Obdachlosenberatung in Neufahrn:"Der Wohnungsmarkt wird immer enger"

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Zu Felizitas Schmitz von der Obdachlosenberatung in Neufahrn kommen auch Familien mit gesichertem Einkommen. (Foto: Marco Einfeldt)

Felizitas Schmitz kümmert sich insbesondere um Familien, die ihre Wohnung verloren haben. Weil immer mehr Menschen aus Osteuropa kommen, fällt die Verständigung oft sehr schwer.

Interview von Florian Beck, Neufahrn

Die Mieten steigen auch im Landkreis Freising seit Jahren. Besonders dramatisch ist die Lage in Neufahrn. Dort kümmert sich Felizitas Schmitz um Betroffene und bietet Beratungen an.

SZ: Was genau macht Ihre Stelle als Obdachlosenberaterin aus?

Felizitas Schmitz: Meine Stelle ist tatsächlich etwas ungewöhnlich, da Gemeinden sie nicht verpflichtend besetzen müssen. Die Obdachlosenunterbringung, die verpflichtend ist, wird vom Ordnungsamt organisiert. In Neufahrn hat man festgestellt, dass das Ordnungsamt das alles gar nicht leisten kann. Es fehlte jemand, der die Betroffenen unterstützt, damit sie vielleicht auch irgendwann wieder rauskommen aus den Notunterkünften. Und da kommen mein Kollege und ich ins Spiel.

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Das heißt, Sie organisieren quasi weniger die Vermittlung der Leute in die Notunterkünfte, sondern helfen ihnen eher dabei, wieder rauszukommen?

Genau. Am besten ist es aber, wenn Betroffene zu uns kommen, noch bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, also gleich, wenn sie merken, dass sie Probleme mit dem Vermieter haben, spätestens sobald bei ihnen die Kündigung auf dem Tisch liegt und nicht erst, wenn sie eine Räumungsklage am Hals haben. Wir kümmern uns nämlich weniger um die klassischen Obdachlosen, die man von der Straße einsammeln müsste, sondern eher um Leute, die ihre Wohnung in Neufahrn verlieren. Dazu arbeiten wir außerdem mit der Freisinger Diakonie und ihrer Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit zusammen. Wenn trotz aller Unterstützung die Obdachlosigkeit nicht abgewendet werden kann und die Leute schließlich bei uns in den Notunterkünften landen, fangen wir beim Kleinen an, sei es eine Decke oder etwas zu Essen. Wenn diese Grundbedürfnisse befriedigt sind, dann schauen wir, wie es mit den Finanzen der Personen ausschaut, ob sie einen Beruf haben, wie es um ihre Krankenversicherung steht, ob sie ein Suchtproblem haben und so weiter. Der nächste Aufgabenbereich, der übrigens zunimmt, ist, dass wir mit denen, die unsere Notunterkunft in eine Miet- oder Sozialwohnung verlassen konnten, versuchen zu verhindern, dass sie eventuell wieder in eine Krise geraten und ihre Wohnung erneut verlieren.

Gibt es viele, die schnell wieder aus der Notunterkunft rauskommen oder ist das eher eine Abwärtsspirale?

Grundsätzlich wird der Wohnungsmarkt immer enger. Viele, die unsere Unterkünfte verlassen, gehen nicht in eine normale Wohnung, sondern sie ziehen, weil wir ihnen halt doch nur einen Container bieten können, lieber wieder in eine prekäre Wohnsituation. Das geht noch bei Einzelpersonen, ganz schwer ist es aber bei Familien mit vielen Kindern, bei denen die Eltern zwar arbeiten, die aber nun mal nicht das größte Einkommen haben. Es ist einfach nicht richtig, dass Kinder in einem Container aufwachsen. Oft sind es aber gerade diese Familien, die am längsten bleiben müssen. Das einzige, was dagegen wirklich helfen würde, wäre kontinuierlicher sozialer Wohnungsbau, den haben wir aber nicht. Die Gemeinde Neufahrn selbst hat allerdings letztes Jahr 15 Kommunalwohnungen fertiggestellt. Mein Kollege und ich durften an den Vergaberichtlinien mitarbeiten und deshalb ist es uns gelungen, fünf Familien, die schon lange in unserer Notunterkunft gelebt haben und in der Lage waren, die Miete zu zahlen, in diesen Kommunalwohnungen unterbringen. Insgesamt waren da 14 Kinder dabei.

Trifft Obdachlosigkeit denn oft Familien?

Früher war der klassische Obdachlose ein alleinstehender Mann mit Suchterkrankung. Der Wohnungsmarkt hat damals hergegeben, dass die Leute, die gearbeitet haben, auch wenn sie vielleicht nicht ganz so viel verdient haben, doch irgendwo eine Wohnung gefunden haben. Allein in den sechs Jahren, die ich nun hier in Neufahrn bin, hat sich das massiv geändert. Die Alleinstehenden gibt es schon auch noch, aber wir haben immer mehr Familien, denen teils nur wegen Eigenbedarf gekündigt wurden. Die haben weder Mietschulden noch sonst irgendwas falsch gemacht, aber sie finden einfach nach dem Verlust der Wohnung nichts Neues mehr. Und, was auch dazu gekommen ist: Aufgrund der EU-Freizügigkeit finden viele Menschen von Außerhalb hier Arbeit, die für den Anfang erst mal irgendwo bei Freunden oder Bekannten wohnen. Das geht dann aber irgendwann nicht mehr gut und am Ende müssen viele dieser Personen auch durch uns untergebracht werden. Uns macht es die Arbeit etwas schwieriger, dass wir sie oft sprachlich nicht verstehen. Früher sind auch schon viele Menschen mit Migrationshintergrund zu uns gekommen, die waren aber vor allem türkischsprachig. Türkisch kann ich, mein Kollege auch, das hilft zwar bei Bulgaren oder Griechen manchmal noch weiter, aber eigentlich müssten wir auch Rumänisch und Ungarisch lernen. Wir können uns teilweise mit den Menschen, die wir beraten, nicht verständigen.

Was macht man dann da?

Wir schauen immer, ob es hier im Haus jemanden gibt, der diese Sprache spricht. Das Rathaus ist groß und die Gemeindeverwaltung ist noch größer. Wenn die Klienten einverstanden sind, finden wir so manchmal jemanden, der übersetzt. Sonst schauen wir, dass die Leute selbst jemanden mitbringen. Wir helfen aber auch Leuten, mit denen wir uns nur mit Händen und Füßen verständigen können. Da muss man dann halt kreativ sein.

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Könnte Obdachlosigkeit jeden treffen? Wenn ich beispielsweise von Heute auf Morgen aus meiner Wohnung fliege...

Sie wird es wahrscheinlich nicht treffen und mich auch eher nicht, weil wir nämlich einen familiären Rückhalt hier haben. Grundsätzlich kann es aber schon jeden treffen. Die meisten, die bei uns landen, sind sogar berufstätig. Aber wenn zum Beispiel ich meine Wohnung verlieren würde, dann würde ich erst mal wieder bei meinen Eltern oder meinem Bruder einziehen. Wenn du diese Möglichkeit aber nicht hast, dann wird es eng.

Man liest ja oft, dass die Obdachlosenzahlen stetig steigen. Wie schlimm ist die Situation in Neufahrn?

Unsere Zahlen sind nur eine Momentaufnahme. Grundsätzlich ist es so, dass wir überrascht sind, wie entspannt es dieses Jahr im Vergleich zu den Vorjahren noch ist. Es ist das erste Mal, seit ich hier bin, dass die Unterbringungszahlen nicht ständig steigen. An was das liegt, kann ich nicht genau sagen. Ich glaube, das ist zum Teil Zufall, zum Teil wirkt aber auch unsere Vermeidungsarbeit. An sich haben wir aber trotzdem einen kontinuierlichen Anstieg, der sich nur auflösen lässt, wenn der soziale Wohnungsbau vorangetrieben wird.

Berühren Sie die Schicksale, mit denen Sie zu tun haben?

Wenn einen das nicht berühren würde, müsste man meiner Meinung nach hier aufhören. Wenn es einen zu sehr belastet, müsste man aber eigentlich auch aufhören. Ich würde sagen, mich berührt es oft, mich belastet es aber Gott sei dank nur manchmal. Was mir wirklich nahe gegangen ist, war der Tod einiger unserer Bewohner, die bereits vorher krank waren. Den Gedanken, dass die letzte Station eines Menschen so ein Obdachlosencontainer ist, finde ich schlimm.

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