Gedenken an Nazi-Opfer:Stolpersteine landen vor Gericht

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  • Der Münchner Rechtsanwalt Hannes Hartung wird im Auftrag einer Gruppe von Nazi-Opfern Klage gegen das Verbot der Stolpersteine beim Verwaltungsgericht einreichen.
  • Zwar räumt das Grundgesetz das Recht auf individuelles Gedenken ein - doch in München muss die Verlegung eines Stolpersteins genehmigt werden.
  • Die Stadt geht bei den Stolpersteinen einen Sonderweg: In zahlreichen anderen Orten in Deutschland sind die Gedenksteine erlaubt.

Von Martin Bernstein

Dürfen in München Stolpersteine zum Gedenken an Nazi-Opfer auf öffentlichem Grund verlegt werden? Der Stadtrat hat im Sommer dazu Nein gesagt, doch die Frage wird demnächst die Justiz beschäftigen. Der Münchner Rechtsanwalt Hannes Hartung wird in den kommenden Tagen im Auftrag einer Gruppe von Nazi-Opfern Klage beim Verwaltungsgericht einreichen.

Unter den Klägern ist Peter Jordan aus Manchester. Der 91-Jährige musste als Kind aus München fliehen, seine Eltern wurden kurz darauf deportiert und ermordet. Er wisse, schreibt Jordan in einer Stellungnahme, "dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mir das Recht auf ein individuelles Gedenken einräumt. Hiermit mache ich Gebrauch von diesem Recht."

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Der Stadtrat hatte Ende Juli das generelle Verbot von Stolpersteinen bekräftigt, zugleich aber Stelen, also Gedenksäulen auf dem Gehweg, erlaubt. Danach hatte Jordans Anwalt Hartung namens seiner Mandanten beantragt, mehrere Stolpersteine zu verlegen. Das Baureferat lehnte dies am 31. Oktober erwartungsgemäß ab. Zu Unrecht, wie Hartung findet. Eine Erlaubnis der Kommune sei laut Gesetz nur dann nötig, "wenn durch die Benutzung der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann".

Die Stolpersteine hinderten aber niemand daran, die Gehsteige zu benutzen. Wenn die Stadt dennoch die Stolpersteine ebenso wie die Stelen als Sondernutzung ansehe, dann müsse sie auch beides genehmigen. "Wir sind der Überzeugung, dass alle Gedenkformen als gleichwertig einzustufen sind. Ich sehe keine juristische Grundlage für ein Verbot der Stolpersteine", argumentiert Hartung. Die Stadt dürfe schon wegen der im Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit niemandem vorschreiben, wie er gedenkt.

"It would be a lottery - es wäre eine Lotterie": So kommentierte Jordan im Sommer die Idee der schwarz-roten Stadtratsmehrheit, dass auch Gedenktafeln an Hauswänden erlaubt sein sollen - wenn es der jeweilige Eigentümer erlaube. Am ehemaligen Wohnhaus der Jordans in der Mauerkircherstraße 3 gibt es eine Gedenktafel: für Thomas Mann, der dort von 1910 bis 1914 lebte. Vor dem Haus hatten 2004 ein paar Wochen lang zwei Stolpersteine an Peter Jordans ermordete Eltern erinnert. Der frühere Oberbürgermeister Christian Ude ließ sie wieder herausreißen.

In anderen Gemeinden sind die Steine zugelassen

Den Stadtratsbeschluss von Ende Juli nennt Jordan "anerkennenswert": Immerhin bestätige er das Recht auf individuelle Formen der Erinnerung. "Leider wird in diesem Beschluss aber das Verbot der Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund nicht aufgehoben, und das, obwohl Bodendenkmäler längst Bestandteil der Münchner Erinnerungskultur sind", schreibt Jordan und zählt entsprechende Beispiele aus München auf: das Denkmal für die Weiße Rose vor der Uni, die Metallplatte zum Gedenken an Kurt Eisner, den 1919 ermordeten jüdischen Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, an der Kardinal-Faulhaber-Straße, oder das geplante Denkmal für verfolgte und ermordete Lesben und Schwule am Oberanger. Außerdem, von Jordan nicht erwähnt, erinnert auch an den im Konzentrationslager Dachau ermordeten Hitler-Attentäter Georg Elser ein Bodendenkmal am Gasteig.

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Was "in 1000 anderen deutschen Städten und Gemeinden angemessen und rechtmäßig ist", könne in München nicht rechtswidrig sein, argumentiert Jordan. Und was für das Gedenken an bekannte Opfer der Nazidiktatur gelte, müsse auch für die persönliche Gedenkform der Stolpersteine gelten. Jordan: "Ich appelliere an die Stadt, das Grundgesetz zu respektieren."

An der Klage beteiligen sich laut der Münchner Stolperstein-Initiative neben Jordan derzeit Thomas Nowotny aus Stephanskirchen, Christof Eberstadt aus Erlangen und Steven Bechhofer aus München; weitere Opferfamilien wollen sich anschließen. Die Klage soll am Mittwoch vorgestellt werden. An diesem Tag vor 74 Jahren wurde bei Kaunas in Litauen das jüdische Kunsthändlerehepaar Paula und Siegfried Jordan aus München erschossen.

© SZ vom 24.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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