix" - und davon, dass man ihn gerne "sechs Millionen Jahre ins Gefängnis" stecken könne.
Es werden dann ein Jahr und sechs Monate. Ohne Bewährung. Denn Alfred S. habe deutlich gesagt, dass er weitermachen wolle, urteilt die Amtsrichterin. Wie die mehr als dreijährige Haftstrafe aus dem ersten Verfahren ist auch dieses Urteil noch nicht rechtskräftig. Es sei ihm egal, hatte S. bereits vor dem Spruch der Richterin getönt. S. verlässt die diesmal für ihn gar nicht so große Bühne des Gerichtssaals B275, wie er gekommen ist. In Begleitung von zwei Justizbeamten, in Handschellen.