Kreuze am Straßenrand:Orte der Trauer und der Hoffnung

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Dieses Kreuz an einem Baum am Rand der B 301 kurz vor Reichertshausen erinnert an einen verunglückten Menschen. (Foto: Marco Einfeldt)

Jemand verabschiedet sich am Morgen von seiner Familie und kehrt am Abend nicht mehr zurück. Auch im Landkreis Freising erinnern Straßenkreuze an die Opfer von Verkehrsunfällen. Für die Hinterbliebenen sind sie wichtig, die Behörden aber müssen vor einer Genehmigung Sicherheitsfragen klären.

Von Peter Becker, Freising

Straßenkreuze sind stille Orte der Trauer. Manche Autofahrer nehmen sie gar nicht wahr, rasen einfach vorbei. Andere halten vielleicht einen Augenblick inne. Denn Straßenkreuze erinnern daran, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Jemand verabschiedet sich am Morgen von seiner Familie und kehrt am Abend nicht mehr von der Arbeit zurück. Ein kurzer Augenblick der Unaufmerksamkeit, weil das Mobiltelefon läutet, oder ein Raser, der andere Verkehrsteilnehmer durch seine Rücksichtslosigkeit in Gefahr bringt, und schon ist ein tödlicher Unfall passiert. An die Verstorbenen erinnern dann die Kreuze am Straßenrand - die Pfarrer Stephan Rauscher gleichwohl nicht als Todeszeichen verstanden wissen will. "Gott hat den Tod vernichtet", sagt er aus seelsorgerischer Sicht.

Straßenkreuze, Feldkreuze, Wegkreuze oder Marterl wie sie in Bayern genannt werden, sind spätestens seit dem Mittelalter bekannt. Historisch kennzeichnen sie Orte, an denen ein Mensch bei einem Unfall oder durch Gewalt gestorben ist, ohne die Sterbesakramente empfangen zu haben. Dann waren die Kreuze eine Aufforderung an Passanten, für das Seelenheil des Verstorbenen zu beten. Von Votivtafeln unterscheidet die Straßenkreuze, dass bei ersteren jemand etwa bei einer Krankheit um die Hilfe Gottes gebeten und zum Dank dafür ein Bild zu einer Wallfahrtsstätte getragen hat.

Dieser Kranz befindet sich als Gedenken neben der Staatsstraße 2350 am Ortsausgang von Freising. (Foto: Marco Einfeldt)

Meist stammen die Kreuze von Freunden oder Kollegen

Heutzutage erinnern Straßenkreuze zumeist an einen schweren Verkehrsunfall, bei dem ein Mensch gestorben ist. Laut Thomas Jakob, Sprecher des Staatlichen Bauamts, sind sie oft mit Namen und Datum versehen, mit einem Foto und einer Kerze. Manche werden an Jahrestagen, wie etwa dem Tag des Unglücks oder am Geburtstag des Verunglückten, mit Blumen geschmückt. Sie sind psychologisch gesehen ein wichtiger Ort der Trauerbewältigung für die Hinterbliebenen. "Meist stammen sie von Freunden oder Arbeitskollegen", sagt Jakob. Eltern oder enge Verwandte fragten seltener nach, ob sie an der Stelle des Unglücks ein Gedenkkreuz aufstellen dürfen.

Denn für das Aufstellen bedarf es einer Genehmigung durch die zuständige Behörde, es gilt, Sicherheitsfragen zu klären. Bei Land- und Bundesstraßen ist dies das Staatliche Bauamt, für die Kreisstraßen ist das Landratsamt und für die Ortsstraßen die entsprechende Gemeinde verantwortlich. Eine Nachfrage bei der Stadt Freising ergibt, dass man dort keine Standorte von Straßenkreuzen kennt. "Auch entsprechende Anfragen mussten glücklicherweise noch nie behandelt werden", teilt Irene Striegl von der Pressestelle der Stadt mit. Der Landkreis mit seinem etwa 260 Kilometer umfassenden Kreisstraßennetz ist schon eher betroffen.

Ein Straßenkreuz, das an der B301 bei Au steht. (Foto: Marco Einfeldt)

Es darf kein "Sicherheitsdefizit" entstehen

Hin und wieder werden entsprechende Anfragen von Bürgern ans Landratsamt herangetragen, aber bisher sehr selten", sagt Robert Stangl, Sprecher der Behörde. Andreas Kämper vom Tiefbauamt könne sich nur an zwei oder drei solcher Fälle in seiner Amtszeit erinnern. Mitarbeiter aus dem Tiefbauamt würden dann jeweils prüfen, ob das gewünschte Kreuz an der jeweiligen Stelle stehen darf. "Es darf kein Sicherheitsdefizit für die Verkehrsteilnehmer darstellen."

Diese Maxime gilt auch beim Staatlichen Bauamt. "Denn ein Straßenkreuz direkt am Straßenrand ist eine potenzielle Gefahrenquelle", gibt Jakob zu bedenken. Formaljuristisch handele es sich bei Straßenkreuzen um "eine Sondernutzung am Straßenrand". Deshalb müssten sie genehmigt werden. "In der Regel gestattet das Staatliche Bauamt die Gedenksymbole aus Pietätsgründen und aus Rücksicht gegenüber den Hinterbliebenen."

Nicht genehmigungsfähig sind massive Gedenkkreuze aus Metall, Stein oder mit einem festen Fundament. Da geht Sicherheit vor. Dieses Beispiel widerspricht den Normen nicht. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Straßenmeisterei in Marzling fährt im Idealfall nach entsprechender Anfrage los und besichtigt die fragliche Stelle. Denn die Straßenkreuze dürfen den Verkehr nicht behindern, Autofahrer nicht ablenken, keine Schilder verdecken und die Sicht nicht beeinträchtigen. "Aus Sicht des Staatlichen Bauamts spricht aber nichts gegen ein kleines Holzkreuz, das hinter einer Schutzplanke steht oder in sicherer Entfernung von der Straße", erklärt Jakob. Meist reichten zwei Meter Abstand von der Straße. Sei das nicht möglich, könne das Straßenkreuz auch an eine Stelle in der Nähe des Unglücksortes gerückt werden, wo es keine Gefahr darstellt. Die Seitenstreifen direkt neben der Straße gehörten meist einer Behörde. Sollte das nicht der Fall sein, müssen die Aufsteller des Kreuzes etwa einen Förster oder Landwirt um Erlaubnis bitten, ein Kreuz aufstellen zu dürfen, gibt der Sprecher des Bauamts zu bedenken.

Ein festes Fundament ist nicht erlaubt

Nicht genehmigungsfähig sind laut Jakob allerdings massive Gedenkkreuze aus Metall, Stein oder mit einem festen Fundament. Werde beispielsweise ein Radweg oder eine Straße dort verbreitert, wo solch ein Kreuz stehe, dann erhielten die Angehörigen Post vom Staatlichen Bauamt - soweit ihre Adressen dort bekannt sind. Sie werden dann gebeten, das Kreuz vorübergehend abzubauen oder zu versetzen. Ist der Aufsteller unbekannt, wird es laut Jakob eingelagert. Oder die Straßenmeisterei versetzt es so, dass es nicht beschädigt wird.

Gedenken an tödlich Verunglückte an der bergab Strecke von Wippenhausen nach Burghausen. (Foto: Marco Einfeldt)

Die meisten Kreuze im Landkreis Freising stehen entlang der viel befahrenen Bundes- und Staatsstraßen. Etwa an der ehemaligen Bundesstraße B 11 bei der Ortschaft Schmidhausen. Dort hatte ein Mädchen im März 2015 versucht, die Straße zu überqueren und war dabei von einem Auto erfasst worden. Viele Straßenkreuze gibt es an der Bundesstraße B 301. Auf der seinerzeit nicht ausgebauten, kurvenreichen Strecke haben einige junge Leute auf der Fahrt von oder zu den Diskotheken in Au oder Seysdorf ihr Leben lassen müssen.

Jüngeren Datums sind dagegen Straßenkreuze an der Abzweigung nach Aiglsdorf, dort war eine junge Autofahrerin gestorben, als ihr Wagen mit einem Fahrzeug zusammenstieß, das auf ihre Spur geraten war. Ihr Auto prallte gegen einen Baum. 2018 starb eine 44-Jährige zwischen Kratzerimbach und Haidhof nach einem Unfall, den eine 19-jährige Raserin verursacht hatte. Einige Straßenkreuze stehen auch an der Kreisstraße durch den Wippenhauser Forst nach Kirchdorf. Auf der mittlerweile berüchtigten Strecke haben bereits einige Motorradfahrer ihre Raserei mit dem Leben bezahlt.

Für Pfarrer Rauscher sind die Straßenkreuze ein Hinweis darauf, "dass dort etwas passiert ist". Das Kreuz dürfe man aber nicht als Todeszeichen sehen, sondern als Symbol dafür, dass "Gott den Tod vernichtet hat". Es solle ein Zeichen des Hoffens sein. Ob die Aufstellenden damit Religiosität verbinden, vermag Rauscher nicht zu sagen. Solche Kreuze erinnerten an die Endlichkeit des Lebens. "Der Tod kommt auf uns zu", sagt Rauscher. "Man erschrickt." Das manche auch die aktuelle Corona-Pandemie deutlich. Trotzdem dürften aber die Menschen das Leben genießen.

© SZ vom 11.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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