Polizei München:Gesuchte Frau stellt sich nach Attacke auf Rabbiner

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Der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Bayern sind seit April bereits 72 judenfeindliche Vorfälle im Freistaat gemeldet worden, 35 allein aus München. Das Sicherheitsgefühl der Juden in der Stadt - im Bild das Gemeindezentrum am Jakobsplatz - verschlechtert sich zunehmend. (Foto: Florian Peljak)
  • Nach dem antisemitischen Vorfall in Schwabing hat sich eine tatverdächtige Frau bei der Polizei gemeldet und die Vorwürfe teils eingeräumt, teils zurückgewiesen.
  • Die Frau soll den 19-jährigen Sohn eines Rabbiners beschimpft und ihm ins Gesicht gespuckt haben - letzteres streitet sie ab.

Von Thomas Schmidt, München

Nach dem antisemitischen Angriff am vergangenen Samstag in München hat sich nun eine tatverdächtige Frau der Polizei gestellt. Der Vorfall, bei dem ein Rabbiner und seine beiden Söhne auf offener Straße judenfeindlich beschimpft und bespuckt worden sein sollen, hatte bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Offenbar aufgrund der intensiven Berichterstattung in den Medien meldete sich am Dienstag eine 40-jährige Krankenschwester aus dem Münchner Umland bei der Polizei und gab an, die gesuchte Beschuldigte zu sein. Gegenüber den Ermittlern hat die Frau zwar zugegeben, die jüdische Familie beleidigt zu haben - allerdings bestreitet sie laut der Münchner Generalstaatsanwaltschaft einen antisemitistischen Hintergrund und sagt, sie habe nicht gespuckt.

Die Frau werde nach wie vor als Beschuldigte und nicht bloß als Zeugin des Vorfalls geführt, stellte Andreas Franck, Antisemitismusbeauftragter der Münchner Generalstaatsanwaltschaft, am Donnerstag klar. Allerdings sehe die Justizbehörde derzeit keinen Grund, die 40-Jährige, die einen festen Wohnsitz hat, in Untersuchungshaft zu nehmen. Die Polizei war der Krankenschwester ohnehin schon dicht auf der Spur und hatte bereits ermittelt, wer die Gesuchte ist. Doch noch bevor die Beamten ihr einen Besuch abstatten konnten, hatte sie sich schon selbst gestellt.

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Der Rabbiner und seine Söhne hatten am Samstag eine Synagoge in Schwabing besucht. Alle drei Männer trugen Kippot auf dem Kopf, als sie anschließend zu Fuß an der Ecke Hohenzollern- und Wilhelmstraße unterwegs waren. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen war es ein obdachloser Mann, der sie unvermittelt von der gegenüberliegenden Straßenseite aus judenfeindlich anschrie. Die Krankenschwester hatte den Vorfall laut Polizei aus ihrem Auto heraus bemerkt und sich eingemischt. Laut den Aussagen der Opfer beschimpfte auch sie die Familie judenfeindlich. Als einer der Söhne, ein 19-Jähriger, sich daraufhin zur Beifahrerseite bückte, um die Frau anzusprechen, habe sie ihm ins Gesicht gespuckt.

Die Tatverdächtige hat laut Oberstaatsanwalt Franck "wechselseitige Beleidigungen" zugegeben, behaupte aber, sie sei zuerst von der Familie beschimpft worden. Außerdem habe sie sich angeblich nicht judenfeindlich geäußert. Die Justizbehörde wirft ihr neben Beleidigung auch Volksverhetzung vor. Die 40-Jährige ist in Marokko geboren, lebt aber schon seit vielen Jahren in Deutschland und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Vorbestraft oder polizeibekannt sei sie bisher nicht, berichtete Franck. Es gebe bislang auch keine Hinweise auf Verbindungen ins rechtsradikale Milieu.

Die Ermittlungen dauern an. Die Tatverdächtige hat angegeben, im Auto hinter ihr habe ein Zeuge den Vorfall mitbekommen, dieser wurde aber noch nicht von der Polizei vernommen. Den Obdachlosen, der die Familie beschimpft haben soll, konnten die Ermittler bislang noch nicht ausfindig machen. Deswegen sucht die Polizei weiter nach Zeugen, die sich unter der Nummer 089/ 291 00 melden können.

Auch überregionale Medien berichteten über den Vorfall in Schwabing, darunter die Tagesschau und die heute-Nachrichten. Oberbürgermeister Dieter Reiter rief die Münchner Bevölkerung zu Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern auf. Die evangelische Regionalbischöfin Susanne Breit-Kessler twitterte, es sei "eine Schande, dass so etwas in unserer Stadt geschieht". Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle sprach von einem "Angriff auf die ganze Münchner Stadtgesellschaft".

© SZ vom 09.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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