Moosburg feiert Geschichte:Arbeit und eine neue Heimat

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Viele Türken und Türkinnen sind in Deutschland geblieben, nachdem sie in den 1960er Jahren als benötigte Arbeitskräfte gekommen waren. (Foto: dpa)

Viele Türken und Türkinnen sind in Deutschland geblieben, nachdem sie in den 1960er Jahren als benötigte Arbeitskräfte gekommen waren. Moosburg erinnert an den 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens und stellt Biografien von Menschen vor, die hier heimisch wurden.

Von Alexander Kappen, Moosburg

Aufgrund des starken wirtschaftlichen Aufschwungs in der Bundesrepublik herrschte dort von Mitte der 1950er Jahre an in einigen Branchen ein Arbeitskräftemangel. Etwa in der Landwirtschaft oder dem Baugewerbe. Durch das Anwerbeabkommen mit der Türkei, das am 30. Oktober 1961 unterzeichnet wurde, sollte Abhilfe geschaffen werden. Auch der Großvater von Orhan Söhmelioglu kam in den 60er Jahren nach Deutschland, um bei einer Firma in Herrsching am Bau zu arbeiten. Später nahm er eine Stelle bei einem Automobilhersteller an und zog nach Moosburg, wo er viele Freunde hatte.

Sein Großvater ging zurück, die Eltern von Orhan Söhmelioglu blieben in Moosburg

Wie rund 500 000 der insgesamt 867 000 türkischen Gastarbeiter, die bis zum Anwerbestopp im Jahr 1973 nach Deutschland kamen, kehrte auch Söhmelioglus Opa mit seiner Frau und den vier Töchtern Ende der 1980er Jahre in die Türkei zurück. Die fünf Söhne und ihre Familien blieben. Darunter auch Orhan Söhmelioglu, der heute erfolgreicher Geschäftsmann ist und mit seinen Partnern Sabahattin Inceklan und Volkan Akoglu am 6. und 7. November mit einer Veranstaltung in der Moosburger Stadthalle unter dem Titel "Wir feiern Geschichte" den 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens begehen wird.

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Die drei Geschäftsmänner betreiben im Raum Moosburg und Landshut insgesamt 14 Unternehmen, verdienen ihr Geld etwa mit Immobilien, Lebensmittelverpackungen für die Gastronomie und Mund-Nasen-Masken. Unter den in Deutschland lebenden Nachkommen der ersten Gastarbeiter-Generation "gibt es aber auch Apotheker oder Ärzte", sagt Söhmelioglu, "man sieht: Die Leute sind angekommen". Auch wenn das nicht immer ganz leicht war.

Für die weiterführende Schule musste er eine Aufnahmeprüfung bestehen

Von der ersten bis zur vierten Grundschulklasse, erinnert sich Söhmelioglu, 41, "bin ich noch in einer reinen Türkenklasse gewesen und musste dann beim Übertritt in die fünfte Klasse eine Aufnahmeprüfung machen, damit ich in der Hauptschule in eine deutsche Klasse gehen konnte". Viele seiner Freunde seien erst beim Übergang von der achten in die neunte Jahrgangsstufe dazugestoßen, als die türkischen Klassen aufgelöst wurden. "Aus uns ist doch noch was geworden", sagt Söhmelioglu, der seinen Weg gemacht hat.

So wie seine Eltern, die in Moosburg einst gemeinsam einen Obst- und Gemüseladen betrieben haben, nachdem der Vater - neben seinem Job als Angestellter bei der Firma Nau - zuvor mit einem Bruder einen Videoladen mit türkischen Filmen geführt hatte. Der Vormarsch der Satellitenschüssel machte eine solche Videothek dann aber überflüssig. Sein Vater, so erinnert er sich, habe regelmäßig gesagt: "Ein paar Jahre arbeiten wir noch, dann gehen wir zurück in die Türkei." Er ist immer noch da.

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"Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen!"

Solche und ähnliche Geschichten wird man auch in der Stadthalle am Samstag und Sonntag, 6. und 7. November, hören, wenn unter anderem Gastarbeiter der ersten Stunde ihre Erlebnisse schildern werden. Auf dem Veranstaltungsflyer wird Max Frisch mit dem Spruch zitiert: "Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen!" Und diese Menschen kann man bei der Jubiläumsfeier kennenlernen. Etwa bei einem Plausch in einer eigens eingerichteten Couch-Ecke aus den 70er Jahren mit Teppich, Kissen und allem Drum und Dran im Stil der damaligen Zeit. Aber auch bei der großen Ausstellung "60 Jahre Almanya" mit Hunderten historischen Bildern. Nicht von irgendwo her, "sondern von Menschen aus unserer Umgebung, aus Moosburg, Landshut oder Erding", betont Söhmelioglu, "die Bilder sind aus Familienalben, aus denen wir Fotos scannen dürfen und dann Collagen draus machen".

An den Seiten der Halle werden zwei Monitore aufgestellt, an denen man mit Einwegkopfhörer Dokumentarfilme zum Thema anschauen kann. Zu sehen sein werden auch ein türkisches Auto aus den Siebzigerjahren sowie ein Mercedes "Strich-Acht", das Auto, "das sich viele Gastarbeiter von ihrem hart erarbeiteten Geld gekauft und damit den Urlaub in die damalige Heimat angetreten haben", sagt Orhan Söhmelioglu.

Çağdaş Eren Yüksel, Regisseur des Films "Gleis 11", wird zu Gast sein

Auf der Bühne gibt es an beiden Tagen ein abwechslungsreiches Musikprogramm mit türkischen, italienischen, englischen und auch bayerischen Beiträgen. Mit dabei sind Halit, K.rina, Yaren Celim, Silvana Torretta, Sauglocknläutn und das Lavinya Esemble. Für den kulinarischen Teil ist das Team der Mevlana-Camii-Moschee verantwortlich, das die Gäste an beiden Tagen mit einem Büffet versorgt. Am Sonntagabend stehen neben weiteren Referenten die Reden der Politprominenz auf dem Programm, die Söhmelioglu für die Veranstaltung gewinnen konnte. Etwa den türkischen Generalkonsul Mehmet Günay und den CSU-Bundestagsabgeordneten und Parteifreund Söhmelioglus, Erich Irlstorfer.

Besonderes Highlight wird der Besuch von Çağdaş Eren Yüksel, Regisseur des Films "Gleis 11", sein, der sich mit der ersten Generation der Gastarbeiter befasst und am Samstag, 19 Uhr, in voller Länge und am Sonntag, 19.30 Uhr, in gekürzter Form in der Moosburger Stadthalle gezeigt wird.

Die Veranstaltung "Wir feiern Geschichte" in der Moosburger Stadthalle öffnet seine Pforten am Samstag und Sonntag, 6. und 7. November, jeweils um zehn Uhr. Es gilt die 3-G-Regel. Kostenlose Coronatests werden vor der Halle angeboten. Für das Abendprogramm am Sonntag wird um eine Anmeldung gebeten. Alle Informationen und die Anmeldedaten gibt es auf Facebook unter www.facebook.com/Swsschuler.

© SZ vom 26.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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