Antisemitismus in der Kunst:Von der Macht der Bilder

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Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, im Gespräch mit Museumsdirektor Christoph Kürzeder. (Foto: Johannes Simon)

Bei einer Veranstaltung in Freising spricht Charlotte Knobloch über den wachsenden Antisemitismus und zeigt sich bestürzt über die Beispiele, die ihr das Diözesanmuseum zum Thema des Abends präsentiert. Das wiederum wirft eine Frage auf: Wie geht man mit diffamierenden Kunstwerken um?

Von Francesca Polistina, Freising

Es gibt einen Punkt, den man nicht vergessen sollte, wenn man über Kunst spricht: ihre unterschiedliche Funktion im Laufe der Geschichte. Wird die bildende Kunst heute als Ausdruck von Gefühlen und Gedanken verstanden, so diente sie jahrhundertelang vor allem dazu, das analphabetische Volk zu unterhalten und zu belehren. Die Kunst hatte einen didaktischen Zweck, sie sollte eine Geschichte und eine Moral vermitteln und ihren Auftraggeber, der hierzulande meist die katholische Kirche war, zelebrieren.

Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Denn diese Vermittlungsfunktion der katholischen Kunst ging einher mit der Verbreitung von antisemitischen Stereotypen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Mit anderen Worten: Auch die Kunst hat einen Anteil daran, dass sich antisemitische Motive und Darstellungen durchgesetzt haben.

Dass sich das Museum der Erzdiözese München und Freising am Sonntag dieses heiklen Themas angenommen und zu einer Veranstaltung eingeladen hat, um über das Verhältnis von katholischer Kunst und Antisemitismus zu diskutieren, kann als Zeichen der Selbstkritik gewertet werden. Das Publikum selbst war an dem Thema sehr interessiert und erschien zahlreich, das Foyer des Museums war schnell überfüllt. Wohl auch, weil auf der Bühne neben Museumsdirektor Christoph Kürzeder ein bekannter Gast saß, der zum Thema Antisemitismus viel zu sagen hat: die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch.

Bei der Veranstaltung im Diözesanmuseum über Antisemitismus in der Kunst erschien das Publikum zahlreich. (Foto: Johannes Simon)

Knobloch, 91 Jahre alt, engagiert sich seit Jahrzehnten für die jüdische Gemeinschaft, sowohl in Bayern als auch bundesweit. Von 2006 bis 2010 war sie Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Mit Veranstaltungen zu jüdischem Leben und Antisemitismus hat sie also Erfahrung - dennoch zeigte sie sich verstört von dem, was der Museumsdirektor ihr präsentieren wollte.

Denn genau hier prallen zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite das Diözesanmuseum als Stimme der katholischen Kirche, das Offenheit verspricht und auf der großen Leinwand grausame und beleidigende Bilder zeigt, um eben diese Bilder, die überwiegend nicht aus der eigenen Sammlung stammen, einzuordnen und zu kritisieren. Dazu gehörten Bilder von antisemitischen Verschwörungstheorien und Legenden, abwertende Darstellungen von jüdischen Menschen oder solche, auf denen Juden mit dem gelben Ring, einem Vorläufer des Judensterns, gekennzeichnet wurden. Damit wollte Museumsdirektor Kürzeder zeigen, wie sehr die katholische Kunst dieses antisemitische Narrativ verinnerlicht hat und wie häufig der Zuschauer oder die Zuschauerin es übersieht.

Auf der anderen Seite Charlotte Knobloch als Stimme der jüdischen Gemeinde, die den Holocaust überlebt hat und die sich noch gut an die Nazi-Propaganda erinnern kann, die bekanntlich Stereotype aus der alten Kunst nutzte. "Ich brauche diese Bilder gar nicht zu sehen", betonte sie, denn das sei "Antisemitismus pur". Dann, nach dem langen Redebeitrag des Museumsdirektors und ohne ihre Erschütterung, ja sogar ihre Verstörtheit zu verbergen, sagte Knobloch: "Ich wundere mich sehr, dass diese Sachen hier gezeigt wurden". Man könnte hier hinzufügen: Gerade in diesen Zeiten.

"Man kann den Antisemitismus nicht bekämpfen, wenn antisemitische Bilder in der Öffentlichkeit zu sehen sind"

Um zu verstehen, warum das Museum der Erzdiözese zu einer solchen Veranstaltung einlädt, muss man den Kontext kennen. Seit der Wiedereröffnung vor anderthalb Jahren hat sich das Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg unter anderem als Ziel gesetzt, problematische Aspekte der katholischen Kunst zu hinterfragen. Im vergangenen Jahr fand zum Beispiel die Ausstellung "Verdammte Lust" statt, in der das schwierige Verhältnis zwischen Kirche, Körper und Sexualität im Fokus stand. Dass nun ein Thema wie der Judenhass in der Kunst analysiert wird, ist im Hinblick auf den wiederaufflammenden Antisemitismus nachvollziehbar und wurde von vielen Anwesenden begrüßt. Außerdem spielten einige der antisemitischen Legenden, wie der erfundene Ritualmord des Simon von Trient, ausgerechnet in der Osterzeit.

Die Frage ist aber: Ist eine Veranstaltung mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde der richtige Rahmen, um diffamierende, antisemitische Bilder exemplarisch zu zeigen und über sie zu diskutieren? Und generell - ein Thema, das derzeit viele Kuratorinnen und Kuratoren bundesweit beschäftigt: lieber verbergen oder lieber zeigen und kritisieren? Was ist wichtiger: die Kunst oder die gesellschaftliche Verantwortung? Die öffentliche Einordnung oder die Rücksicht gegenüber den Betroffenen?

Knobloch scheint dazu eine klare Meinung zu haben: "Man kann den Antisemitismus nicht bekämpfen, wenn antisemitische Bilder in der Öffentlichkeit zu sehen sind", sagte sie. Als Beispiel nannte sie die sogenannte Judensau am Regensburger Dom, eine deutliche Hassbotschaft, die zwar eine Erklärungstafel bekommen hat, aber auf Wunsch der Kirche nicht entfernt wurde. Kürzeder selbst räumte ein, dass er hin- und hergerissen gewesen sei, sich aber schließlich entschieden habe, die Bilder bei der Veranstaltung zu zeigen, denn das sei "Teil der katholischen Kirche" und man könne dies nicht leugnen. Er entschuldigte sich jedoch, falls er jemanden verletzt haben sollte.

"Jüdische Menschen haben für die Zukunft weiterzukämpfen"

Es ging bei der Veranstaltung in Freising aber nicht nur um die Macht der Bilder und den Judenhass in der alten Kunst, sondern auch um die Gegenwart. Auf die Frage, wie sie die Zeit nach dem 7. Oktober erlebt habe, antwortete Charlotte Knobloch mit einer Metapher: "Tiefe schwarze Wolken hängen über uns". Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel habe sie zunächst viele herzliche Zuschriften und Anteilnahme erlebt, das habe sich allerdings innerhalb einer Woche komplett geändert, sagte sie. Seitdem erlebt Knobloch das, was sie nicht gedacht hätte, dass es in dieser Dimension wieder auftritt. "Über Nacht kann die Welt anders aussehen", sagte sie mit großer Sorge.

Ferner appellierte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde an die Menschen, bei den nächsten Wahlen verantwortungsvoll zu wählen. "Es liegt nun in den Händen der Wähler", sagte sie. Wie schon oft in der Vergangenheit zeigte sich Knobloch sehr besorgt über das Erstarken der AfD, einer Partei, die aus ihrer Sicht eindeutig antisemitisch sei und Ausdrücke und Themen verwende, die an die dunkle Vergangenheit erinnern. Knobloch sagte, sie habe an den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus teilgenommen und sich vor allem über das Engagement der jüngeren Generationen gefreut.

Aber zurück zu den Bildern: Die letzten Monate zeigen, dass die antisemitischen Stereotype und Darstellungen keineswegs ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte sind. Auch Knobloch sieht es so: "Jüdische Menschen haben für die Zukunft weiterzukämpfen".

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