Fairer Handel:Entwicklungshilfe zum Reinbeißen

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Sie sehen aus, als wollten sie für den Spruch "Schokolade macht glücklich" werben: fünf Angestellte der Fabrik in Ghana. (Foto: Fairafric)

Hendrik Reimers hat das Sozialunternehmen Fairafric gegründet, mehr als zwei Millionen Tafeln Schokolade verlassen jährlich die Produktionsstätten in Ghana. Über eine Idee mit einem ehrgeizigen Ziel.

Von Sabine Buchwald

Hendrik Reimers sitzt bei der zweiten Tasse Milchkaffee im Café "A Little Lost" unweit des Münchner Hauptbahnhofs. Ein Ort, der ihm gefällt. Hinter dem Tresen stehen junge Leute, der alte Tisch, an dem Reimers seinen Laptop aufklappt, hat Vintagecharme, der Schaum in der Tasse ist aus Hafermilch, also vegan. Auch die von Reimers gegründete Schokoladenfabrik Fairafric produziert mittlerweile vegane Produkte. Gut ein Dutzend Sorten gibt es unter dem Namen Fairafric, auf Cashew-Basis oder mit Milch. Über einem stilisierten Umriss des Kontinents steht auf allen Tafeln in Großbuchstaben "Made in Africa". Darunter in kleinen Lettern: "Creating Jobs, Loving Chocolate." Das ist Reimers Ansatz: die Liebe zur Schokolade und der Wille, Arbeitsplätze zu schaffen. In seinem Unternehmen wird die Kakaobohne nicht in der Schweiz oder in Deutschland verarbeitet, sondern gleich dort, wo sie wächst. "From tree to bar", von der Pflanze zur Tafel in Afrika, genau genommen in Ghana.

Dort hat Fairafric einen Produktionsstandort aufgebaut. Für Reimers ist Ghana eines der afrikanischen Länder, die "am besten ihre Hausaufgaben gemacht haben". Damit meint er die Vorteile, die das Land motivierten Unternehmern bietet. "Ausländer dürfen ohne gravierende Beschränkungen Firmen gründen", sagt er. Das Land sei friedlicher und sicherer als Frankreich, habe ein verlässliches Rechtssystem und man könne Zutaten und Maschinen für die Produktion zollfrei einführen.

Hendrik Reimers, Gründer von Fairafric. (Foto: Fairafric)

Reimers ist 41. "Schon", seufzt er. Sein Vollbart ist grau-meliert, seine dunklen Haare hat er am Hinterkopf zu einem Bun gebunden. Vielleicht hinterließ in den vergangenen Jahren so manche Sorge eine Extraspur in seinem Gesicht. Doch Reimers, groß und schlank, wirkt jugendlich. Wie jemand, der mit seinen Kindern am Wochenende gern herumbalgt. Viel Gelegenheit bleibt dafür nicht. Für Hobbys habe er keine Zeit, sagt Reimers. Doch ist er zu Hause in Herrsching, dann sitze er, wann immer es geht, abends mit einem Buch am Bett der Kinder. Dafür lässt er schon mal ein Essen mit potenziellen Geldgebern aus.

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Ein Jahr lang hat die vierköpfige Familie in Ghana gewohnt, um ein "besseres Verständnis für das Land zu entwickeln" und immer ansprechbar zu sein für Fragen der Mitarbeiter. Es sei auch ein Zugeständnis an die Menschen dort gewesen, sagt Reimers. Um zu sehen, wo man Arbeitsplätze schaffen und Ideen entwickeln könne. Entstanden ist dabei etwa eine Chocolaterie-Schule für handgemachte Pralinen. Es ist die erste ihrer Art in Ghana.

Reimers und seine Frau fühlten sich wohl auf dem afrikanischen Kontinent. Im Sommer 2022 kam die Familie dennoch zurück nach Deutschland, schneller als ursprünglich geplant. Der Umzug war eine "Businessentscheidung". Der Biopremiumbereich bei Tafelschokolade sei wegen des Kriegs in der Ukraine, der Energiekrise und der Inflation stark eingebrochen, sagt Reimers. Von Deutschland aus ist er nun wieder näher dran am Ohr der Kunden, Kunden, die Wert auf Bioqualität legen, die man mit der Geschichte der Firma überzeugen kann. Privatbäckereien zum Beispiel, denen Fairafric Schokostängel für ihre Pains au chocolat liefern. Mit dem Team in München überlegt Reimers jetzt intensiv, wie sich neue Märkte erschließen lassen.

Neben der Tafelproduktion liegt inzwischen ein weiterer Fokus auf handgemachten Produkte wie schokolierten Früchten und auf Schokolade als Zutat, für Müsli beispielsweise oder zum Überziehen von Keksen und Riegeln. Fairafric wird künftig mehr Schokolade in Tropfenform produzieren. "Im Zutatensegment wachsen wir insgesamt sehr stark", sagt Reimers. Die Produktion laufe 24 Stunden. "Sie ist an der Kapazitätsgrenze derzeit."

Die Kakaoplantage liegt etwa eine Stunde Autofahrt von der Hauptstadt Accra entfernt. (Foto: Fairafric)

Die Fabrik liegt umgeben von Kakaoplantagen in Amanase bei Suhum, eine gute Autostunde von der ghanaischen Hauptstadt Accra entfernt. Was hier steht, gab es vor vier Jahren noch nicht. Die erste Produktion von Schokolade lief 2016, damals noch mit einem Partnerproduzenten. Anfangs gab es kaum Infrastruktur für die Fertigung und alles, was damit zusammenhängt. Sie mussten die Kartonagen ins Land importieren. Auch die Euro-Holzpaletten, die Maschinen sowieso. Sie sind aus der Schweiz. Alles, was zu einem selbständig agierenden Unternehmen gehört, musste aufgebaut werden. Seit zwei Jahren hat Fairafric eine eigene Marketing-Abteilung mit Produktfotografie und Grafikern, eine örtliche Druckerei setzt die Kreativideen um. Sie hat sich die Standards erst erarbeiten müssen. Die Druckerei arbeitet jetzt auch für andere Projekte.

2022 wurden zwei Millionen Tafeln in Amanase produziert, in diesem Jahr werden es laut Reimers 40 bis 50 Prozent mehr sein. Viel für den deutschen Markt. Wo die gut 9,2 Kilogramm Schokolade herkommen, die durchschnittlich pro Kopf und Jahr bei uns verzehrt werden, darüber machen sich die wenigsten Konsumenten ernsthaft Gedanken. Tatsächlich ist Ghana weltweit eines der führenden Anbaugebiete von hochwertigem Kakao. Weiterverarbeitet werden die Bohnen in der Regel aber nicht dort, wo sie geerntet werden. Die örtlichen Kakaobauern verdienen nur einen Bruchteil im Vergleich zu den Produzenten in den Ländern des globalen Nordens.

Der Onlineshop auf der Webseite von Fairafric zeigt Verpackungen, die angelehnt sind an das farbenfrohe, typisch afrikanische, gemusterte Wachsbatik-Design. Umhüllt sind die Tafeln zudem von plastikfreier, abbaubarer Folie. Der überwiegende Teil der Schokolade verkauft sich über Bio-Läden etwa in Deutschland, Österreich, der Schweiz, aber auch in Ghana selbst. Die Biosupermärkte Basic und Denn führen die Marke. Reimers würde auch an Discounter liefern.

Bei zwölf Sorten fällt die Auswahl nicht leicht. In pinkfarbenem Einband gibt es etwa Milchschokolade mit 43 Prozent Kakaoanteil und Fleur de Sel. Sie wird mit Pulver der Molkerei Schrozberg in Demeter-Qualität hergestellt, ist nicht zu süß, nur kurz etwas trocken im Mund. Erstaunlich cremig ist die vegane Tigernuss-Mandel-Variante mit 70 Prozent Kakaoanteil. Die Tafeln zu 80 Gramm kosten rund 2,70 Euro. Für eine Bio-Schokolade ein durchschnittlicher Preis.

"Das Geschäftsmodell ist unser Marketing", sagt Reimers. Die Geschichte und die Menschen, die hinter dem Namen stehen, die sich aufgemacht haben, die "fairste Schokolade der Welt" zu produzieren, klimaneutral, lecker und aus afrikanischer Hand. Die erste Produktion vor sieben Jahren wurde über eine sogenannte Kickstarter-Kampagne finanziert, über einen Online-Vorverkauf.

30 Prozent Zinsen wollen Banken in Ghana für einen Kredit. Konditionen, die nie zum Bau der Fabrik samt Ausstattung geführt hätten. Sieben Millionen Euro hat Fairafric gebraucht. Das sei nur mit der Hilfe ganz vieler Menschen zu schaffen gewesen, sagt Reimers. Die Finanzierung hat sich auf viele Schultern verteilt. Über das Programm Africa Connect des Bundesentwicklungsministeriums erhielt die Firma ein Darlehen von zwei Millionen Euro. Inzwischen ist Fairafric eine AG mit derzeit etwa 500 Aktionären. Mehr als die Hälfte des Aufbaukapitals aber stammt von der "Crowd", wie Reimers sagt. Von Leuten, die wie er etwas in Bewegung bringen wollen zum Besseren für die Menschen in Afrika.

Reimers stammt ursprünglich aus Bremen. In Dortmund hat er Wirtschaftswissenschaften studiert, in München war er zuletzt als Vertriebsleiter in einer Softwarefirma angestellt. Ein Job, der so gut dotiert war, sodass er sich Rücklagen bilden konnte. Um die harten Gründungsjahre zu überleben, wie Reimers sagt. Denn dass er beruflich alternative Wege gehen wollte, sei ihm schon früh klar gewesen. "Ich hätte das wohl alles nie gemacht, wenn mir klar gewesen wäre, was auf mich zukommt", sagt er.

Wenn es schiefgeht? "Würde ich weich fallen", sagt er

Es waren viele kleine Stolpersteine, denen er kaum ausweichen konnte, weil er anfangs wenig vom Schokoladenbusiness verstand, vom Kakaoanbau, von der Herstellung, von der Markenkonkurrenz im Supermarkt. Nicht vorhersehen konnte er die Pandemie. Fairafric hat seit der Firmengründung im April 2016 multiple Krisen überstanden und ist dennoch stetig gewachsen. 100 Mitarbeiter gibt es jetzt. Stolz ist Reimers, ein ghanaisches Management zu haben. Seine Vision ist, für noch viel mehr Menschen qualifizierte und gut bezahlte Jobs zu schaffen: 10 000, sagt er ehrgeizig.

Diese Zahl steht auch auf der Webseite von Fairafric. Die ersten 100 Leute seien die schwersten, glaubt er. Die Fabrik steht, trotz Corona, Kriegen und Geldentwertung. "Wenn man eine gewisse Leidensbereitschaft zeigt, dann kriegt man auch viel Hilfe", glaubt Reimers.

In zwölf bis 18 Monaten will Fairafric profitabel sein. Wenn es auf Dauer doch nicht funktionieren sollte mit der Schokoladenfabrikation? Könne er sich eigentlich kaum vorstellen, sagt Reimers. "Ich würde aber weich fallen in Deutschland. Ich kann trotzdem für meine Kinder im Notfall den Arzt holen und sie können in die Schule und auf die Uni gehen." In Ghana ist das alles überhaupt nicht so. Und dann sagt er noch, bevor er sich in einen Videocall einwählt: "Wenn man weiß, dass es einen Unterschied macht für die Leute dort, dass es uns gibt, motiviert das, morgens aufzustehen und ins Büro zu gehen."

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