Debatte um Stolpersteine in München:"Nichts aufwühlen, nicht stören"

Peter Jordan (re) und Künstler Gunter Demnig mit Stolpersteinen in der Mauerkircherstraße, 2004

Vor zehn Jahren traf sich Peter Jordan mit Gunter Demnig, als dieser Stolpersteine zur Erinnerung an Jordans Eltern verlegt.

(Foto: Catherina Hess)

Peter Jordan entkam den Nazis, seine Eltern wurden ermordet. Nun ist er bei der Anhörung zu den umstrittenen Stolpersteinen im Münchner Rathaus unter den Zuhörern. Er ist tief enttäuscht, denn die Gedenkplaketten für seine Familie ließ die Stadt vor zehn Jahren entfernen.

Von Martin Bernstein

Vor 75 Jahren ist Peter Jordan geflohen - aus der Stadt, in der er geboren worden war, aus dem Haus in der Mauerkircherstraße 13, in dem er aufgewachsen war. Peter Jordan kam mit Hilfe von Verwandten nach London. Seine Eltern sah er nie wieder: Am 25. November 1941 wurde das jüdische Kunsthändlerehepaar Paula und Siegfried Jordan bei Kaunas in Litauen erschossen. Doch anders als an Thomas Mann, der von 1910 bis 1914 in dem Haus lebte und dort seine Novelle "Tod in Venedig" schrieb, erinnert an die Familie Jordan keine Gedenktafel. Im Mai und Juni 2004 war das drei Wochen lang anders. Und deswegen ist Peter Jordan heute hier.

91 Jahre alt ist der Architekt inzwischen. Er war dabei, als der Künstler Gunter Demnig im Frühjahr 2004 vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Jordan in Bogenhausen zwei Stolpersteine ins Pflaster setzte. Zwei Metallplaketten mit den Namen von Siegfried Fritz Jordan und Paula Jordan, geborene Frank. Darunter ihre Geburtsdaten, das Jahr ihrer Deportation, der Tag ihrer Ermordung. Schülerinnen und Schüler des Luisengymnasiums hatten die Aktion angestoßen. Die ersten Stolpersteine in München, verlegt auf einem öffentlichen Gehsteig, aber ohne Billigung der Stadt. Einer der wichtigsten Tage seines Lebens sei das gewesen, wird Peter Jordan später sagen. Und noch heute, nach Jahren der Enttäuschung, erinnert er sich voller Dankbarkeit an "die jungen Leute, die sich mit der Vergangenheit beschäftigten".

Die Stolpersteine mussten weg, Peter Jordan wurde nicht einmal informiert

Die Stadt München, damals regiert von Oberbürgermeister Christian Ude, kündigte bereits Stunden nach der Aktion "Konsequenzen" an. Die sollten nicht lange auf sich warten lassen: Drei Wochen später entschied der Stadtrat mit großer Mehrheit, dass Stolpersteine in München nicht auf öffentlichem Grund verlegt werden dürfen. Und noch am Tag der Stadtratssitzung wurden die Erinnungsmale für Siegfried und Paula Jordan ausgegraben und auf den jüdischen Friedhof gebracht. Peter Jordan in England wurde nicht einmal informiert.

Stolpersteine

Peter Jordan in der Stadt, aus der er vor 75 Jahren fliehen musste: Mit Ehefrau Dorothy vor seinem früheren Elternhaus in der Mauerkircherstraße.

(Foto: Florian Peljak)

Zehn Jahre später sitzt die Enttäuschung bei ihm tief: darüber, dass es ein sozialdemokratischer Politiker war, der die Beseitigung der Denkmäler zu verantworten hat; darüber, dass es für die Stadt offenbar bequemer sei, wenn nicht öffentlich an die Vergangenheit erinnert werde; und darüber, dass es "in München jüdische Leute gibt, die das auch nicht haben wollten". Damit meint Jordan Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, bis heute eine entschiedene Gegnerin der Stolpersteine.

"Es ist eine Gefühlssache"

Gemütlich und bequem hätten die Verantwortlichen in Rathaus und Kultusgemeinde die Stadt haben wollen, das denkt Jordan, wenn er sich erinnert. "Nichts aufwühlen, nicht stören." Und das Argument, mit Gedenkplatten im Pflaster würden die Opfer ein zweites Mal mit Füßen getreten? "Füße sind dazu da, um mit ihnen zu gehen", sagt Peter Jordan. Nein, das seien nur Ausreden. Argumente, glaubt der 91-Jährige, sind künstlich. Das gelte sowohl für die Gegner wie für die Befürworter der Stolpersteine: "Für mich bestehen keine Argumente. Es ist eine Gefühlssache."

Die beiden Stolpersteine mit den Namen der Jordans sind gerade im Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik. Dort werden sie bis 6. April gezeigt in einer Ausstellung zur Erinnerungskultur. Und danach? Sollen sie zurückkehren in die Stadt, aus der Peter Jordan vor mehr als 75 Jahren verjagt wurde und die er doch immer wieder besucht? Zurück in den Gehsteig, aus dem sie vor zehn Jahren eiligst ausgegraben wurden? "Ja", sagt Peter Jordan, "das würde ich mir wünschen." Bei der Anhörung im Stadtrat an diesem Freitag wird er dabei sein. Als Zuhörer, während andere entscheiden, welche Form der Erinnerung an Paula und Siegfried Jordan die für München angemessene ist.

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