Was Studierenden in Erinnerung bleibt:"High Heels länger und öfter tragen"

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Wenn Heiko Briesen die Geometrie von Kraftangriffen anschaulich erklären will, zieht er schon mal hochhackige Schuhe an, die Studierende für ihn aufgetrieben haben. Der 49-Jährige leitet den Lehrstuhl für Systemverfahrenstechnik an der TU München in Weihenstephan und hat jetzt den "Preis für gute Lehre" erhalten.

Interview von Petra Schnirch, Freising

Sieben Hochschullehrerinnen und acht Hochschullehrer an bayerischen Universitäten haben vor kurzem den "Preis für gute Lehre" erhalten. Damit honoriert das Wissenschaftsministerium deren Engagement für die Studierenden. Einer der Preisträger ist Professor Heiko Briesen, 49, der in Weihenstephan den Lehrstuhl für Systemverfahrenstechnik an der TU München leitet. Die SZ Freising sprach mit ihm per Video-Schaltung darüber, was ihm in der Lehre wichtig ist.

SZ: Sie sind gerade ausgezeichnet worden. Was macht eine gute Lehre aus, ist da ein gewisses Showtalent von Vorteil?

Heiko Briesen: Das kann sein, ich weiß nicht, ob ich das besitze. Ich beantworte die Frage eher mit Rückmeldungen der Studierenden - man bekommt ja regelmäßig Lehrbewertungen. Sie heben hervor, dass bei mir mit kreativen Beispielen gearbeitet werde, die unerwartet sind und zum Nachdenken anregen, dass die Vorlesungen humorvoll und lebendig seien. Es kam auch immer wieder, dass ich ein sehr hohes Interesse am Lernerfolg der Studierenden zeige. Ich halte das ja im Prinzip für selbstverständlich, aber offenbar gelingt dies nicht allen, wenn das so betont wird.

Wie zeigt sich das besondere Interesse an den Studierenden?

Ich versuche, nicht nur reine Wissensvermittlung zu machen, sondern ich will bei den Leuten ein kritisches Hinterfragen provozieren: Was haben wir daraus gelernt? Wie bauen Sie das in Ihr Ingenieurweltbild ein? Es geht also nicht nur um Faktenwissen, sondern auch darum, Kompetenzen zu vermitteln.

Ausgezeichnet für kreative Lehre: Professor Heiko Briesen, 49, der in Weihenstephan den Lehrstuhl für Systemverfahrenstechnik an der TU München leitet. (Foto: Marco Einfeldt)

Sie lehren ein nüchternes Fachgebiet, unterstelle ich mal, wie lassen sich da kreative Beispiele einflechten?

Das weiß ich nicht, ob das so nüchtern ist. Der Ingenieurberuf ist ja per Definition schon ein kreativer. Da herrscht ein falsches Bild in der Öffentlichkeit vor. Eine der Vorlesungen, die ich halte, ist Technische Mechanik. Letztlich ist die Mechanik etwas, was uns im alltäglichen Leben komplett umgibt, da kann man natürlich sehr viele Dinge herausgreifen. Ich kann ein paar ganz lustige Beispiele nennen. "High Heels länger und öfter tragen" oder "Bruce Willis als Weltretter" - das waren die Antworten der Studierenden in den Lehr-Evaluationen bei der Frage, was sie am spannendsten fanden und mitgenommen haben. Dahinter verbirgt sich natürlich immer eine Geschichte. Das mit den High Heels hat den Hintergrund, dass man an dem Tragen von hohen Schuhen wunderbar die Geometrie von Kraftangriffen zeigen kann.

Aha.

Dass also, wie die Damenwelt sicher weiß, die Belastung auf dem Vorderfuß immer weiter ansteigt, je höher die Schuhe werden. Zur Einführung erzähle ich, was für einen volkswirtschaftlichen Schaden das Tragen von hochhackigen Schuhen weltweit auslöst, zum Beispiel eine irrsinnige Zahl von Fußoperationen. An dieser Stelle fällt mir dann immer auf, dass das klassisches Mansplaining ist, was ich da mache ( lacht). Deshalb habe ich mal angeboten, einen Teil der Vorlesung in High Heels zu halten, um die Erfahrung zumindest ein bisschen nachvollziehen zu können - Voraussetzung war, dass es den Studierenden gelingt, Schuhe in meiner Größe zu finden.

Und? Hat es geklappt?

Ich bin gleich wieder da ( verschwindet kurz vom Bildschirm). Das führte dann dazu, dass ich diese wunderbaren Schuhe bekommen habe, ich habe inzwischen zwei Paar ( hält sehr farbenfrohe und sehr hohe Stöckelschuhe ins Bild). Peinlichkeitsmäßig war meine Sorge nicht so groß. Meine größte Sorge war eher, wenn ich jetzt umknicke, wie erkläre ich das der Hochschulverwaltung als Betriebsunfall?

Wie war die Erfahrung?

Spannend, es ist ein sehr ungewohntes Gehen. Mir reichen diese zehn Minuten locker aus, um nachvollziehen zu können, dass das orthopädisch nicht besonders attraktiv ist.

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Hat es Sie gefreut, dass Sie für Ihre doch sehr kreative Lehre ausgezeichnet werden?

Das ist natürlich eine besondere Ehre. Der Vorschlag kommt ja von den Studierenden. Das ist ein Lob, eine sehr hohe Anerkennung von dieser Seite.

Wie ist das in Universitätskreisen? Veröffentlichungen der Wissenschaftler zählen ja sehr viel. Wird die Lehre hoch genug bewertet?

Die Frage taucht immer wieder auf. Es ist schon so, dass sich die meisten Kollegen immer noch einem Humboldtschen Bildungsideal verpflichtet fühlen, der Einheit von Forschung und Lehre. Für die Berufung an eine deutsche Hochschule ist sicher die Forschungsleistung die conditio sine qua non, ohne die wird es nicht gehen. Man muss ein guter Wissenschaftler sein, um an einer Hochschule zu landen, aber man muss nicht zwingend ein sensationeller Didaktiker sein. Trotzdem weiß ich von einer Vielzahl der Kollegen, dass sie die Lehre sehr ernst nehmen.

Wegen der Corona-Pandemie findet seit Monaten fast alles digital statt. Wie war die Umstellung für Sie?

Das ist ein Riesenumbruch gewesen. Wenn man uns vor einem Jahr erzählt hätte, dass die Hochschule es leisten soll, innerhalb von ein paar Wochen auf Online-Lehre umzustellen, hätte man jedem den Vogel gezeigt. Durch eine Riesen-Gemeinschaftsanstrengung hat es tatsächlich funktioniert. Ich hatte relativ viel Glück, weil ich meine Vorlesungen praktisch schon immer aufgezeichnet habe zum Nacharbeiten für die Studierenden. Ich habe dann an einigen Stellen nachpoliert, mein privates Youtube-Studio aufgebaut und digitaltechnisch ein bisschen aufgerüstet - ich mach mal kurz einen Schwenk, damit Sie mein aktuelles Büro sehen ( dreht die Kamera kurz zu einer grünen Wand). Das sieht eher nach einem Fernsehstudio aus mit Greenscreen, Dreipunktbeleuchtung und halbwegs guter Kamera.

Fehlt Ihnen der Kontakt zu den Studierenden?

Absolut. Ich glaube, es gab und gibt bei ganz vielen Ups und Downs. Mal hat man das Gefühl, das mit dem Home-Office ist ja gar nicht so schlecht. Dann kommen wieder Phasen, wo es schon nervt, dass man niemanden sieht. Bei der Lehre habe ich auch gemerkt, dass einem die Bühne fehlt, im ganz klassischen Sinne sozusagen. Es ist natürlich leichter, wenn ich einer Gruppe in die Augen schauen kann - und zu reagieren, wenn ich große Fragezeichen sehe. Das alles fällt im Online-Unterricht weg.

Was sollte davon bleiben nach der Corona-Krise?

Ich glaube, wir werden in Zukunft auf einen viel stärkeren Mix von Lehrformen zusteuern. Ich hatte bisher die Lehraufzeichnungen eher als Back-up, ich werde jetzt dazu übergehen, das viel expliziter als Lehrmaterial einzusetzen. Diesen Teil erzähle ich dann nicht mehr in der Vorlesung. Monologisierende Wissensblöcke in Präsenz machen heute keinen Sinn mehr mit dieser Digitalisierungserfahrung. Die Zeit, die man miteinander verbringt, kann man wesentlich effizienter nutzen. Die Interaktion, die Diskussion kann viel mehr Raum erhalten.

Wir haben jetzt viel über die Lehre gesprochen, an was arbeiten Sie gerade wissenschaftlich?

Das ist nicht ganz einfach zu erklären. Die Systemverfahrenstechnik ist eine Methodenwissenschaft, uns geht es vor allem darum, mit welchen Werkzeugen wir forschen. Das sind bei uns überwiegend mathematische Modelle, mit denen wir Prozesse beschreiben. Da gibt es eine ganz große Bandbreite. Ein Schwerpunkt ist beispielsweise die Durchströmung von porösen Medien, das hört sich erst einmal sehr hochgestochen an. Das ist zum Beispiel Ihr Filterkaffee zu Hause. Wenn Ihr Wasser durch das Kaffeepad läuft, ist das im Prinzip eine Durchströmung von Wasser durch eine Partikelpackung, währenddessen werden Aromastoffe herausgelöst. Um diesen Prozess hinsichtlich der Verbrauchererwartungen und der Ressourceneffizienz zu beschreiben, zu optimieren, benutzen wir mathematische Modelle.

Ist die Lehre für Sie ein guter Kontrast zu den etwas verkopft klingenden Berechnungen?

Na ja, es sind ja auch die verkopften Sachen, die ich in der Lehre vermittle (lacht). Für mich sind diese Modelle sehr nachvollziehbare, anschauliche Dinge. Es kommt darauf an, wie man tickt, ich finde das gar nicht so abstrakt.

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