Flohmärkte:Was soll das denn kosten?

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Der Flohmarkt auf der Theresienwiese lockt Zehntausende Jäger und Sammler an. (Foto: Stephan Rumpf)

Beim Flohmarkt wird gehandelt, getrickst und gefeilscht. Gewiefte Verkäufer treffen auf bluffende Kunden, Trödelprofis auf überforderte Anbieter. Eine Typologie.

Von F. Fuchs, F. Gerlach, G. Knoll, P. Ratzesberger und A. Schubert

Die einen wollen ihren Krempel für möglichst viel Geld loswerden, die anderen suchen günstigen Krimskrams. Auf Flohmärkten wie am Samstag auf der Theresienwiese trifft man immer wieder die gleichen Typen.

Der Bluffer

Er hat natürlich überhaupt kein Interesse, also wirklich gar keines. Der Blender war zwar schon mal da, um die kleine Taschenuhr zu begutachten, allerdings mit der gebotenen Distanz - vom Tisch nehmen würde er sie nicht. Der Bluffer will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass er interessiert wäre - und bewirkt dadurch meist das Gegenteil. Er sagt dann also erst einmal: "Hm, die Taschenuhr ist aber schon ziemlich verkratzt, dafür können Sie nicht mehr viel verlangen." Dann zieht er weiter.

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Bei jeder weiteren seiner Runden aber kann man beobachten, wie er immer wieder nach der Taschenuhr linst, schließlich tritt er dann doch noch einmal an den Tisch und fragt - ganz nebenbei natürlich - nach dem Preis. Da man den ungeschickten Bluffer schon lange enttarnt hat, setzt man selbstverständlich höher an - anders als beim geschickten Bluffer, der sein Interesse wirklich gut verborgen hat. Bei dem man erst versteht, wie viel man hätte verlangen können, wenn er sich nach der Übergabe zu seinen Freunden umdreht: "Mann ey, genau das habe ich schon ewig gesucht!"

Der Sparfuchs

Die Deutschen sind ein Volk von Sparfüchsen. Je billiger etwa ist, desto besser. Da pfeift man im Discounter schon mal auf Qualität und verdrängt, wo das Zeug, das man sich später auf den Teller lädt, eigentlich herkommt. Und weil viele Sparfüchse nicht nur gerne billig essen, sondern generell von der Idee überzeugt sind, man dürfe ja nicht zu viel Geld ausgeben, sind sie sehr häufig auf Flohmärkten zu finden. Man erkennt den Sparfuchs (Vulpes Alemannis pauper) an großen Ikea-Taschen, die sich mit den Stunden mehr und mehr mit sinnlosem Zeug füllen.

Aber er kann halt nicht anders. In den Urlaub zu fahren, wenn auf der Theresienwiese Flohmarkt ist, kommt für den Vulpes nicht in Frage, nicht einmal eine Discounter-Reise nach Ägypten oder in die Türkei kann ihn da locken. Richtig glücklich ist der Sparfuchs, wenn er im Freundeskreis von seinen Schnäppchen berichten kann und voller Stolz abgetragene Klamotten von anno Tobak vorführt. Das könnte er sich zwar sparen - aber da macht Vulpes Alemannis pauper schon mal eine Ausnahme.

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Der Spezialist

Bücher, Kleidung, Bilder, Schmuck? Interessiert ihn alles kein bisschen. Er arbeitet zielgerichtet und sondiert mit Kennerblick die Lage. Wer hat Schallplatten im Angebot? Und das sollen auch nicht irgendwelche sein, den ganzen Kitsch der Siebziger- und Achtzigerjahre kann er nicht gebrauchen. Aha, da zwischen den Kleiderständern steht eine Kiste mit LPs. Zuerst ein fachkundiger Blick auf jedes Cover, die stark ramponierten lässt er gleich einmal beiseite. Oh ja, das könnte eine Rarität sein, die er noch nicht in seiner Sammlung hat. Die schwarze Vinylscheibe raus aus dem Cover, das scheint der versprochene Inhalt.

Die nähere Prüfung ergibt, dass das Ding keine größeren Kratzer hat. Schade nur, dass an Ort und Stelle nicht gleich eine Hörprobe möglich ist. Aber ein bisschen Risiko muss sein, und zuhause wartet der Hightech-Plattenspieler auf die Neuerwerbung. Jetzt heißt es nur noch einen guten Preis aushandeln. Da darf er dann nicht zu viel Fachkenntnis zur Schau stellen, denn das nutzt jeder einigermaßen erfahrene Verkäufer gleich zu einem satten Aufschlag.

Der Profi

Man hat noch nicht einmal seine erste Kiste aus dem Kofferraum geladen, da ist er schon da. Leuchtet einem mit der Taschenlampe ins Gesicht, raunt im besten Falle noch so etwas wie "Darf ich?" und beginnt - ungeachtet der Antwort - in den Boxen zu wühlen. Der Profihändler will die besten Stücke in seinen Transporter geladen haben, bevor es hell wird, bevor die unwissenden, privaten Besucher über den Markt gehen und ihm den Lampenschirm aus den Achtzigern wegnehmen. Wenn der Profihändler auffällig lange am Stand verweilt, könnte einen das ehren, weil die Kommode aus dem Nachlass der Uroma dann wohl tatsächlich ein gutes Stück ist.

Andererseits nimmt er einem die besten Sachen weg, bevor der Stand überhaupt aufgebaut ist, und so bleibt man mit der traurigen B-Ware zurück, wegen der niemand mehr stehen bleibt. Im schlimmsten Falle läuft man später an einem dieser Retro-Läden vorbei, mit einem Kaugummiautomaten für 600 Euro im Schaufenster - und sieht dort seine Kommode wieder. Zum sechsfachen Preis.

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Aber dann findet man auf dem Flohmarkt doch etwas ganz anderes. Wir haben Besucher auf der Theresienwiese gefragt, was sie haben wollen - und was sie wirklich dort kaufen.

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Der Zauderer

Er ist jetzt schon drei Mal an diesem Stand gewesen, denn die Schreibtischlampe, die er dort gesehen hat, wäre genau die richtige für sein Arbeitszimmer, Schön ist sie. Aber vielleicht gibt es doch noch eine schönere? Und der Preis ist auch ganz schön happig. Ja, ein bisschen lässt der Verkäufer mit sich handeln, aber trotzdem ist das noch immer eine stolze Summe für so ein Lämplchen, und eine kleine Schramme hat sie auch, wenn man genauer hinschaut. Da müsste sich doch eigentlich etwas Besseres und Günstigeres finden lassen bei dem riesigen Angebot hier. Aber besser nicht zu weit weg vom Wunschobjekt bei diesen Streifzügen.

Nein, Gott sei Dank! Die Lampe ist noch da. Und offenbar interessiert sich auch kein anderer dafür. Andererseits: Für das Geld könnte man auch locker gleich eine neue kaufen. Das will überlegt sein: Also erst einmal Kaffee und Kuchen. Jetzt ist alles klar: Die Lampe wird gekauft, so eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Was? Das Ding ist weg. Hat ein anderer erworben, sagt der Verkäufer fast ein bisschen schadenfroh, "ohne langes Wenn und Aber".

Der Sentimentale

Am Verkaufstisch spielen sich herzzerreißende Szenen ab. Er hat Tränen in den Augen, als er den Kakaobecher mit dem Streublümchendekor in Zeitungspapier einschlägt. Mit der Miene einer Mutter, der man ihr Neugeborenes geklaut hat, übergibt er das Paket dem neuen Besitzer. Er hängt eben an den Dingen, und das verklickert der Sentimentale in epischer Breite jedem, der zu ihm an den Stand kommt: Was war das schön, als Tante Emmi aus Rosenheim ihm als Kind in just diesem Becher eine Schokoladenmilch angerührt hat.

Dass die anderen Verkäufer Stofftiere und Klamotten ohne mit der Wimper zucken hergeben, kann er nicht nachvollziehen. Er selbst war psychisch nicht in der Verfassung, sich von einer Weste zu trennen, die er 2001 als Rucksacktourist in Mittelamerika erstanden hat. Schwelgt der Sentimentale einmal in Erinnerungen, ist es praktisch nicht möglich, ihm etwas abzuluchsen. Sollte es mit viel gutem Zureden doch gelingen, plagt den Käufer das schlechte Gewissen. Einziger Trost: Bis zur nächsten Flohmarktsaison ist der Trennungsschmerz meist überwunden.

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Die Vertretung

Und plötzlich steht da dieses Mädchen, acht, vielleicht zehn Jahre alt. Sie geht ein bisschen unter hinter dem Haufen alter Kleider, alter Küchenutensilien - hinter all dem alten Kram halt. "Mein Papa ist gerade Essen holen gegangen", sagt sie. Und was kostet dann das alte Fahrrad da neben dem Tapeziertisch? "Das weiß ich nicht", sagt die Kleine. Und wann kommt der Papa wieder? "Das weiß ich auch nicht." Und was machen wir jetzt? "Du kannst mir ja einfach zehn Euro geben!" Das scheint ein fairer Preis zu sein, für den Käufer zumindest. Zehn Euro also? "Meinst du nicht, dass das ein bisschen billig ist?"

Das Mädchen schaut, und bevor es mutmaßlich runter geht auf fünf Euro, kommt der nette Verkäufer vom Nachbartisch. "Wenn Sie kurz warten könnten, der Papa hat mich gebeten aufzupassen, er kommt bestimmt gleich wieder." Zehn Minuten später kommt er dann tatsächlich: 100 Euro, sagt er, würde das Fahrrad kosten. "100 Euro?", sagt die Kleine. "Da wärst du aber böse auf mich gewesen, wenn ich das ohne dich verkauft hätte."

Der Kabelmann

Was einen Flohmarkt wirklich interessant macht, sind die Einblicke in die Alltagskultur früherer Jahrzehnte. Außer Zinntellern und Sammlerbierkrügen findet man besonders oft alte Elektrogeräte, die meistens schon ziemlich abgenutzt aussehen. Wer soll so etwas kaufen? Wer braucht einen alten PC mit Floppy-Disk-Laufwerk aus Windows-95-Zeiten? Wer braucht einen defekten Nadeldrucker? Und vor allem: Was soll man mit all den alten Kabeln anfangen, für die es schon lange keine Geräte mehr gibt? Rätsel des Flohmarktalltags!

Dann aber fesselt einen selbst die Nostalgie und die fixe Idee, dass man zu Hause unbedingt mal wieder die Ärzte-Platten aus den Achtzigerjahren hören und dazu den Plattenspieler wieder reaktivieren müsste. Doch das passende Kabel mit dem Uraltstecker ist verschollen und im Elektromarkt lässt sich auch keines mehr auftreiben. Bestellen für teuer Geld ginge natürlich. Aber die bessere Lösung ist der Kabelmann auf dem Flohmarkt, der einem das Ding dann für 50 Cent vertickt. Soll noch mal wer sagen, das alte Elektrozeug wäre zu nichts nütze.

Der Ausmister

Tja, der Wohnraum in München ist eng und wird nicht mehr, nur weil man über Jahrzehnte Sachen hortet. Da ist noch das einst sehr teure Zelt, das seit dem letzten Campingurlaub 1998 ungenutzt herumliegt, die Spielekiste mit Siedler von Catan, Trivial Pursuit und anderen Dingen aus den Neunzigerjahren, die zu schade zum Wegwerfen sind. Alles Platzfresser in der zu engen Wohnung, von den Hunderten Büchern ganz zu schweigen. War "High Fidelity" von Nick Hornby nicht 1995 der literarische all time favourite? Die Sachen sind doch noch gut! Irgendwer mag sie bestimmt.

Also ab zum Flohmarkt, dann blutet einem das Herz nicht ganz so, wenn man sich von etwas Vertrautem trennt. Aber dann zeigt sich: Menschen, die heute Siedler spielen, besitzen längst modernere Spezialeditionen, ein 28 Jahre altes Zwei-Mann-Zelt weckt bei niemandem romantisches Urlaubsfeeling und Hornby ist auch nicht mehr so angesagt. Da hilft nur ein Blick ins Internet, der besagt: Die Wertstoffhöfe sind unter der Woche bis mindestens 18 Uhr geöffnet, am Samstag bis 15 Uhr.

Das Verkaufstalent

Der Flohmarkt ist nur eine Notlösung, denn über kurz oder lang strebt er den Besitz einer Edelboutique in Schwabing an. Das sieht man auch an seinem Stand: Pailletten-Shirts, Skinny Jeans und Bomberjacken hat er penibel nach Farben und Marken sortiert, in einem Paar Lackpumps stecken Spanner. Gebrauchte Klamotten sind für ihn nicht einfach nur gebrauchte Klamotten, sondern eine lohnenswerte Investition. Selbst das schlabbrige Streifentop aus der H&M-Kollektion von 1998 quatscht er mühelos in den Rang eines luxuriösen Designerfähnchens. Damit der Griff in den Geldbeutel am Ende leichter fällt, spendiert der ambitionierte Händler potenziellen Kunden gerne ein Gläschen Prosecco aus der Kühlbox.

Doch Vorsicht: Übertreibt man es beim Runterhandeln, schlägt sein süßlicher Ton schnell in Gereiztheit um. Wie jetzt, vier Euro für dieses Megateil, das höchstens drei Mal getragen wurde? Ob man Tomaten auf den Augen habe oder tatsächlich null Ahnung von Mode? Diese stillosen Schnäppchenjäger nerven ihn. Echt, da verkauft er seine Sachen lieber im Internet. Ist ohnehin lukrativer.

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