Kommentar zur allgemeinen Dienstpflicht:Das eigentliche Problem wird nur verdeckt

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Der Krieg in der Ukraine lässt die Debatte um eine Dienstpflicht lauter werden. Statt die Missstände am Ursprung zu bekämpfen, will die Politik die Last auf den Schultern junger Menschen abladen.

Von Charline Schreiber, Freising

Immer dann, wenn der Regierung ihre Nachlässigkeit vor die Füße gespült wird, nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine und während der Pandemie, wird die Frequenz der Diskussion um eine Wehr- und Dienstpflicht erhöht. Das ist absurd.

In den vergangenen zwei Pandemie-Jahren blieben die Hilferufe der jungen Menschen kollektiv ungehört. Sie wurden hinten angestellt, blieben ungesehen. Die Orientierungslosigkeit, die durch diese Ignoranz verstärkt wurde, nun für politische Versäumnisse zu instrumentalisieren, ist perfide.

Die junge Generation scheint hier als Flicken zu dienen, der das eigentliche Problem Jahr für Jahr verdecken soll. Ganz nach dem Motto: "Was ich nicht sehe, existiert nicht." Stattdessen sollte sich die Politik fragen, was die Wurzeln des Personalmangels in den fraglichen Berufen sind. Dabei wird sie unausweichlich auf schlechte Arbeitsverhältnisse stoßen, auf unterbezahlte Fachkräfte. Eine Dienstpflicht aber wird dieses Problem nicht lösen, sondern nur auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschieben. Forderungen der Gesellschaft für ein verpflichtendes Engagement der älteren Generation, etwa im Rentenalter, gibt es nicht. Das wirft die Frage auf, ob die Entscheidungsfreiheit eines jungen Menschen weniger wert ist als die eines alten.

Es steht außer Frage, dass der Dienst für die Gesellschaft für den Einzelnen bereichernd sein kann, unabhängig davon, ob dieser in der Bundeswehr oder in sozialen Berufen geleistet wird. Der Bundeswehr fehlt es aber in Wahrheit doch an gut ausgebildeten Soldaten, die das Militär im Krieg wirksam stützen. Unerfahrene Wehrdienstleistende werden dieses Defizit in keinem Fall auffangen können.

Bevor von einer Wehr- und Dienstpflicht gesprochen wird, sollte der Zugang zu freiwilligem sozialem Engagement gestärkt werden. Ob und wann ein frisch gebackener Abschlussschüler sich engagieren möchte, diese Entscheidung darf man dieser Generation nicht abnehmen. Die Einführung einer Dienstpflicht wird unweigerlich eine weitere Frage in der Debatte verschärfen, die durch die Klimakrise und Pandemie schon Patina ansetzt: Sind die Stimmen der jungen Generation der Gesellschaft egal?

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